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FORSCHUNG/4194: Mikroorganismen - Die Folgen verringerter mikrobieller Diversität (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 2, Februar 2022

Die Folgen verringerter mikrobieller Diversität

von PM/RED


MIKROORGANISMEN. Die mikrobielle Besiedlung des menschlichen Körpers ist artenärmer geworden - mit Folgen für unsere Gesundheit. Kieler Forschende arbeiten im Verbund an Lösungen.


Seit wenigen Jahren arbeitet eine Gruppe Wissenschaftler unter Beteiligung der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) an einer weltweiten Initiative zur Bewahrung von Mikroorganismen. Im Microbiota Vault (Deutsch: Mikroorganismen-Speicher) soll künftig die Identifizierung, Sammlung und dauerhafte Konservierung einer möglichst großen Bandbreite von Mikroorganismen möglich werden, bevor diese unter dem zunehmenden Einfluss zivilisatorischer Faktoren, wie etwa der Antibiotikaübernutzung oder ungesunder Ernährung, für immer verloren gehen. Davon erhoffen sich die Forschenden Vorteile für die menschliche Gesundheit: Die Konservierung eines möglichst vollständigen Repertoires der ursprünglichen mikrobiellen Diversität sei zum Beispiel Voraussetzung für die Entwicklung künftiger Therapien zur Wiederherstellung eines gesunden Darmmikrobioms und damit Grundlage zur Bekämpfung verschiedener Umwelterkrankungen, betonen die Initiatoren.

Zum neuen Jahr wurde Professor Thomas Bosch, Sprecher des CAU-Forschungsschwerpunkts Kiel Life Science (KLS), in den Vorstand des Microbiota-Vault-Projekts gewählt und wird nun die weitere Entwicklung des Vorhabens mitgestalten. Eine unabhängige Machbarkeitsstudie hatte 2020 die Empfehlung zur Umsetzung des Projekts ergeben. Ende des vergangenen Jahres begann die Umsetzungsphase des Microbiota Vault, an der neben Kiel u.a. die ETH Zürich, die Universitäten Basel und Lausanne sowie die US-amerikanische Rutgers University beteiligt sind. Primäres Ziel ist die Einrichtung einer speziellen Biobank, also einer Aufbewahrungsstätte für Sicherungsproben möglichst vieler Mikrobenarten zur langfristigen Konservierung. Dies dient der Archivierung und der künftigen Kultivierung der Proben als Grundlage möglicher therapeutischer Anwendungen. Dazu befinden sich die nötigen technischen Infrastrukturen zurzeit modellhaft im Aufbau: Aufgrund der geografischen Eignung und politischen Stabilität wählten die Forschenden einen Standort in der Schweiz.

Die mikrobielle Besiedlung des menschlichen Körpers ist artenärmer geworden. Verantwortlich ist der Einfluss des industriellen Lebensstils, der zum Beispiel durch starke Nutzung von Antibiotika, übertriebene Hygiene oder Ernährung mit hochgradig verarbeiteten Lebensmitteln geprägt ist. Diese schädlichen Einflüsse sorgen in Summe dafür, dass es zu einer massiven Abnahme der Vielfalt innerhalb des menschlichen Mikrobioms gekommen ist. Den dramatischen Anstieg von Umwelterkrankungen in den letzten Jahrzehnten führen Wissenschaftler auf den parallelen Rückgang an mikrobieller Diversität zurück: Übergewicht, Asthma oder Allergien haben in gleichem Maße zugenommen, wie umfangreiche Bestandteile des menschlichen Mikrobioms verloren gingen.

Die Initiatoren des Projekts planen daher, Mikroorganismen in Regionen der Welt zu sammeln, die noch nicht zu stark vom westlichen Lebensstil geprägt sind. So zeigt die indigene Bevölkerung in entlegenen Regionen des Amazonasgebiets eine deutlich vielfältigere und ursprünglichere Mikrobiomzusammensetzung als Menschen in Nordamerika oder Europa. Nur rund die Hälfte der mikrobiellen Artenvielfalt sei bei Letzteren noch vorhanden, schätzen die Forschenden. "Bevor diese Mikroben sicher verwahrt werden können, müssen für die Gesundheit essenzielle Mikrobenarten gefunden und eingesammelt werden. Eine besonders anspruchsvolle Aufgabe des Projekts ist es daher, dafür geeignete Strukturen zu schaffen. Dabei geht es besonders um die Voraussetzungen für eine rechtssichere und gerechte Nutzung des gesammelten Materials in der Zukunft", sagte Bosch. Er sieht in der mikrobiellen Diversität einen "Schlüssel, um zivilisatorisch bedingte Krankheiten wie Diabetes, Morbus Crohn oder andere chronische Entzündungskrankheiten künftig behandeln und heilen zu können."

Den Anstoß zu dieser ambitionierten Initiative gaben Professorin Maria Gloria Dominguez-Bello und Professor Martin Blaser, beide von der Rutgers University im US-amerikanischen New Jersey, die in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Pionierarbeit zur Bedeutung der verlorengegangenen Mikroben leisteten. Aktuell arbeiten die beiden Forschenden aus den Vereinigten Staaten daran, Entwicklungspartnerschaften mit Universitäten in den Ursprungsländern wie Peru oder Venezuela einzugehen. So wollen sie an den Hotspots der weltweit größten mikrobiellen Vielfalt die Bestände sichern, bevor auch diese Regionen mit den Effekten des industriellen Lebensstils in Berührung kommen.

Parallel arbeiten die Projektbeteiligten an den technischen Infrastrukturen für die Lagerung und Archivierung der mikrobiellen Proben, u. a. in Kiel.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 2, Februar 2022
75. Jahrgang, Seite 35
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. März 2022

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