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GESUNDHEIT/808: PEKiP - Frühe Hilfen für Kleinstkinder und ihre Eltern (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2010

PEKiP
Frühe Hilfen für Kleinstkinder und ihre Eltern

Von Judith Eick


PEKiP soll eine gesundheitsbewusste Erziehungseinstellung der Eltern und ein entspanntes Akzeptieren kindlicher Verhaltensweisen ermöglichen.


Das Prager Eltern-Kind-Programm (PEKiP) unterstützt nicht nur die motorische, sensorische und geistige Entwicklung von Säuglingen. PEKiP ist auch bei Bindungsproblemen zwischen Eltern und Kind ein frühes und komplexes Präventionsangebot.

Um sich gesund entwickeln zu können, brauchen Kinder die Aufmerksamkeit ihrer Eltern - und, das hat der Prager Psychologe Dr. Jaroslav Koch bereits in den 1950er Jahren herausgefunden: Bewegung. Säuglinge brauchen spielerische Bewegung ebenso wie Nahrung und Wärme, um körperlich und mental zu wachsen und sich stabilisieren zu können. Das Prager Eltern-Kind-Programm basiert auf seinen Erkenntnissen, die inzwischen mehrfach wissenschaftlich belegt sind. Gegenwärtig gibt es bundesweit rund 1.750 Einrichtungen, die unter der Leitung ausgebildeter PEKiP-Gruppenleiterinnen regelmäßige Spielgruppen für Babys im ersten Lebensjahr anbieten. Allein in Schleswig-Holstein sind es rund 400. Auch in Österreich und der Schweiz wird das gruppenpädagogische Programm praktiziert.

Die PEKiP-Gruppenarbeit beginnt mit Müttern oder Vätern und ihren Babys im Alter von vier bis sechs Wochen. Ein Kurs besteht aus bis zu 40 wöchentlichen Kurseinheiten bei einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten. Die Gruppentreffen mit sechs bis maximal acht Kindern begleiten idealerweise das gesamte erste Lebensjahr des Kindes. Dass sich die Babys nackt in einem warmen Raum bewegen, geht ebenfalls auf die Prager Ursprünge des Programms zurück. Koch fand damals heraus, dass sich Kinder unbekleidet spontaner und intensiver bewegen. Das Kursangebot wird durch Elterngesprächsrunden zu Themen wie Ernährung, Unfallverhütung, Sprachentwicklung u. a. ergänzt. Die Unterstützung der geistigen und motorischen Entwicklung des Kindes und die Stärkung der Elternkompetenz durch fachliche Begleitung werden im PEKiP gleich stark gewichtet. Das Präventionspapier des Vereins verweist zudem auf mehrere Studien, die die positive Wirkung der frühzeitigen motorischen Stimulation auf die Gesamtentwicklung des Kindes bestätigen.

Der PEKiP e.V. formuliert folgende präventive Ziele:

- das Kind durch Bewegungs-, Sinnes- und Spielanregungen in seiner Entwicklung zu begleiten und zu fördern,
- die Beziehung zwischen Kind und Eltern zu stärken und zu vertiefen,
- den Erfahrungsaustausch und den Kontakt der Eltern untereinander zu fördern,
- Kontakte der Kinder zu Gleichaltrigen und zu anderen Erwachsenen zu ermöglichen.

Der Idee des Nationalen Zentrums für frühe Hilfen (NZFH) folgend, wird in Zusammenarbeit mit Jugendämtern, Kinderärzten und Bildungseinrichtungen PEKiP nun auch vermehrt in soziale Frühwarnsysteme integriert, so Angelika Nieder vom PEKiP e. V. in Duisburg. Das Ziel ist, zukünftig vermehrt Eltern im Jugendalter, untere Bildungsschichten und Familien mit Migrationshintergrund zu erreichen, letztere auch oder eher im Sinne eines sozialen Integrationsangebots. In Baden-Württemberg beispielsweise hat der Kommunalverband für Jugend und Soziales das landesweite Programm "Stärke" ins Leben gerufen. Durch gezielte Förderung der Elternkompetenzen, insbesondere der Erziehungskompetenzen, sollen Kinder gestärkt und ihre Entwicklungsmöglichkeiten verbessert werden.

Auch hier wird bereits bei den Jüngsten angesetzt: Eltern von Neugeborenen erhalten Gutscheine im Wert von 40 Euro, die sie unter anderem für einen PEKiP-Kurs einlösen können. Krankenkassen, die sich das Stichwort Prävention in den letzten Jahren auf die Fahne geschrieben haben, prüfen die Förderung des PEKiP. Bei verschiedenen Krankenkassen erhalten Eltern bei Vorlage einer Teilnahmebescheinigung über den Besuch eines PEKiP-Kurses Bonuspunkte und in Einzelfällen möglicherweise auch Kursgebühren rückerstattet. Eltern sollten sich mit ihrer Krankenkasse in Verbindung setzen. Die seit 2003 geltende Frühförderungsverordnung für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder greift bei den oben beschriebenen Risikogruppen jedoch nicht.

"Die ersten 18 Monate entscheiden, ob das Kind im späteren Leben Beziehungsfähigkeit erlangt und seine Affekte angemessen regulieren kann", so der Neurologe Dr. Jürgen Wettig (Dt. Arztebl. 2006; 103: A 2298-2301). Wird das von Geburt an bestehende und lebensnotwendige biologische Bedürfnis nach Bindung verlässlich erfüllt, entwickelt das Kind Urvertrauen. Dieses Urvertrauen wiederum ist die Voraussetzung, um zu einer starken Persönlichkeit heranreifen zu können, argumentiert Wettig weiter. Die inzwischen unstrittige Tatsache, dass die neuronalen Verschaltungen im Gehirn unmittelbar mit der erfahrenen Sozialisation der ersten drei Lebensjahre zusammenhängen, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung.

Die intakte Eltern-Kind-Bindung bildet jedoch nicht nur die Grundlage für eine optimale Persönlichkeitsentwicklung. Die Erfahrungen der ersten Lebensjahre - so besagen neuere Studien an der University of British Columbia - sind auch von Bedeutung für die spätere physische Gesundheit: "We've identified some 'biologic residue' of people's early-life experience that sticks with them into adulthood", so Gregory Miller, Studienleiter des Forschungsteams an der UBC (PNAS, July 14, 2009). Die Erfahrungen, die Kleinkinder in der ersten Lebenszeit machen, haben unter anderem Auswirkungen auf die Entwicklung des Immunsystems, so die Ergebnisse. Die Folgen können bis in die fünfte und sechste Dekade des Erwachsenenalters hineinwirken und die Entstehung chronischer Erkrankungen bzw. die Resistenz gegen diese im Alter beeinflussen. "The study suggests that experiences get under the skin", fasst es Michael Kobor, Teamkollege Millers und Wissenschaftler am Centre for Molecular Studies & Therapeutics, zusammen. Beim PEKiP geht es weder um einen leistungsorientierten Frühstart des Babys noch um die Perfektionierung des Elternwissens. Es geht um eine gesundheitsbewusste Erziehungseinstellung der Eltern, um ein entspanntes Akzeptieren der kindlichen Verhaltensweisen und um eine angemessene Reaktion auf diese. PEKiP ist daher auch gut für Eltern, die sich und ihr Kind unter Leistungsdruck setzen und sich und ihre Elternschaft - aus welchem Grund auch immer - unter zu hohe Erfolgserwartungen stellen. "Es geht darum, die Kinder in ihrer Ganzheit zu entfalten, ihre Sinne, ihr Spielverhalten, ihr Denken, ihr Sprechen, ihre Gefühle, ihre Verhaltensweisen (...)", hat es Jaroslav Koch Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts formuliert. Anfügen ließe sich: Entfalten lassen, so wie unsere Kinder sind, und nicht, wie wir sie uns vorstellen oder wie wir sie haben möchten. Unsere Kinder entwickeln sich spielend. Und richtig gut wird es, wenn die Eltern - im doppelten Sinne - mitspielen.


Kontakt:
Prager Eltern-Kind-Programm PEKiP e.V.
Verein für Gruppenarbeit mit Eltern und ihren Kindern im 1. Lebensjahr
Am Böllert 7, 47269 Duisburg
Tel. 0203/712330, Fax 0203/712395, E-Mail: info@pekip.de


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201004/h10044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Unterstützung der Entwicklung des Kindes und die Stärkung der Elternkompetenz sind im PEKiP gleich stark gewichtet.


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2010
63. Jahrgang, Seite 32 - 33
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
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www.aerzteblatt-sh.de

Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2010