Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

AUSLAND/1879: Pakistan - Kinder in Taliban-Gebieten dürfen jetzt Schutzimpfungen erhalten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. September 2012

Pakistan: Kinder in Taliban-Gebieten gegen Polio geimpft - Extremisten geben Widerstand auf

von Ashfaq Yusufzai


Kinder in den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) werden gegen Polio geimpft - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Kinder in den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) werden gegen Polio geimpft
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 27. September (IPS) - Hunderttausende Kinder in den nordwestpakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) mussten jahrelang auf die Polio-Schutzimpfung warten. Die radikal-islamischen Taliban hatten die Immunisierungen verboten. Nach einer massiven Kampagne der Regierung und der Zivilgesellschaft wurden aber im September rund 600.000 Kinder geimpft. Weitere 300.000 konnten noch nicht erreicht werden.

Die Taliban hatten zuvor erklärt, die USA wollten die Bevölkerung mit den Impfungen unfruchtbar machen, um die Zahl der Muslime zu begrenzen. Die verbotene islamistische Organisation 'Tehreek Taliban Pakistan' (TTP) untersagte im Juni Impfungen im Norden Waziristans und brachte damit rund 161.000 Kinder in akute Ansteckungsgefahr. Kurz darauf verbot die Gruppe in Süd-Waziristan Immunisierungen gegen acht Krankheiten: Polio, Masern, Diphterie, Hepatitis, Meningitis, Keuchhusten, Influenza und Lungenentzündung.

"Jeder, der an den Impfaktivitäten beteiligt war, wird streng behandelt", teilte TTP-Sprecher Ihsanullah Ihsan mit. Auch ausgebildetes medizinisches Personal wollten die Islamisten nicht verschonen. "Die Taliban haben ihre Botschaft laut und deutlich verkündet", erklärte der Leiter der Gesundheitsbehörde in den FATA, Fawad Khan. Die Extremisten seien für ihren barbarischen Umgang mit Gegnern bekannt, sagte er. "Sie enthaupten Soldaten und Zivilisten, denen sie Spionage vorwerfen, steinigen 'Sünder' ('Ehebrecher) und führen gezielte Morde durch."

Mehr als 6.000 Gesundheitsarbeiter in den FATA wurden laut Khan dazu aufgefordert, keine Impfungen mehr durchzuführen. Anfang September hatten jedoch Behördenvertreter eine Kampagne gegen die Taliban begonnen. Die unabhängige pakistanische Nationale Forschungs- und Entwicklungsstiftung sowie Religionsgelehrte wurden beauftragt, mit der verbotenen Bewegung 'Ansar ul Islam' über die Bedingungen für ein Impfprogramm zu verhandeln.

Am 4. September wurden die Impfungen eingeleitet, wie der Leiter der Sozialbehörde der FATA, Aftab Akbar Durrani, erklärte. Dank der Kooperation von Ansar ul Islam konnten demnach 95 Prozent der Kinder in der Region Tirah im Stammesgebiet Khyber immunisiert werden.

"Dies ist ein Durchbruch, nachdem viele frühere Bemühungen zur Impfung von Kindern in den von den Taliban kontrollierten Gebieten gescheitert sind", sagten Vertreter der Regierung gegenüber der englischsprachigen Zeitung 'Dawn'. 32.641 Kinder der Region Tirah seien vor Polio geschützt worden, weitere 11.626 gegen Masern. 3.889 Neugeborene erhielten zudem zwischen dem 4. und dem 6. September Impfungen gegen fünf weitere Krankheiten.


Islamisten sahen Gesundheitsrisiken ein

"Ansar ul Islam und Religionsführer, die der Gruppe nahe stehen, haben verstanden, dass das Polio-Virus lebenslange Behinderungen verursachen kann. Deshalb sind sie bereit, die Initiative zu unterstützen", hieß es von offizieller Seite. Lediglich vier Familien hatten sich geweigert, ihre Kinder impfen zu lassen, auch sie sollen noch überzeugt werden. "Ansar ul Islam hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass wir gegen die Vorbehalte in der Bevölkerung angehen konnten", sagten die Behördenvertreter.

Etwa die Hälfte der Kinder in Bara, einer Stadt in Khyber, waren seit Oktober 2009 nicht mehr gegen Polio geimpft worden, da in der Region eine Offensive gegen die islamistischen Extremisten im Gang war.

Die Behörden haben daher eine neue Strategie entwickelt, um Kinder in entlegenen Regionen der FATA zu erreichen. Unter anderem arbeiteten sie mit Helfern zusammen, die mit Medizinpersonal die Familien zu Hause aufsuchten. Wie Durrani gegenüber der 'Dawn' sagte, werde entschlossen gehandelt, um die Immunisierung aller 900.000 in Frage kommenden Kinder in den FATA zu erreichen.

"Aus Waziristan vertriebene Kinder, die mit ihren Verwandten in den angrenzenden Distrikten Bannu, Tank und Dera Ismail Khan leben, erhalten von uns die Schluckimpfung", berichtete Durrani. Im Distrikt Hangu seien mehr als 25.000 vertriebene Kinder aus dem Stammesgebiet Orakzai immunisiert worden. In Jalozai hätten 50.000 Minderjährige die Schluckimpfung erhalten. Nach Ansicht von Durrani hat sich die Vertreibung aus der Heimat für diese Kinder sogar als Segen erwiesen, da sie nun gegen acht Krankheiten geschützt würden. (Ende/IPS/ck/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2012/09/vaccines-get-past-taliban-finally/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. September 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2012