Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

ETHIK/713: Streit im Ethikrat über Suizidbeihilfe von Ärzten (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 90 - 2. Quartal 2009
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Bauer vs. Taupitz

Von Stefan Rehder


Mit dem Rückzug des ehemaligen Hamburger Justizsenators Rogers Kusch als Suizidbegleiter ist die Debatte um begleitete Selbsttötungen nicht beendet. Unter Mitgliedern des Deutschen Ethikrates ist nun ein Streit über Suizidbeihilfe von Ärzten entbrannt.


Unter Mitgliedern des Deutschen Ethikrates ist ein Streit über die Beteiligung von Ärzten an Selbsttötungen entbrannt. In einem Aufsehen erregenden Interview mit dem Magazin "Der Spiegel" hatte der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz zunächst dafür plädiert, Ärzte sollten suizidwilligen Patienten künftig bei der Selbsttötung assistieren. Der Juraprofessor, der Mitglied im Deutschen Ethikrat sowie in der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer ist, begründete seine Forderung damit, dass der Arzt wisse, "wie man Medikamente richtig dosiert". "Nichts" sei, so Taupitz weiter, "schlimmer als ein misslungener Suizid". Außerdem seien Ärzte darin geübt, "Menschen auf ihre Einwilligungsfähigkeit zu überprüfen".

Auf den Spiegel-Hinweis, Ärzte riskierten ihre Zulassung, wenn sie wie von Taupitz gefordert agierten, antwortete der Rechtsgelehrte: "So, wie es heute in Deutschland erlaubt und zehntausendfach Praxis ist, passive Sterbehilfe zu leisten, indem der Arzt etwa Geräte abstellt, so gibt es im Standesrecht keine Regel, die dem Arzt die Suizidhilfe verbietet. Dort heißt es nur, dass die Hilfe zur Selbsttötung dem ärztlichen Ethos widerspricht. Daran muss sich aber nicht jeder Arzt halten."

Der Arzt dürfe einem Patienten nicht nur die tödlichen Medikamente verschreiben. "Er darf sie ihm auch geben", nur nicht "verabreichen oder gar spritzen". "Dann wäre", so Taupitz, "die Grenze zur aktiven Sterbehilfe überschritten." Rechtlich sei es sogar möglich, die Beihilfe zum Suizid mit der Krankenkasse abzurechnen, erklärte Taupitz. Wörtlich sagte der Medizinrechtler: "Ich bin kein Spezialist des Abrechnungsrechts, aber im Rahmen der normalen Beratungsgebühr ist das sicherlich möglich. Das wäre natürlich viel weniger als die - wie ich finde - unangemessenen 8.000 Euro, die der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch verlangt hat."

Zwar räumte Taupitz ein, dass ein ärztlich assistierter Suizid als Kassenleistung "ein Geschmäckle" habe, andererseits sei "uns dieses Unbehagen ja nicht fremd: An einer Abtreibung verdienen die Ärzte doch auch. Und wenn die eigenhändige Tötung ungeborenen Lebens bezahlt wird, warum dann nicht auch die bloße Beihilfe zu einem freiverantwortlichen Suizid?", so Taupitz.

Die Ärzteschaft sollte, so Taupitz weiter, "ernsthaft überlegen, ob ihre Position zur Suizidhilfe noch zeitgemäß ist". Konservative Bedenkenträger säßen vor allem in den Ärzteverbänden - "und da wird natürlich Standespolitik gemacht", sagte der Medizinrechtler.

Die Antwort der Ärzteschaft folgte auf dem Fuße. Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery sagte der "Frankfurter Rundschau": "Wir sind keine Mechaniker des Sterbens, wir sollen Leben retten." Taupitz' Äußerungen verstellten den Blick auf das eigentliche Problem, welches das Defizit an Palliativmedizin sei. Der Wunsch von Patienten nach Sterbehilfe resultiere vor allem aus der Angst vor einem schmerzvollen Sterben - "die wir ihnen mit einer guten Schmerztherapie nehmen können", so Montgomery. Wenn dies gewährleistet sei, wollten die Patienten ihr Leben auch würdig beenden - "und nicht abgespritzt werden wie ein Tier in der Praxis eines Veterinärs".

In einem "Offenen Brief" wiesen auch die "Ärzte für das Leben" die Forderungen Taupitzs als "Zumutung" zurück. Diese degradierten den Arzt "zum Tötungsgehilfen" (vgl. Kasten). Eine "Erweiterung des ärztlichen Heilungsauftrags um das Töten" dürfe es nicht geben, "weder am Anfang noch am Ende des menschlichen Lebens und ebenso nicht in dessen Mitte", heißt es dort.

Auch der Stellvertretende Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach (CDU) warnte vor einer fundamentalen Veränderung des Berufsbilds der Ärzte. Deren Berufsethos habe er immer so verstanden, dass sie "Hilfe zum Leben, nicht zum Sterben leisten wollen", sagte der CDU-Politiker und mahnte: "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in eine ethische Abwärtsspirale begeben."

Dabei ist Taupitz nicht der einzige prominente Gelehrte, der sich zur Zeit lautstark dafür einsetzt, Ärzte sollten auch andere Aufgaben wahrnehmen als zu heilen, zu lindern und zu trösten.

Der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel und der katholische Theologe Hans Küng fordern gar, Ärzten auch die "Tötung auf Verlangen" zu erlauben. So weit will Taupitz allerdings nicht gehen. Dem Spiegel sagte er: "Ich bin dagegen. Ich finde, der Patient muss unbedingt die Tatherrschaft ausüben. Der Selbsterhaltungstrieb ist eine große Hürde, die man nicht so einfach überwindet. Das ist anders, wenn ein Außenstehender die Spritze setzt. Außerdem halte ich die Missbrauchsgefahr für zu groß. In den Niederlanden, wo aktive Sterbehilfe erlaubt ist, kommt es offenbar immer wieder zu Tötungen, ohne dass der Betroffene explizit darum gebeten hat."

Der Vorstoß von Taupitz hat den Mannheimer Medizinethiker Axel W. Bauer, der wie Taupitz dem Deutschen Ethikrat angehört, zu einer innovativen Replik veranlasst. In einem groß angelegten Beitrag für den "Rheinischen Merkur" regte Bauer an, die Beihilfe zum Suizid in Deutschland - ähnlich wie in Österreich - unter Strafe zu stellen.

Wie Bauer in dem Zeitungsbeitrag ausführt, seien die Einlassungen von Taupitz zwar geeignet, Empörung auszulösen, unzutreffend seien sie deswegen jedoch nicht: "In einem pluralistischen Rechtsstaat, dessen Minimalmoral durch das Grundgesetz und dessen Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht repräsentiert wird, muss sich kein Bürger, auch kein Arzt, an den ethischen Normen seines Berufsstandes orientieren, sondern letztlich nur am staatlichen Strafrecht", so Bauer. Bislang habe, so Bauer weiter, noch keine öffentliche Stimme in Deutschland die Legitimität der Beihilfe zum Suizid selbst infrage gestellt. "Nun wird es Zeit, dieses Versäumnis zu beenden."

Laut Bauer greift die Debatte um die "angebliche Sittenwidrigkeit der kommerziellen Suizidassistenz völlig daneben". So, wie eine gute Handlung nicht dadurch schlecht werde, dass sie Geld koste, werde umgekehrt eine schlechte Handlung nicht dadurch gut, dass sie gratis zu haben sei. Bauer: "Die richtige Intuition, dass die kommerzielle Beihilfe zum Suizid keine ethisch akzeptable Tat ist, rührt von der Sache und nicht von dem womöglich entstehenden finanziellen Gewinn des Sterbehelfers her".

In jedem Fall befördere die Assistenz bei einer Selbsttötung eine Handlung, "die philosophisch gerade nicht mit der viel beschworenen Autonomie des Menschen legitimiert werden kann". "Die Fähigkeit des Menschen, sich eigene Gesetze zu geben, hat ihren Grund in der physischen Existenz der Person, sie ist Symptom und nicht die Ursache unserer biologischen Seinsweise." Deshalb könne sich "eine legitime Selbstbestimmung" auch nur auf Akte beschränken, die diese Seinsweise voraussetzten. "Es ist nicht Sache des Rauchs, über die Auslöschung des ihn verursachenden Feuers zu bestimmen", so Bauer.

Dass die Beihilfe zum Suizid bislang in Deutschland straffrei ist, sei - weil es an einer strafbaren Haupttat fehle - zwar "rechtsdogmatisch vertretbar", jedoch "verfassungsrechtlich nicht zwingend", so Bauer weiter. Dies zeige ein Blick nach Österreich. Dort gilt die "Mitwirkung am Selbstmord" als eigenständiger Straftatbestand. So lautet Paragraf 78 des Österreichischen Strafgesetzbuches: "Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen." Damit werde, so Bauer, "die Mitwirkung am Suizid im Strafmaß der Tötung auf Verlangen gleichgestellt".

Laut dem Medizinethiker spricht nichts dagegen, "wenn Deutschland in Fragen der Sterbehilfe nicht immer nur in die Schweiz, sondern auch einmal nach Österreich schauen würde". Allerdings wäre "diese Horizonterweiterung mit der bitteren Erkenntnis verbunden, dass wir uns in diesem Lande lieber über kommerzielle und organisierte Suizidhelfer entrüsten, anstatt das auf Dauer einzig wirksame rechtliche Mittel dagegen in die Hand zu nehmen", so Bauer.


*


OFFENER BRIEF

Offener Brief zur These von Professor Taupitz, Mitglied des Nationalen Ethikrats, Ärzte seien "geeignete" Suizidhelfer

Ärzte für das Leben e.V. weisen die jüngste Empfehlung von Professor Taupitz, Mitglied des Deutschen Ethikrats, Ärzte sollen als Suizidhelfer tätig werden, auf das Schärfste zurück. Die Argumentation des Juristen bewegt sich auf einer pragmatisch-utilitaristischen Linie: der Arzt sei deshalb als Sterbehelfer besonders geeignet, weil er die Sterbewünsche seiner Patienten am besten kenne und die tödliche Dosis am sichersten bemessen könne. Mit dieser todbringenden Praxis könne man sofort beginnen, da der sog. assistierte Suizid in Deutschland nicht strafbar sei.

Ein solcher "Aufruf" ist zynisch und widerspricht der ärztlichen Berufsethik diametral. Wenn Herr Taupitz meint, nichts sei schlimmer als ein misslungener Suizid, kennt er offensichtlich nicht den neuen Lebensmut, der nach lebensrettender ärztlicher und palliativmedizinischer Hilfe eintritt.

Ärzte für das Leben e.V. weisen die von Herrn Taupitz geäußerte Zumutung zurück, den Arzt zum Tötungsgehilfen zu degradieren. Eine "Erweiterung des ärztlichen Heilungsauftrags um das Töten" darf es nicht geben, weder am Anfang noch am Ende des menschlichen Lebens und ebenso nicht in dessen Mitte.

Ärzte für das Leben e.V. plädieren für eine gesetzliche Regelung, die nach dem Beispiel Österreichs jede Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellt.

Ärzte für das Leben e.V. leisten gemäß ihrem Grundsatzprogramm Widerstand gegen die in vielfältigem Gewand wiederkehrende Zumutung, Ungeborene, Alte, Gebrechliche, unheilbar Kranke und nun auch Lebensmüde einfach zu töten. Wir wissen uns darin in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Wir beziehen uns auf den Hippokratischen Eid als die ethische Grundlage des Arztberufs und auf das fünfte Gebot. Denn der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben zu erhalten. Sobald er diesen Auftrag vergisst, wird er "der gefährlichste Mensch im Staate" (Ch.W. Hufeland 1806. Leibarzt Goethes).

Ärzte für das Leben e.V.
Der Vorstand


*


IM PORTRAIT

Stefan Rehder, M.A.
Geb. 1967, ist Journalist Buchautor und Leiter der Rehder Medienagentur in Aachen. Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Köln und München, schreibt für Tageszeitungen und Magazine (u.a. "Die Tagespost"), ist Redaktionsleiter des LebensForum und hat mehrere Bücher verfasst (u.a. "Gott spielen. Im Supermarkt der Gentechnik", München 2007). Stefan Rehder ist verheiratet und Vater von drei Kindern.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Bald vielleicht schon bittere Realität: Ärzte und Mediziner als Suizidhelfer.
- Jochen Taupitz
- Axel W. Bauer
- Reinhard Merkel
- Frank Ulrich Montgomery
- Wolfgang Bosbach
- Hans Küng


*


Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 90, 2. Quartal 2009, S. 22 - 24
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
Tel: 0821/51 20 31, Fax: 0821/15 64 07
E-Mail: info@alfa-ev.de
Internet: www.alfa-ev.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2009