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FORSCHUNG/2267: Leben aus dem Eis - Langzeitlagerung menschlicher Zellen (Unimagazin Hannover)


Unimagazin Hannover - Ausgabe 01/02 - 2010
Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover
Mitteilungen des Freundeskreises der Universität Hannover e.V.

Leben aus dem Eis

Neue Techniken bei der Kryokonservierung ermöglichen die Langzeitlagerung menschlicher Zellen


In der Kryokonservierung werden Zellen, Gewebe oder Organe bei tiefen Temperaturen von bis zu -196 Grad Celsius gelagert. Ziel ist eine schonende Langzeitlagerung. Allerdings entstehen beim Einfrieren und Auftauen dieser biologischen Proben durch Eiskristallbildung Zellschädigungen. Eine Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler vom Institut für Mehrphasenprozesse beschreiben die Entwicklung neuartiger Kryotechniken, mit deren Hilfe diese Zellschädigungen minimiert werden können. So kann gewährleistet werden, dass die Zellen den Frier- und Auftauvorgang überleben und in der Regenerativen Medizin zum Einsatz kommen können.


Im Bereich der Medizin ermöglicht die Kryokonservierung die Langzeitlagerung von biologischem Material, ohne dass dieses seine Lebens- und Funktionsfähigkeit verliert. Der angestrebte Zustand, der eine übermäßige Schädigung des Materials über große Zeitspannen hinweg verhindert, kann durch die verwendeten tiefen Temperaturen unterhalb von -135 Grad Celsius erreicht werden, weil dort die Geschwindigkeit der biochemischen Reaktionen stark verringert ist. Da allerdings alle lebenden Organismen zu großen Teilen aus Wasser bestehen, führt die Kryokonservierung in der Regel zur Bildung von Eis, was mit schädigenden Effekten für das biologische Material verbunden ist. Die dadurch beeinflusste Lebens- und Funktionsfähigkeit kryokonservierter Zellen und Gewebe hängt dabei in hohem Maße von den verwendeten Kühl- und Auftauraten ab. Es kann allgemein unterschieden werden zwischen den bei hohen Kühlraten vorkommenden nachteiligen Folgen durch intrazelluläre Eisbildung und den bei niedrigen Kühlraten (0,1 bis 1 Kelvin pro Minute) auftretenden osmotisch bedingten Zellschädigungen, wie etwa Zelldehydrierung. Gemessene Überlebensraten bilden, aufgetragen für unterschiedliche Kühlraten, daher ein "inverted U". Es ist zu beachten, dass der auf diese Weise kenntlich gemachte Bereich optimaler Kühlraten je nach Zellart stark variiert und außerdem von der Nukleationstemperatur beeinflusst wird, da die Zellmembran bei unterschiedlichen (Nukleations-) Temperaturen ungleiche Durchlässigkeit und Dehydration aufweist.


Gefrierschutzmittel

Durch die Zugabe eines Gefrierschutzmittels, Kryoprotektiv genannt, können höhere Zellüberlebensraten erzielt werden. Dies ist realisierbar, da Kryoprotektiva eine Verbreiterung des Bereichs optimaler Kühlraten bewirken können. Außerdem ermöglichen sie eine Absenkung zu insgesamt niedrigeren optimalen Kühlraten, so dass der Prozess mit geringerem technischen Aufwand realisiert werden kann. Bei dem üblich verwendeten Kryoadditiv Dimethylsulfoxid (DMSO) ist die Substanz aufgrund ihrer temperaturabhängigen zelltoxischen Eigenschaft nach dem Auftauen wieder aus der Zelle oder dem Gewebe zu entfernen. Daneben ist bereits bei der Zugabe durch die entstehenden Konzentrationsunterschiede mit schädigenden osmotischen Effekten zu rechnen. Am Institut für Mehrphasenprozesse (IMP) werden daher zurzeit in REBIRTH-Studien alternative Substanzen - "Compatible Solutes" - wie die Aminosäuren Prolin und Ectoin auf ihre Wirksamkeit untersucht. Der genaue Wirkmechanismus dieser Protektiva, ihr Einfluss auf Zellvolumenänderungen und osmotische Belastung der Zellmembranen sind noch nicht ausreichend bekannt.


Neue Kryotechniken

Wichtig ist die homogene Verteilung dieses Additivs im 3dimensionalen Gewebeverband oder in der Zellsuspension - bei Erythrozytenspenden spricht man von Volumina von 500 Millilitern. Die Äquilibrierung wird zurzeit am IMP berührungslos und nichtinvasiv mittels Computertomographie über die Auswertung der so genannten Houndsfield-Units ermittelt. Für jede Zell- und Gewebeart muss ein spezifisches Einfrier- und Auftauprotokoll entsprechend der Zwei-Faktor-Hypothese nach Bild 1 gefunden werden. Dieses Prozedere kann sich als sehr zeitaufwändig und kostenintensiv herausstellen. Insbesondere seltene und teure Zellarten stellen aufgrund des notwendigen Zellprobenvolumens Einschränkungen dar. Einen Ausweg bietet ein Friergerät, in dem kleinste Probenvolumina in kurzer Zeit parallel mit verschiedenen Frierprotokollen auf hohe Überlebensraten vitaler funktionstüchtiger Zellen untersucht werden können. Ein weiterer Parameter der Optimierung von Kryokonservierungsprozessen betrifft die Nukleation. Reines Wasser kann bis zu -41 Grad Celsius unterkühlt werden, ehe es gefriert. Der Grund für das Auftreten einer Unterkühlung ("supercooling") ist eine kinetische Hinderung der Phasenneubildung. Unter "Seeding" versteht man die Auslösung des Phasenübergangs des Wassers in der Probe in die feste Eisphase. Mit einer aktiven Kontrolle dieser Nukleationstemperatur kann die sonst durch spontane Nukleation gefrierende Zellsuspension prozesstechnisch kontrolliert werden. Da die Eigenschaften der Zellmembranen temperaturabhängig sind, ist eine optimale Nukleationstemperatur für jede Zellart zu erwarten.


Aktive Nukleation von unterkühlten Zellsuspensionen und Geweben

Die aktive Nukleation, bei der die Eiskristallbildung bei definierten, unterkühlten Temperaturen kontrolliert eingeleitet wird, bietet die Möglichkeit, die Zellschädigungen gering zu halten. Am Institut für Mehrphasenprozesse wurden hierzu Entwicklungen von so genannten Frierblöcken durchgeführt, die eine aktive Nukleation der biologischen Proben ermöglichen. Bild 3a zeigt einen Frierblock, der auf dem Prinzip des "Elektrofreezing" basiert. Hierbei wird die Nukleation bei acht biologischen Proben parallel mittels eines Hochspannungspuls von drei Kilovolt eingeleitet. Bild 3b zeigt diesen Frierblock im geöffneten Zustand.

Die biologischen Proben befinden sich dabei innerhalb des Systems in acht parallel angeordneten, kommerziell erhältlichen Kryoröhrchen. Jedes Kryoröhrchen ist mit einer separaten Kammer, die mit einer so genannten Induktionslösung gefüllt ist, verbunden. In diese Induktionslösung kann mit Hilfe von Hochspannungselektroden bei definierter Temperatur eine Nukleation ausgelöst werden. Der entstehende Eiskristall wächst zur Probe und lässt diese im Kryoröhrchen gefrieren. Die Ansteuerung der Hochspannungselektroden sowie die Erfassung der Temperatur der Proben erfolgt mit einer unter Labview® erstellten Software. Das System wurde unter verschiedenen Betriebsbedingungen getestet. Variiert wurden dabei die Zusammensetzung der Induktionslösung, die Kühlrate und die Nukleationstemperatur. In einer Studie wird der Einfluss der Nukleationstemperatur auf die Überlebensrate von Endothelzellen unter Variation der Konzentration an Frierschutzmitteln mit dem Elektrofreezing-System ermittelt.

Erste Tests haben ergeben, dass die aktive Nukleation bei höheren Temperaturen einen positiven Effekt auf die Vitalität kryokonservierter Proben hat. Endothelzellen, die mit 5 Prozent DMSO eingefroren wurden, zeigten bei -20 Grad Celsius eine spontane Nukleation mit circa 80 Prozent membranenintakten Zellen, während die kontrollierte Nukleation bei -12 Grad Celsius zu 90 Prozent Überlebensrate führte. Bei Nukleationstemperaturen über -10 Grad Celsius sank die Überlebensrate auf 70 Prozent. Im Weiteren wird untersucht, ob durch die Kontrolle der Nukleation die Konzentration gängig eingesetzter, toxischer Frierschutzmittel wie DMSO verringert werden kann.


Entwicklung eines µ-Freezers

Nur wenn optimale Frierbedingungen herrschen - insbesondere nichtschädigende osmoregulatorische Wärme- und Stofftransporte - überleben die Zellen den Frier- und Auftauvorgang. Zur erfolgreichen Kryokonservierung ist eine optimale Prozessführung mit optimalen, zelltypspezifizischen Prozessparametern (Kühl-/Heizrate, Nukleationstemperatur, Art und Konzentration des Kryoprotektivs) notwendig. Bei der Prozessführung spielen Probengeometrie, thermische Materialeigenschaften sowie Art der Kühlung eine entscheidende Rolle. Bei großen Proben mit schlechter Wärmeleitung sind die erforderlichen Kühlparameter nur sehr bedingt zu gewährleisten. Wichtig wird die Optimierung insbesondere bei seltenen oder teuren Zellen wie Stammzellen. Hier sollte es möglich sein, mit kleinen Probenvolumina und damit geringen Zellzahlen in kurzer Zeit optimale Kühlprotokolle mit der erforderlichen statistischen Sicherheit zu evaluieren. Zur Optimierung stehen im besten Fall gewöhnlich nur kommerzielle "Controlled Rate Freezer" zur Verfügung, die durch ihren Aufbau nur in der Lage sind, einen Parametersatz gleichzeitig zu testen. Um eine schnelle Untersuchung der wichtigen Parameter zu ermöglichen, hat das Institut für Mehrphasenprozesse einen so genannten µ-Freezer entwickelt, der eine Bearbeitung von bis zu 12 Kühlratenprotokollen in einem Arbeitsschritt bei 96 Proben à 200 Mikrolitern (µL) erlaubt. Bei den Probengefäßen handelt es sich um Standard PCR-Röhrchen (200 µL) da diese eine homogene Wandstärke aufweisen, die für eine gute Wärmeleitung von großer Bedeutung ist. Auch der geringe Querschnitt und die kleine Geometrie sorgen für eine homogene Temperaturverteilung über dem Probenquerschnitt. Die gewählte achtteilige Anordnung der Probengefäße erlaubt die Befüllung mittels Multipipette.

Zur Temperierung wird das so genannte "Power-Down Verfahren" verwendet. Der µ-Freezer besteht aus einem Kühlblock, der mit flüssigem Stickstoff (LN2) abgekühlt wird. Auf diesem Kühlblock befinden sich die eigentlichen Probeaufnahmen, die über Wärmeleitung von dem Kühlblock gekühlt werden. Damit eine gute Regelung der Kühlraten gewährleistet werden kann, werden die Probenhalter durch geeignete Heizelemente gegen die unten eingebrachte Kühlung beheizt. Durch Regelung der eingebrachten Heizleistung ist es somit möglich, die Kühlrate der Probenhalter zu steuern. Da eine parallele Betrachtung von unterschiedlichen Kryoprotokollen realisiert werden soll, wurden insgesamt 12 Probenhalter mit jeweils 8 Probenplätzen sowie einem Probenplatz zur Temperaturmessung auf dem Kühlblock installiert. Diese Probenhalter haben jeweils ein getrennt steuerbares Heizelement.


Einsatz des µ-Freezers bei mesenchymalen Stammzellen

Häufig werden mesenchymale Stammzellen in der Laborpraxis in einen wattierten Umschlag eingepackt und in einer -80 Grad Celsius Kühltruhe unkontrolliert eingefroren. Diese Praktik kann keine gleichbleibende Qualität der eingefrorenen Stammzellen gewährleisten, da die Konservierung von zahlreichen Faktoren (hier der Art der Wattierung, der Position in der Kühltruhe, Umschlagmaterial und Einfluss des Bearbeiters) beeinflusst wird. Für die Standardisierung dieses Prozesses wird der µ-Freezer verwendet. Zunächst wurden verschiedene Kryoprotektiva bei unterschiedlichen vordefinierten Kühlraten untersucht. Die Qualität der Kryokonservierung wurde durch Messung der Zellaktivität (Metabolismus) nach dem Tauen mittels AlamarBlue® Test verifiziert. Bisher lieferten Kryoprotokolle mit niedrigen Kühlraten im Bereich von 5 Kelvin pro Minute und 10 Prozent DMSO vorläufig die besten Ergebnisse für mesenchymale Stammzellen. Die kryokonservierten Stammzellen werden zum Nachweis ihrer Funktionalität nach dem Tauen rekultiviert und osteogen zu Knochengewebe und adipogen zu Fettgewebe differenziert. Zusätzlich wurden Kollagenscaffolds mit aufgetauten Stammzellen besiedelt und osteogen differenziert. Die erfolgreiche Differenzierung als Nachweis der Stammzellfunktionalität nach dem Tauen konnte anhand von Calciumphosphatbildung mit von Kossa Färbung sowie anhand der Bildung von Kollagen Typ II mit Rotfärbung sichtbar gemacht werden. In weiteren Studien werden nun Stammzell-Proben zusätzlich mit alternativen Kryoprotektiva in einem engeren Kühlratenraster untersucht, damit zukünftig auf DMSO aufgrund seines Differenzierungspotenzials sowie seiner bei Temperaturen über 4 Grad Celsius zelltoxischen Wirkung verzichtet werden kann.

Die Studie hat bisher zeigen können, dass sich bei der Nutzung des µ-Freezers bis zu 91,5 Prozent der Optimierungszeit, nur den Kühlvorgang betrachtet, einsparen lassen. Neben dieser Zeitersparnis wird aufgrund des geringen notwendigen Probenvolumens ebenfalls Probenmaterial dieser seltenen Zellen reduziert. Das Gerät erlaubt die Einstellung von Kühlraten bis 26 Kelvin pro Minute im Bereich bis -30 Grad Celsius sowie bis 11 Kelvin pro Minute im Bereich von -30 bis -80 Grad Celsius. Insgesamt können bis zu 3stufige Protokolle eingestellt und 96 Proben parallel untersucht werden.

Wird auf Grundlage der bisherigen Forschungsergebnisse die Zukunft der Kryobiologie diskutiert, scheint eine viel versprechende, positive Schlussbetrachtung realistisch. Durch die Einbindung neuer Erkenntnisse in die Gestaltung von Kryokonservierungsprozessen könnten viele Herausforderungen in der Zukunft erfolgreich überwunden werden. Ein bisher unerrreichtes Ziel im Bereich der Kryokonservierung bleibt derzeit noch die Deckelung des klinischen Bedarfs an humanen Gewebetransplantaten. Diese werden sowohl mengenmäßig als auch bezüglich ihrer Art in zunehmendem Maße benötigt. Eine ausreichende Bereitstellung von Gewebeersatz für Patienten/ innen zum Bedarfszeitpunkt ist aber durch die Einrichtung von Gewebebanken (Tissue Banking) vorstellbar, sofern eine Lagerung mittels Kryokonservierung die für eine Transplantation notwendige Funktion des biologischen Materials sicherstellen kann.

Während eine solche erfolgreiche Kryokonservierung bei einigen Gewebearten wie etwa Haut bereits möglich ist, bestehen im Bereich von großen, vaskularisierten Geweben und Organen erhebliche Schwierigkeiten. Ist die Funktionalität eines Transplantats durch die Existenz lebensfähiger Zellen gegeben, so müssen dafür verlässliche Testverfahren verfügbar sein.


Danksagung

Diese Forschungsarbeiten wurden finanziell durch die DFG im Rahmen des Excellenzclusters REBIRTH (EXC 62/1) unterstützt.


Prof. Dr.-Ing. Birgit Glasmacher Jahrgang 1958, leitet seit 2006 das Institut für Mehrphasenprozesse an der Leibniz Universität Hannover und ist Sprecherin des Vorstands des Zentrums für Biomedizintechnik (zbm) der Fakultät für Maschinenbau. Sie ist Generalsekretärin der European Society for Artificial Organs sowie Vorstandsmitglied der International Federation for Artificial Organs. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen den Bereichen mehrphasiger Strömungen, Visualisierung und Simulation sowie Verfahrenstechnik in der Medizin (Tissue Engineering, Kryo-, Bioreaktor- und Scaffoldtechnik).
Kontakt: glasmacher@imp.uni-hannover.de

Dipl.-Ing. Ralf Spindler, M.Sc. Jahrgang 1971, arbeitet seit 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mehrphasenprozesse an der Leibniz Universität Hannover im Bereich der Kryotechnik und Kryomikroskopie.
Kontakt: spindler@imp.uni-hannover.de

Dipl.-Ing. Florian Evertz Jahrgang 1978, arbeitet seit 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mehrphasenprozesse an der Leibniz Universität Hannover im Bereich der Kryotechnik; er betreut zudem den Masterstudiengang Biomedizintechnik.
Kontakt: evertz@imp.unihannover.de


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Quelle:
Unimagazin Hannover, Ausgabe 01/02 - 2010, Seite 12-17
Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover
Mitteilungen des Freundeskreises der Universität Hannover e.V.
Herausgeber: Das Präsidium der Leibniz Universität Hannover in
Verbindung mit dem Freundeskreis der Universität Hannover
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Das Heft kostet 6,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010