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NACHSORGE/089: Covid-19 - Reha-Medizin nimmt Herausforderung an (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 1, Januar 2022

Reha-Medizin nimmt Herausforderung an

von Horst Kreussler


REHA. Alle zwei Jahre im November trifft sich die norddeutsche Reha-Szene aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern in Lübeck. Im Mittelpunkt des Symposiums des Vereins zur Förderung der Rehabilitationsforschung (vffr), der DRV-Nord und der Uni Lübeck stand die Reha nach COVID-19.


Auch für die Reha-Medizin ist COVID-19 Neuland und damit eine Herausforderung. Diagnostisch und therapeutisch besteht erheblicher Forschungsbedarf, zugleich wird pragmatisch und auch probatorisch so gut wie möglich gehandelt.

Das vielleicht schwierigste Thema behandelte das erste Referat: "Genesen ist nicht gesund - Effizienz der Long- und Post-COVID-Rehabilitation". Dr. Jördis Frommhold, Chefärztin in der Median Klinik Heiligendamm, konnte auf die Behandlung von über 2.500 Patienten durch ihr Team verweisen. Die 120 Betten der Klinik seien zu 80-90 % mit COVID-19-Patienten belegt gewesen. Seit der erste COVID-19-Patient am 14. April 2020 eintraf, sammelte sie eingehende Erfahrungen bei den zwischen 16 und 91 Jahren alten Reha-Patienten mit drei- bis fünfwöchiger Reha-Dauer und wurde damit nicht nur in Fachkreisen bekannt.

Durchgeführte Reha-Maßnahmen sind bekannte Methoden: Atemgymnastik, Atemmuskeltraining, Atem-Physiotherapie, Inhalationstherapie, Ausdauer- und Krafttraining, psychologische Unterstützung, COVID-19-Gesprächsgruppen, neurologisches Training sowie Koordinations- und Haltungsübungen. Seit Publikation der S1-Leitlinie über Long- und Post-COVID-19-Rehabilitation konnte danach vorgegangen werden. Doch von Anfang an zeigte sich laut Frommhold, dass es hauptsächlich drei Gruppen von COVID-19-Patienten gibt:

• Gruppe 1 mit einem unkomplizierten Verlauf, meist nur in ambulanter Behandlung, ohne Post- oder Long-COVID-Symptome und ohne entsprechenden Reha-Bedarf.

• Gruppe 2 der Post-COVID-Patienten mit einer Krankheitsdauer von etwa vier bis zwölf Wochen. Diese Patienten waren akut schwer bis bedrohlich betroffen, oft mit längerer Beatmung, zum Teil direkt aus der Akutklinik in die Rehaklinik verlegt. Zu den Symptomen zählten u.a. eine noch pathologische Atmung, neurologische Einschränkungen wie Bewegungs-, Sensibilitäts-, Geruchs- und Geschmacksstörungen und psychosomatische Beeinträchtigungen wie Angst, Depression oder Posttraumatische Belastungsstörung.

• Gruppe 3 der Long-COVID-Patienten reichte von akut nur leicht bis mittelschwer Erkrankten, die häufig auch nur ambulant behandelt wurden. Es seien "kranke Genesene", vielfach Frauen, mehr Jüngere als Ältere, mit starken Schwankungen des Gesundheitszustandes über Monate, mit einem "eigenständigen Krankheitsbild", aber noch unklarer Genese. Häufig trainierten diese Patientinnen nach Besserung ("guten Tagen") nicht konsequent weiter, sondern wollten so schnell wie möglich ins normale Leben zurück und überforderten sich damit. Klassische Symptome waren Haarausfall, Muskel- und Gelenkschmerzen, kognitive Einschränkungen wie Kurzzeitgedächtnisstörung, Verständnisschwierigkeiten bis zu dementiellen Merkmalen und psychische Störungen bis hin zu Panikattacken.

Fazit des Referats: Es gibt noch keine sicheren Behandlungsempfehlungen, noch wird "viel experimentiert". Oft fehle eine umfassende Ausschlussdiagnostik und "richtige Ergebnisse" der laufenden Forschungsarbeiten lägen noch nicht vor. Das gelte auch für die Multicenter-Studie, an der die Klinik in Heiligendamm zusammen mit weiteren Kliniken wie der Ostseeklinik Schönberg-Holm sowie der Uni Lübeck arbeite. Frommhold: "Eins aber ist jetzt schon sicher - die Notwendigkeit einer besseren Zusammenarbeit von Klinik, Niedergelassenen, ÖGD und der Reha-Medizin." Prof. Axel Schlitt, Kardiologe in der Paracelsus Harzklinik Bad Suderode (Quedlinburg), betonte den Forschungsbedarf: "Wir wissen noch nicht, was Long-COVID genau ist." Angesichts komplexer Symptome in vielen Organbereichen werde spezialisiert interdisziplinär und multimodal behandelt. In seinem Fachgebiet finde er kardiologische Manifestationen von Long-COVID wie Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen mit Tachykardie, Herzmuskelentzündung oder Infarkte. Auf der anderen Seite habe nicht immer COVID-19 vorgelegen. Viele Patienten, die glaubten, COVID-19 gehabt zu haben, seien nach serologischen oder Antikörper-Befunden negativ. Auf die Frage, ob nicht darüber hinaus auch wirklich infizierte Patienten im Grunde hauptsächlich wegen ihres Gesundheitszustandes und ihres Risikoprofils mit reduzierter natürlicher Immunität erkrankt seien, meinte Schlitt, dies sei wohl eher bei Älteren der Fall.

Prof. Steffi Riedel-Heller vom Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig behandelte vor allem den Public Health-Aspekt. Sie stellte den größtenteils online zugeschalteten Teilnehmern eine Reihe von Studien über die Krankheitslast im Zusammenhang mit COVID-19 vor und gab zu bedenken: "Gute Studien sind schwer zu finden."

Nach einer Studie gebe es ein erhöhtes Risiko schwerer Folgen nach akuter COVID-19-Erkrankung. Und nach einer schwedischen Studie auch negative Folgen für die soziale Teilhabe, sonst recht unterschiedliche Häufigkeitsverteilungen. Die Häufigkeit von Long-COVID-Fällen sei allerdings auch bei milder Akuterkrankung hoch ("alarmierend"). Zuvor hatte die erste Referentin 10 % und mehr geschätzt. Allerdings, so stellte Riedel-Heller im Ergebnis fest, die Gründe für unterschiedliche Daten seien weniger bekannt - also auch hier Forschungsbedarf.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 1, Januar 2022
75. Jahrgang, Seite 30
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. Februar 2022

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