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ARTIKEL/1457: Seenotrettung - Wirksamere Hilfe mit Telemedizin (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2017

Seenotrettung
Wirksamere Hilfe mit Telemedizin

von Dirk Schnack


20 Seenotkreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) sollen mit Telemedizin leistungsfähiger werden.


Bilder von Seenotrettern aus dem vergangenen Jahrhundert lassen bei heutigen Betrachtern die Frage aufkommen, wie die mutigen Männer damals überhaupt Menschen aus schwerer See bergen konnten. Als die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) am 29. Mai 1865 in Kiel gegründet wurde, standen den Helfern nur schlichte Ruderboote zur Verfügung. Wenn sie Überlebende in ihr Boot ziehen konnten, wurde diesen ein Stück Brot angeboten, damit sie sich erholen konnten.

Irgendwie gelang es ihnen trotz der bescheidenen Hilfsmittel, Menschen zu retten. Im Laufe der Jahre wurden die Retter immer besser ausgestattet. Das konnte nicht verhindern, dass es zwischendurch zu schweren Unglücken kam, denen auch Retter zum Opfer fielen. Eines der schlimmsten ereignete sich vor genau 50 Jahren, als der Seenotkreuzer Adolph Bermpohl im Einsatz vor Helgoland in einen Orkan geriet. Erst 16 Monate zuvor war das Schiff in Dienst gestellt worden, es galt seinerzeit als eine der modernsten Einheiten der Seenotretter. Der vierköpfigen Besatzung des Kreuzers gelang es zunächst, drei niederländische Fischer des Krabbenkutters "Burgemeester van Kampen" zu retten. Aber der Kreuzer schaffte es nicht mehr in den Helgoländer Hafen, alle sieben Menschen an Bord der Adolph Barmpohl kamen in dieser Nacht ums Leben. In der Orkannacht vom 1. auf den 2. Januar 1995 wurde der Seenotkreuzer Alfried Krupp bei der Rückkehr von einem Einsatz von einer Grundsee erfasst. Zwei der vier Rettungsmänner blieben damals auf See. Fälle wie diese zeigen, dass selbst modernste Ausrüstung an Bord nicht jedes Unglück verhindern kann. Aber sie hilft, das Risiko zu minimieren.

Seit 1980 ist die medizinische Ausrüstung an Bord mit der von Rettungswagen an Land vergleichbar. Auf dem Foto links (nur in der Druckausgabe), wo Seenotretter bei einer Übung der Besatzung eines Kutters erste Hilfe leisten, ist nur ein Bruchteil dieser Ausstattung zu sehen. Fest steht, dass sich die Retter eine noch bessere Ausstattung wünschen, um den Geretteten noch wirksamer helfen zu können. Kapitän Ralf Krogmann berichtete kürzlich auf dem Jahresempfang der Stiftung Gesundheit in Hamburg, dass dabei Telemedizin auf Seenotkreuzern ganz oben auf dem Wunschzettel steht.

Krogmann ist der Repräsentant der DGzRS in der Hansestadt. Die DGzRS ist an zahlreichen Küstenorten in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern präsent. Insgesamt sind an der Küste 59 modern ausgestattete Rettungsschiffe - 20 Kreuzer und 39 Seenot- Rettungsboote - stationiert, um im Ernstfall in See stechen zu können. Und das passiert immer häufiger, weil immer mehr Menschen auf Nordund Ostsee in ihrer Freizeit oder beruflich unterwegs sind: mit dem privaten Segelboot, als Besatzung auf den zahlreichen Frachtern, als Beschäftigte der Offshore-Parks. Intensive Schlechtwetterperioden mit anhaltenden Starkwind- und Sturmphasen lassen für all diese Bereiche das Risiko steigen. Damit nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, dass Menschen von der erhofften Telemedizin an Bord einmal profitieren werden.

"Wir wollen den virtuellen Notarzt auf See haben. Das ermöglicht die Überwachung der Patienten nach der akuten Phase und steigert die Sicherheit für die Patienten und für die Crew auf den Seenotkreuzern."

Derzeit stehen die Boote und Kreuzer der DGzRS an 54 Stationen rund um die deutsche Nord- und Ostseeküste bereit. An der schleswig-holsteinischen Nordseeküste gibt es Retter in List, Hörnum, auf Amrum, Nordstrand, Eiderdamm, Büsum und Brunsbüttel. An der Ostsee in Langballigau, Gelting, Maasholm, Damp, Schleswig, Eckernförde, Schilksee, Laboe (hier ist auch das Landes-Informationszentrum angesiedelt), Lippe/Weißenhaus, Heiligenhafen, Großenbrode, Puttgarden, Grömitz, Neustadt, Travemünde und Timmendorf.

180 haupt- und 800 ehrenamtliche Seenotretter sind im Einsatz, um rund um die Uhr und bei jedem Wetter in See stechen zu können und Hilfe zu leisten. So konnten im Laufe der Jahre seit Gründung der Gesellschaft mehr als 84.000 Menschen aus Seenot gerettet werden. Allein im vergangenen Jahr gab es über 2.000 Einsätze auf Nord- und Ostsee, die 368 Kranken- und Verletztentransporte erforderten.

Darunter sind manchmal auch ungewöhnliche Fälle wie der vor der Fehmarnsundbrücke, wo im vergangenen Jahr zwei Angler von einem giftigen Fisch gestochen wurden. Oder die Segelyacht zwischen Borkum und Norderney, auf der drei Kinder mit Medikamentenvergiftung geborgen werden mussten. In solchen Fällen ist oft der sofortige ärztliche Einsatz notwendig. Aus einem Pool von ehrenamtlichen Ärzten wird je nach Standort und Situation ausgewählt, wer helfen könnte. Mal sind die Ärzte schon ab Auslaufen des Schiffes aus dem Heimathafen an Bord, mal werden sie per Hubschrauber direkt zur Unglücksstelle auf See gebracht. Damit die medizinische Hilfe noch wirksamer wird, will die DGzRS ihre 20 Kreuzer nun mit moderner Telemedizin ausstatten. "Das kostet je Kreuzer rund 20.000 Euro", berichtete Krogmann auf dem Jahresempfang der Stiftung Gesundheit. Der Kapitän machte auch deutlich, woher das Geld kommen muss: "Wir finanzieren uns über Spenden."

Telemedizin könnte die Hilfe für die Geretteten an Bord noch einmal deutlich effektiver machen. Krogmann zählte auf, warum das wichtig wäre: "Die Distanzen sind größer und die Transporte dauern länger." Hinzu kämen Erschwernisse durch Wind und Wetter. Bergung und der Transport von Patienten bei Seegang bleiben zwar trotz aller Technik eine besondere Herausforderung, die Arbeit an Bord könnte aber erleichtert werden.

So könnte etwa eine telemedizinische Beratung durch Notärzte erfolgen, wenn es nicht gelungen ist, einen Arzt an Bord zu holen. Die Telemedizin würde die Übertragung von Vitalparametern an ein medizinisches Zentrum und die Beurteilung durch einen Arzt erlauben, EKG-Befundungen bei Herzinfarktverdacht oder bei Herzrhythmusstörungen könnten fernmündlich und -bildlich erfolgen, Bildmaterial von Verletzungen, Verbrennungen oder Allergien könnte an Experten verschickt und Laienreanimationen von Ärzten aus der Ferne geleitet werden.

Der "virtuelle Notarzt", den sich Krogmann und seine Kollegen durch Telemedizin erhoffen, ist aus ihrer Sicht unerlässlich, um schnell auf die Herausforderungen reagieren zu können. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat die Charité-Tochter Global Health Care (GHC) schon vor einigen Jahren mit dem von ihr entwickelten System "Aesculink" getan. Die DGzRS hat mit der Charité und dem Unfallkrankenhaus Berlin vereinbart, dass die Ärzte dieser Häuser für eine telemedizinische Betreuung bereitstehen, wenn die Seenotkreuzer entsprechend ausgerüstet sind.

Die Telemedizin ist allerdings bei Weitem nicht die einzige Technik an Bord der Seenotkreuzer, die viel Geld kostet. Allein ein Suchscheinwerfer, der für den Einsatz bei schlechtem Wetter und nachts unerlässlich ist, schlägt mit 12.000 Euro zu Buche. Die Motoren kosten 150.000 Euro, das Bugstrahlruder und ein Kreiselkompass jeweils 25.000 Euro. Wie auch die Telemedizin muss diese Ausrüstung, wie Krogmann in Hamburg betonte, über Spenden finanziert werden. Insgesamt konnte die Gesellschaft im Jahr 2015 zwar 38,6 Millionen Euro Spenden für die Arbeit der Retter einsammeln. Dieses Geld war aber schon deshalb notwendig, weil nicht ein Euro aus Steuergeldern an die Gesellschaft fließt. Sollte die Spendensammlung für die Telemedizin gelingen, könnte dies die Überlebenschance für die Geretteten also erhöhen. Eines aber wird sich trotz aller Technik auch künftig nicht von den Anfängen der DGzRS und den Männern im Ruderboot unterscheiden: Seenotrettung bliebt auch weiterhin abhängig von den Menschen, die bereit sind, bei Wind und Wetter ihr Leben zu riskieren, um Schiffbrüchigen zu helfen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201706/h17064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juni 2017, Seite 28 - 30
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2017

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