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ARTIKEL/1503: Kinderhospize - Aus der Tabuzone in die Öffentlichkeit (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2019

Kinderhospize
Aus der Tabuzone in die Öffentlichkeit

von Dirk Schnack


Am 10. Februar war der Tag der Kinderhospizarbeit und damit Gelegenheit, Öffentlichkeit für ein Thema herzustellen, das außerhalb der betroffenen Familien gern verdrängt wird.


Grüne Bänder als Symbol für die Arbeit der ambulanten und stationären Kinderhospize waren vergangenen Monat an vielen Orten in Deutschland zu sehen. Eines davon flatterte am Dienstwagen von Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner Garg. Er trug damit dazu bei, dass zumindest in der Zeit um den 10. Februar, dem Tag der Kinderhospizarbeit, ein weitgehend verdrängtes Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte. In Diskussionsrunden, Lesungen, Konzerten, Sponsorenläufen, Infoständen und vielen anderen Veranstaltungen wurde auf Initiative des Deutschen Kinderhospizvereins (DKHV) in ganz Deutschland auf die Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und deren Familien aufmerksam gemacht.

Schwerpunkt des diesjährigen Tages der Kinderhospizarbeit waren die Geschwister. Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche, deren Geschwister lebensverkürzt erkrankt oder bereits gestorben sind, sich untereinander vernetzen. Zwar gibt es ehren- und hauptamtliche Erwachsene, denen sich die Geschwister auch außerhalb ihrer Familie anvertrauen können, aber auf einer anderen Ebene. "Es ist leichter, wenn man mit jemandem auf Augenhöhe spricht, der im selben Alter vergleichbare Erfahrungen sammelt", sagt Silke Keller vom Deutschen Kinderhospizverein.

Der Tag dient aber auch dazu, Öffentlichkeit und Politik für ein Thema zu interessieren, das für die meisten angstbesetzt, tabuisiert und unbequem ist. Garg informierte sich im Flensburger Katharinen Hospiz am Park über die Situation. Er selbst hat vor mehr als 20 Jahren erstmals Hospizarbeit kennengelernt. Damals, erinnert sich Garg, brauchte er zwei Tage, um das Erlebte zu verarbeiten - es blieb einer der stärksten Eindrücke seiner zahllosen Termine als Politiker. In Flensburg war die Grundstimmung dagegen fröhlich und positiv, was auch an der Grundeinstellung der dortigen Mitarbeiter liegt, denen der Minister anschließend "sensationelle Arbeit" bescheinigte. Was sie in der Kinderhospizarbeit leisten, ist vielen Menschen kaum bekannt. Es geht dabei nicht um eine Sterbe-, sondern um eine Lebensbegleitung. Anders als bei der Erwachsenenhospizarbeit, die tatsächlich nur eine kurze Zeitspanne unmittelbar vor dem Tod umfasst, setzt die Kinderhospizarbeit früh ein. "Wir leisten eine Lebensbegleitung, die auch das Sterben umfasst", beschreibt Keller die Tätigkeit. Häufig handelt es sich bei den betroffenen Kindern um Patienten, bei denen eine Erkrankung von klein auf kein langes Leben zulässt oder die eine lebensverkürzende Diagnose so früh bekommen, dass viele Jahre bis zum Sterben gestaltet werden können. Deshalb ist es umso wichtiger, die Familien dieser Kinder eng und langfristig zu begleiten.

Dafür begleiten die Mitarbeiter der Dienste nicht nur die betroffenen Familien, sondern bringen diese auch zusammen, damit sie untereinander Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig stützen können. Sie gehen in Schulklassen betroffener Kinder, um mit den Schülern über das Sterben zu reden, und machen dabei die Erfahrung, dass besonders im jungen Alter ein offener Umgang möglich ist. "Je älter die Kinder dann werden, desto zurückhaltender werden sie bei diesem Thema", berichtete eine Mitarbeiterin. Aber: Dafür sind sie hinterher umso mehr erleichtert, wenn sie Antworten auf ihre Fragen bekommen haben. Die Dienste bieten aber auch Fortbildungen an für Lehrer und Mitarbeiter in Kindergärten und sie bauen gerade eine Online-Beratung auf, um trauernden Jugendlichen einen niedrigschwelligen Kontakt zu bieten.

Deutlich wurde bei Gargs Besuch in Flensburg, dass die Arbeit im Kinderhospiz unabhängig vom jeweiligen Einsatzgebiet anspruchsvoll, anstrengend und oft auch traurig ist. Dennoch leisten die Ehren- und Hauptamtler ihre Unterstützung gerne, lachen viel und lassen nicht ständig die Köpfe hängen. "Wir bekommen von den Kindern mehr als wir geben können", sagte etwa Birgit Rath-Röhlk vom ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst des Katharinen Hospizes. Sie empfindet es als "Geschenk, im Kinderhospiz arbeiten zu dürfen". Insbesondere die Kinder machen es den Mitarbeitern nach ihren Angaben leicht: "Die nehmen uns an die Hand, wir lernen von denen. Die betroffenen Kinder sind diejenigen, die täglich mit dem Thema umgehen."

"Wir bekommen von den Kindern mehr als wir geben können. Es ist ein Geschenk im Kinderhospizdienst arbeiten zu dürfen."
Birgit Rath-Röhlk

Wichtig ist nach ihren Angaben aber auch, sich die professionelle Distanz zu bewahren: "Wir sind Wegbegleiter, aber nicht Teil der Familie." Nicht jedem gelingt das: Ehrenamtler müssen zunächst einen 120-stündigen Kurs absolvieren, in dem u. a. die nötige Balance aus Nähe und Distanz erprobt wird. Manche Helfer merken dann, dass die Begleitung nicht die richtige Form der Unterstützung für sie ist, und bringen sich anders ein. So wichtig die Distanz ist: Mitarbeiter werden von den Erlebnissen mit ihren Schützlingen immer wieder tief berührt - und das darf auch so sein. "Sonst müssten wir aufhören", sagte eine Kollegin von Rath-Röhlk.

Ambulante und stationäre Kinderhospize sind weitgehend nicht von der öffentlichen Hand finanziert, sondern auf Spenden angewiesen. Rund drei Viertel der benötigten Mittel müssen die Hospizdienste bundesweit über Spenden einsammeln. Deshalb sind öffentliche Veranstaltungen wie am Tag der Kinderhospizarbeit für sie wichtig, aber auch Besuche wie die von Garg im Katharinen Hospiz. "Wir sind dankbar, dass wir ihm die Vielschichtigkeit der Arbeit vor Ort verdeutlichen konnten", sagt der ärztliche Leiter des Hospiz, Dr. Hermann Ewald, nach dem Besuch im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt. Er war beeindruckt, dass ein Minister so tiefgehend nachgefragt hat zu Themen, die abseits der politischen Agenda liegen. Die Verantwortlichen des Hospiz nutzten die Gelegenheit auch, um auf Rahmenbedingungen aufmerksam zu machen, die aus ihrer Sicht verbessert werden könnten. Ein Beispiel: Die Trauerbegleitung von Geschwistern oder von Kindern lebensverkürzend erkrankter Eltern durch ehrenamtliche Kräfte muss durch hauptamtliche Mitarbeiter koordiniert werden. "Dafür ist eine Finanzierung erforderlich, die bislang nicht gegeben ist", sagt Ewald. Einen anderen Wunsch hat Ewald an seine ärztlichen Kollegen: "Es wäre schön, wenn die Leistungen der Kinderhospizarbeit in jeder Hausarztpraxis bekannt wären und bei Bedarf betroffene Familien darauf aufmerksam gemacht werden." Denn viele Familien mit einem lebensverkürzend erkrankten Kind wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen mit ihren vielschichtigen Problemen. Die Kinderhospize können ihnen helfen. "Das ist ein Angebot, das an die individuelle Situation angepasst wird. Das muss auch nicht regelmäßig sein. Es wird versucht, die Hilfe so zu gestalten, wie es für die Familien am besten ist", verdeutlicht Ewald. Gargs Besuch und die grünen Bänder waren ein wichtiger Schritt, um das Angebot bekannter zu machen.


1999

wurden die ersten Kinderhospizdienste in Deutschland aufgebaut. Noch 2004 gab es bundesweit nur sechs ambulante Dienste, ein Jahr später waren es 25. Aktuell gibt es nach Angaben des Deutschen Kinderhospizvereins bundesweit rund 200 ambulante Hospizangebote für Kinder und Jugendliche.

7
ambulante Kinder- und Jugendhospize gibt es in Schleswig-Holstein: Neben dem Dienst in Flensburg auch in Kiel, Lübeck, Rendsburg, Meldorf, Bad Segeberg und Pansdorf.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201903/h19034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, März 2019, Seite 10 - 11
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2019

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