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FORSCHUNG/2239: (Video-)Spielend Bewegungen lernen?! (f.i.t/Sporthochschule Köln)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 2/2009

(Video-)Spielend Bewegungen lernen?!
Einsatz und Erforschung der Effekte digitaler Sportspiele

Von Thomas Heinen(1), Konstantinos Velentzas(1), Marco Walther(1), Ruben Goebel(2)
(1) Psychologisches Institut Sportinternat Knechtsteden
(2) Institut für Bewegungswissenschaft in den Sportspielen


Digitale Spiele sind ein attraktives Freizeitmedium und der Sektor hat sich unlängst zu einem bedeutenden Wirtschafts- und Gesellschaftsfaktor entwickelt (KELLER 2007). Digitale Spiele sind Spiele, die mit Hilfe von Medien mit Mikroprozessoren realisiert werden. Diese umfassen u.a. Computer-, Konsolen-, aber auch Handy- und PDA-Spiele (WIEMEYER 2009). Mit der Weiterentwicklung innovativer Eingabegeräte (z. B. Nintendo Wii-Remote Controller) haben sich neue Interaktionsmöglichkeiten mit virtuellen Agenten in virtuellen Umgebungen ergeben. Mit der Weiterentwicklung der Gerätehardware (z. B. neuere Graphikprozessoren) können komplexe Bewegungen realitätsnah hinsichtlich ihrer Struktur- und Oberflächenmerkmale dargestellt werden. Daher erscheint der Einsatz und die Erforschung der Effekte digitaler Spiele aus sportwissenschaftlicher Sicht besonders attraktiv.


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Digitale Spiele als Trainingstool im Sport?

Digitale Spiele beinhalten in variabler Form immer Bewegungen (WIEMEYER 2009). Die Spielsteuerung kann dabei kleinmotorisch (z. B. über Maus, Tastatur oder Joystick) oder großmotorisch (z. B. über neuere Controllersysteme mit integrierten Beschleunigungssensoren, Kontaktmatten, Kraftmessplatten oder Kameras zur Bewegungserkennung) erfolgen.

Insbesondere in neueren digitalen Sportspielen werden vom Spieler Bewegungsausführungen verlangt, welche sich deutlich an sportlichen Bewegungstechniken orientieren. Der Controller der Nintendo-Wii® Konsole kann beispielsweise wie ein Tennisschläger oder ein Golfschläger bewegt werden. Aus den Beschleunigungs-Zeit-Verläufen des Controllers werden Bewegungen eines virtuellen Agenten berechnet, welcher dann einen gespielten Tennisball oder einen ruhenden Golfball schlägt. Im Spiel Eyetoy Kinetic Combat® lernt der Spiel.er Grundtechniken des Kung-Fu. Seine Bewegungen werden von einer Kamera aufgezeichnet und in Echtzeit mit den Bewegungen eines Modells verglichen. Je genauer der Spieler die Bewegungen des Modells imitiert, desto besser ist seine Spielleistung. Im Spiel Walabers' Trampoline steuert der Spieler die Bewegungen eines Trampolinturners mit der Tastatur. Über die Eingabe von Tastaturkombinationen führt der virtuelle Trampolinturner unterschiedlich komplexe Bewegungen aus (Basissprünge, Salti und Schrauben). Je korrekter und je schwieriger die Sprünge sind, desto mehr Punkte erhält der Spieler.

Unterschiedliche Schwierigkeitsstufen oder Komplexitätsgrade in den genannten Spielen können beispielsweise mit den Phasen des sportmotorischen Lernens assoziiert werden (z. B. MAGILL 2008). Ungeübte Personen könnten daher mit Hilfe von digitalen Spielen zunächst eine Bewegungsvorstellung erlangen (kognitive Phase), während geübte Personen gezielt Bewegungsmöglichkeiten ausprobieren (assoziative Phase) oder optimieren könnten (autonome Phase). Ein Vorteil von solchen digitalen Spielen könnte deshalb gerade darin bestehen, dass der Spieler die Effekte einer Bewegung in einem Umfeld mit definierten Einflussfaktoren explorieren kann.

Werden digitale Spiele in systematischer Weise zur Unterstützung perzeptuell-kognitiver und/oder motorischer Lernprozesse im Sport eingesetzt, dann sprechen wir von einem sogenannten Digital-Game-Training (DGT). Für die Sportwissenschaft stellt sich die grundlegende Frage, welche Transferwirkungen dabei zu erwarten sind (WIEMEYER 2009).


Transferwirkungen von digitalen Spielen

Transferwirkungen von digitalen Spielen beinhalten zunächst aufgabenunspezifische Wirkungen, wie beispielsweise die Verbesserung der räumlichen Wahrnehmung oder der Reaktionsfähigkeit, welche durch ein Training mit digitalen Spielen einen hohen Grad an Generalisierung erfahren können (z.B. GREEN & BAVELIER 2007). Aufgabenspezifische Transferwirkungen zeigen sich dann, wenn digitale Spiele gezielt zur Verbesserung bestimmter (Bewegungs-)Aufgaben eingesetzt werden (z. B. FERY & PONSERRE 2001). Für den Bereich des Sports sind dabei aufgabenspezifische Effekte in erster Linie auf perzeptuell-kognitiver und motorischer Ebene zu erwarten.

Mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand wird deutlich, dass im Bereich der Sportwissenschaft primär die Effekte von einem DGT isoliert oder in Kontrastierung mit motorischem Training überprüft wurden. FERY und PONSERRE (2001) untersuchten beispielsweise die Transferwirkung eines Golfsimulationsspiels auf die Leistung beim Putting. In ihrer Studie wurden 62 Versuchspersonen ohne Vorerfahrung im Golf auf fünf Gruppen aufgeteilt. Zwei der fünf Gruppen sollte das Golfputting mit Hilfe eines virtuellen Agenten (Methode 1) im Golfsimulationsspiel üben. Weitere zwei Gruppen übten das Putting unter Zuhilfenahme einer dynamischen Balkengraphik im Golfspiel (Methode 2). Die fünfte Gruppe diente als Kontrollgruppe und erhielt kein spezifisches Training.

Die Autoren fanden einen positiven Transfer auf die Puttingleistung unter realen Bedingungen, für die Methode 2 (Balkengraphik). Die Methode 1 (virtueller Agent) brachte keine Vorteile hinsichtlich der realen Puttingleistung. Es ist anzunehmen, dass die Versuchspersonen durch die Golfsimulation auf perzeptuell-kognitiver Ebene eine adäquate Effektrepräsentation hinsichtlich der Kraftdosierung beim Golfschwung entwickelten und diese bei der realen Ausführung des Puttens nutzen konnten.

Allerdings ist auch anzunehmen, dass sich bei Nutzung von Methode 1 (virtueller Agent) gerade deshalb kein positiver Transfer zeigte, weil die Versuchspersonen beim virtuellen Putten im Vergleich zu Methode 2 eine zusätzliche Transformation von horizontaler Mausbewegung (Eingabe) und vertikaler Schwungbewegung (Effekt) herstellen mussten. Eine im digitalen Spiel umgesetzte Symmetrie zwischen realem und virtuellem (Bewegungs-)Effekt könnte im Umkehrschluss dazu führen, dass sich deutliche Transferwirkungen finden lassen, welche im optimalen Fall einem motorischen Training vergleichbar sind.

Zur Überprüfung der skizzierten Annahme, sollten Versuchspersonen in einer Serie von eigenen, aufeinander aufbauenden Experimenten sportliche Bewegungen mit dem Nintendo Wii-System erlernen und optimieren. Die Forschungsleitende Hypothese in der nachfolgend dargesteiften Untersuchung war: Wenn Personen Golf-Putting mit einem digitalen Golfspiel lernen, dann verbessern sie ihre Leistung in gleicher Weise wie Personen welche Golf-Putting motorisch lernen. Obwohl im virtuellen Golf-Putting ein verändertes sensomotorisches Feedback (u. a. fehlende taktile Informationen über das Treffen des Balles) vorliegt, die Bewegung jedoch keine hohe Komplexität aufweist, wurde ferner vermutet, dass die Lernpersistenz beim Videospiel-Training ebenfalls einem motorischen Training vergleichbar ist.

N = 27 Sportstudierende (After: 26 +1- 2 Jahre) ohne Vorerfahrung im Golf nahmen an einer Untersuchung zur Verbesserung ihrer Putting-Leistung teil. Die Studierenden wurden zufällig einer von drei Gruppen zugeordnet: 1. Digital-Game-Gruppe (DGG), 2. Putting-Training-Gruppe (PTG) und 3. Kontrollgruppe (KG). Die Versuchspersonen der DGG spielten das Golfspiel Tiger Woods PGA Tour 08 im sogenannten MiniPutt-Modus auf der Nintendo Wii-Konsole (Abbildung 1). Der Wii Remote Controller wurde dazu an einem Golfschläger befestigt. Die Versuchspersonen der PTG übten das Putten auf einem Putting-Green im Labor mit einem Puttingschläger (Abbildung 2). Die Versuchspersonen der KG erhielten kein Putting Training.

Das Design der Untersuchung bestand aus vier Phasen: 1. Prätest, 2. Intervention, 3. Posttest und 4. Retentionstest. In allen Testphasen (Prä, Post und Retention) sollten die Versuchspersonen 30 Putts (inklusive 4 Übungsversuche) auf einem 4.20 m langen Putting-Green ausführen. Als abhängige Variable wurde die Anzahl eingelochter Bälle erfasst.

Für die Versuchspersonen der DGG und der PTG bestand die Intervention aus sechs 25-minütigen Sitzungen welche über einen Zeitraum von 3 Wochen (2 Sitzungen pro Woche) durchgeführt wurde. In jeder Übungssitzung fand eine fünfminütige Erwärmung und Beweglichmachung statt. In einer anschließenden 20-minütigen Übungsphase sollten die Versuchspersonen insgesamt 50 Putts durchführen. Die Versuchspersonen der DGG spielten dazu den MiniPutt Modus des Spiels Tiger Woods PGA Tour 08. Die Versuchspersonen der PTG übten die Putts auf einem Putting Green (siehe Abbildung 2). In beiden Gruppen wurden von Sitzung zu Sitzung die Anforderungen beim Putting (unterschiedliche Distanzen zum Loch, unterschiedliche Neigungswinkel) systematisch variiert. Die Versuchspersonen erhielten die gleichen standardisierten Instruktionen zur Technik des Golfputts, jedoch kein zusätzliches verbales Feedback. Der Posttest wurde drei Tage nach Abschluss der Letzten Trainingssitzung durchgeführt. Der Retentionstest fand zwei Wochen nach dem Posttest statt.

Die Versuchspersonen der DGG und der PTG zeigen im Prätest keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich ihrer Puttingleistung im Vergleich zur Kontrollgruppe (Kontrastschätzer = 4.11, p = .03, siehe Abbildung 3), jedoch eine höhere absolute Putting Leistung im Posttest (Kontrastschätzer = 6.00, p = .02) und Retentionstest (Kontrastschätzer = 4.11, p = .02). Ferner existiert kein signifikanter Unterschied zwischen DGG und PTG beim Prä-, Post- und Retentionstest (Kontrastschätzer Prätest = 0.22, p = .83, Kontrastschätzer Posttest = 0.88, p = .52 und Kontrastschätzer Retentionstest 1.88, p = .07). Die DGG weist jedoch im Vergleich zur PTG eine größere Abnahme in ihrer Puttingleistung vom Post- zum Retentionstest auf. Beim Test aller Effekte konnte ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Gruppe und Testzeitpunkt, F (4,48) = 2.79, p = .04, Cohens' f = 0.48, gefunden werden. Ferner fand sich ein signifikanter Haupteffekt für den Faktor Zeitpunkt, F (1.39, 33.41) = 13.19, p < .05, Cohens' f = 0.74, jedoch kein signifikanter Haupteffekt für den Faktor Gruppe, F (2,24) = 2.77, p = .08, Cohens' f = 0.48, power = .70.


Diskussion und Fazit

Digital-Garne-Training (DGT) hat einen positiven Einfluss auf das Bewegungslernen bei kleinmotorischen Bewegungen, welcher einem motorischen Training vergleichbar ist, insbesondere dann, wenn das DGT auch motorische Komponenten beinhaltet, welche die reale Bewegung zumindest in Teilen abbilden. Dies ist insbesondere deshalb interessant, da Probanden durch das Videospiel ein - gegenüber dem motorischen Training - unterschiedliches propriozeptives Feedback in Kombination mit begleitendem visuellen Feedback erhalten (vgl. FERY & PONSERRE 2001). Die Befunde anderer Autoren (z.B. HEBBEL-SEEGER 2008; SOHNSMEYER 2009) unterstützen diese Schlussfolgerung.

Durch die prinzipiell beliebige Ausgestaltung virtueller Umgebungen in Kombination mit einer Möglichkeit zur sportnahen Interaktion mit virtuellen Agenten könnte ein DGT in Zukunft zu einer Unterstützung für traditionelle Verfahren des sportlichen Trainings werden.

So ist es vorstellbar, dass zukünftige digitale Spiele die Option beinhalten, reale Daten des Spielers in Form von anthropometrischen, kinematischen und dynamischen Kenngrößen bei Bewegungen unterschiedlicher Komplexität zu importieren und diese in Echtzeit auf einen virtuellen Agenten zu übertragen. Der Spieler könnte dann den virtuellen Agenten durch seine eigene Bewegungen steuern. Dies heißt, dass DGT im Sinne der Selbstmodellierung (z.B. MCCULLAGH & WEISS 2001) und Bewegungsexploration (z. B. BERNSTEIN 1967) zur Unterstützung psychomotorischer Trainingsverfahren eingesetzt werden kann.

Die Spielindustrie könnte bereits jetzt stärker von der Expertise der Sportwissenschaft (und angrenzender Disziplinen) profitieren. So könnte beispielsweise die Sportpsychologie oder Sportbiomechanik dazu beitragen, bestehende Spielkonzepte oder Interfacesysteme weiter zu entwickeln, die den Grad an simulierter Realität erhöhen (z. B. durch den vermehrten Einsatz von Feedback Systemen, oder durch die Implementierung experimentell abgesicherter Effekte in den Spieleengines).

Allgemein ist zu erwarten, dass sich in Zukunft eine differenziertere Forschung zu den Mechanismen und Ebenen des Transfers digitaler Spiele im Sport entwickeln wird (WIEMEYER 2009).


Literatur bei den Autoren.


Dr. Thomas Heinen, Diplom-Sportwissenschaftler (DSHS), Promotion in Sportwissenschaft mit den Fächern Psychologie und Biomechanik (DSHS). Seit 04/2007 Post-Doktorand in der Abteilung Leistungspsychologie (Leitung: Prof. Dr. Dr. Markus Raab) am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Schwerpunkt in der Forschung: Visuelle Wahrnehmung bei komplexen Bewegungen, Übungsbedingungen beim motorischen Lernen.
E-Mail: t.heinen@dshs-koeln.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Foto einer Versuchsperson beim DGT der skizzierten
Untersuchung zum Erlernen und Optimieren des Golf-Puttings.

Abb. 2: Fotos vom Versuchsaufbau (Putting-Test).

Abb. 3: Absolute Puttingleistung (Mittelwert und Standardabweichung) der Digital-Game-Gruppe (DGG), der Putting-Training-Gruppe (PTG) und der Kontrollgruppe (KG) im Prä-, Post- und Retentionstest.


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Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln
Nr. 2/2009 (14. Jahrgang), Seite 4 - 7
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln
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F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2010