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FORSCHUNG/3603: Wie das Gehirn ursächliche Zusammenhänge erkennt (idw)


Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) - 10.11.2016

Wie das Gehirn ursächliche Zusammenhänge erkennt

Tübinger Forscher finden heraus: Spiegelneurone sind an der Wahrnehmung von Kausalität beteiligt


Eine weiße Kugel schießt über den Billardtisch und stößt eine blaue Kugel an, die daraufhin losrollt und im Loch versinkt. Instinktiv ist uns klar: Der Zusammenprall löste die Bewegung der roten Kugel aus. Unter der Leitung von Professor Martin Giese und Professor Hans-Peter Thier haben Forscher am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Exzellenzcluster Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen nun Nervenzellen entdeckt, die möglicherweise an der Wahrnehmung von ursächlichen Zusammenhängen beteiligt sind. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology berichten sie: Während wir eine solche Szene betrachten, aktiviert der abstrakte Kausalitätsreiz sogenannte Spiegelneurone im Gehirn. Diese Nervenzellen sind auch beim Ausführen und Betrachten motorischer Handlungen aktiv. Sie spiegeln das Geschehen, auch wenn der Beobachter an den Handlungen nicht aktiv beteiligt ist.

"Bislang war nicht bekannt, wie Kausalitätsurteile auf der Ebene von Nervenzellen verarbeitet werden", erklärt Martin Giese. "Man vermutete jedoch einen Zusammenhang mit der Verarbeitung von motorischen Handlungen - in beiden Fällen muss das Gehirn räumlich-zeitliche Zusammenhänge zwischen Reizen auswerten, die sich gegenseitig beeinflussen."

In ihrer Studie maßen die Wissenschaftler die Aktivität der Spiegelneurone in der motorischen Hirnrinde von Makaken. Während des Experiments wurden den Tieren auf einem Bildschirm natürliche Handbewegungen sowie abstrakte Reize in Form von bewegten Scheiben gezeigt. Der Bewegungsverlauf der Hände und Scheiben wird durch die gleichen kausalen Beziehungen beschrieben. Es zeigte sich: Die Aktivitätsmuster der Spiegelneurone waren für beide Reizarten fast identisch. "Das Ergebnis deutet darauf hin, dass motorische Bewegungen und bestimmte Aspekte visueller Kausalitätsurteile möglicherweise gemeinsam von den gleichen Nervenzellen verarbeitet werden", so Giese. "Beide Funktionen greifen scheinbar auf überlappende Gehirnbereiche zurück." Die Forscher vermuten, dass höhere Formen der Kausalitätswahrnehmung aus einfachen Mechanismen der Bewegungserkennung und Interpretation entstanden sein könnten.


Originalpublikation:
Vittorio Caggiano, Falk Fleischer, Jörn K. Pomper, Martin Giese & Peter Thier (2016): Mirror neurons in monkey premotor area F5 show tuning for critical features of visual causality perception.
http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.10.007

Kontakt:

Universität Tübingen
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

Prof. Dr. Martin Giese
martin.giese[at]uni-tuebingen.de

Werner Reichardt
Centrum für Integrative Neurowissenschaften

www.compsens.uni-tuebingen.de

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Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) wurde 2001 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Universitätsklinikum Tübingen und der Eberhard Karls Universität gegründet. Das HIH beschäftigt sich mit einem der faszinierendsten Forschungsfelder der Gegenwart: der Entschlüsselung des menschlichen Gehirns. Im Zentrum steht die Frage, wie bestimmte Erkrankungen die Arbeitsweise dieses Organs beeinträchtigen. Dabei schlägt das HIH die Brücke von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung. Ziel ist, neue und wirksamere Strategien der Diagnose, Therapie und Prävention zu ermöglichen. Derzeit sind 18 Professoren und rund 350 Mitarbeiter am Institut beschäftigt.

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Weitere Informationen finden Sie unter

http://www.hih-tuebingen.de
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

http://www.cin.uni-tuebingen.de
Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften

https://www.uni-tuebingen.de
Eberhard Karls Universität Tübingen

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1351

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)
Dr. Mareike Kardinal, 10.11.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2016

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