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ARTIKEL/1417: Klinikum Nordfriesland - Neustart mit vielen Optionen, aber ohne Klinik in Tönning (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2016

Klinikum Nordfriesland
Neustart mit vielen Optionen, aber ohne Klinik in Tönning

Von Dirk Schnack


Der Kreis Nordfriesland will nicht privatisieren, aber auch nicht subventionieren. Tönning soll nur noch ambulantes Angebot vorhalten. Kooperation wird geprüft.


Das kreiseigene Klinikum Nordfriesland stellt die stationäre Versorgung am Standort Tönning gegen massive Bedenken in der Bevölkerung ein. Die Standorte Husum, Niebüll und Wyk auf Föhr bleiben erhalten, in Tönning soll es künftig nur noch ambulante Versorgung in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) geben. Diesen Beschluss fasste am 23. März der Kreistag Nordfriesland mit großer Mehrheit. Grund sind die wirtschaftlichen Probleme des Klinikums, dem ohne finanzielle Stützung des Kreises die Insolvenz gedroht hätte. Ob die anderen Standorte langfristig erhalten bleiben, ist keinesfalls gesichert. Die Politiker wollen zunächst abwarten, ob ein Weiterbetrieb wirtschaftlich gelingt. Geprüft werden auch erneut die Optionen Kooperation und Fusion, obwohl Gespräche hierzu in der Vergangenheit ohne Ergebnis verlaufen waren.

Flankiert wird der Neuanfang mit einem Geschäftsführerwechsel. In der Diskussion um die Zukunft des Klinikums wurde mehrfach Unverständnis in der Bevölkerung darüber laut, dass eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung aus finanziellen Gründen aufgegeben wird. "Wie viel ist uns die Gesundheit wert", fragten Menschen auf den der Entscheidung vorgeschalteten Einwohnerversammlungen in Niebüll und Tönning sowie auf einer Demonstration vor dem Husumer Kreishaus direkt vor der politischen Entscheidung. Dabei wurde deutlich, dass Ausgaben der öffentlichen Hand für die Gesundheitsversorgung auf Zustimmung stoßen. Ob dies auch auf einen Neubau eines zentralen Klinikums des Kreises in Bredstedt zutreffen würde, blieb offen. Diese von Gutachtern ins Spiel gebrachte Option wird weiterhin geprüft und könnte für Gespräche mit möglichen Kooperationspartnern in Heide oder Flensburg eine wichtige Rolle spielen. Die Kosten für einen solchen Neubau, von dem sich die Beteiligten deutlich effizientere Abläufe versprechen, betragen mindestens 65 Millionen Euro. Fest steht, dass private Investoren in Nordfriesland weiterhin nicht willkommen sind - dies lehnten die Kreistagsabgeordneten ab.


Auf der Suche nach einer wirtschaftlichen Gesundheitsversorgung

Die Zahl der Klinik-Standorte im Nordwesten bleibt umstritten. Für Niebüll hofft der Kreis auf einen Sicherstellungszuschlag.

Die Kreistagsabgeordneten hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera - diese Formulierung kam aus den Reihen der Parlamentarier, die am 23. März in einer Sondersitzung über Umstrukturierungen an den Standorten des Klinikums Nordfriesland entscheiden mussten. Sie hatten darüber abzustimmen, ob sie die stationäre Versorgung in Tönning einstellen und sich den Zorn vieler Bürger auf Eiderstedt und damit den Zorn ihrer Wähler zuziehen oder ob sie einen defizitären Betrieb weiter subventionieren - als einziger Kreis in ganz Schleswig-Holstein und bei einer Finanzlage, die diese Subvention gar nicht zulässt. Mit anderen Worten: "Kein Siegerthema" für Politiker, wie es CDU-Fraktionschef Tim Hanke zu Beginn der von zahlreichen Einwohnern verfolgten Sitzung ausdrückte.

Aber ein Thema, das eine sorgfältige Vorbereitung und kein Parteiengezänk erforderte. Das schafften die Kommunalpolitiker an diesem 23. März. Sechs der sieben Fraktionen im Kreistag waren sich weitgehend darin einig, dass es kein "weiter so" geben kann. Denn die wirtschaftliche Lage des Klinikums ist bedrohlich. Das Eigenkapital der kreiseigenen Gesellschaft ist aufgezehrt. Der Kreis musste deshalb Investitionsbürgschaften in Höhe von rund 8,4 Millionen Euro gewähren und Finanzmittel in Höhe von 4,5 Millionen Euro in das Unternehmen geben. Angesichts dieser Zahlen zog der Kreis die Notbremse und beauftragte gleich zwei Gutachter. Zunächst erstellte wie berichtet der frühere Flensburger Diako-Manager Karl-Heinz Vorwig eine wirtschaftliche Analyse, gab Handlungsempfehlungen und empfahl Kooperationsmöglichkeiten. Die auf rein wirtschaftlichen Erwägungen beruhenden Empfehlungen hatten für erhebliche Unruhe in der Region gesorgt. Dann erstellte das Beratungsunternehmen BDO eine Analyse unter Einbeziehung der Versorgungsnotwendigkeiten. In beiden Gutachten gab es u. a. die Empfehlung, die stationäre Versorgung in Tönning einzustellen - wie übrigens in einem vor zehn Jahren erstellten Gutachten eines Beratungsunternehmens schon einmal. Auch deshalb folgten die Kreistagsabgeordneten dem Beschlussvorschlag, der eine Reihe kurzfristiger Veränderungen, aber auch viele Optionen für die Zukunft vorsieht.

Mit dem Beschluss weisen die Politiker den Geschäftsführer an, folgende Maßnahmen umzusetzen:

KURZ- UND MITTELFRISTIG

I. Tönning:

1. Die stationäre Versorgung am Standort Tönning ist einzustellen. Angestrebt wird die Schließung zum 30. Juni kommenden Jahres - vorausgesetzt, dass der Betrieb aus organisatorischen und personellen Gründen bis zu diesem Termin gewährleistet werden kann.

2. Vor Schließung der stationären Versorgung ist der Weiterbetrieb des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) zur ambulanten Versorgung in Tönning sicherzustellen. Dazu ist das MVZ, als Tochtergesellschaft der Klinikum Nordfriesland gGmbH, zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung so aufzustellen, dass es nachhaltig und wirtschaftlich geführt werden und damit auch dauerhaft bestehen kann. Dazu müssen gegebenenfalls erforderliche weitere Arztsitze für den Standort Tönning generiert werden, genannt wird insbesondere ein internistischer Arztsitz.

3. Für eine Nachnutzung des Krankenhausgebäudes in Tönning sind bevorzugt solche Nutzungen zu wählen, die der Palliativ- und Hospizversorgung auf der Halbinsel Eiderstedt dienen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Eiderstedter Flüchtlingshilfe Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden können.

4. Ebenfalls vor Schließung soll in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Rettungsdienst Nordfriesland (einschließlich Luftrettung) die Notfallversorgung in und für Eiderstedt sichergestellt werden.

5. Die Möglichkeiten des Strukturfonds zur Begleitung der Umstrukturierung sind voll auszuschöpfen.

II. Niebüll:

1. Zur Sicherstellung der stationären Versorgung mit dem derzeitigen klinischen Angebot ist eine finanzielle Hilfe (den Nordfriesen schwebt hier etwa ein Sicherstellungszuschlag, Strukturhilfe oder ein erhöhtes Budget vor) in Höhe des zu erwartenden jährlichen Defizits zu verhandeln.

2. Die Erweiterung der Geriatrie ist zu prüfen.

3. Die mittelfristig notwendigen Investitionskosten sind zu ermitteln. Dies soll in einer Variante geschehen, die den derzeitigen Betrieb aufrechterhält, und in einer zweiten Variante, die den Standort langfristig zukunftsfähig macht.

III. Husum:

1. Die sich aus der Umstrukturierung ergebenden Entscheidungen für den Standort Husum sind zu treffen.

2. Auch hier gilt: Die mittelfristig notwendigen Investitionskosten sind für die beiden oben genannten Varianten zu ermitteln.


KOOPERATION/FUSION

Kooperationsgespräche sind mit dem Ziel einer vernetzten Zusammenarbeit sowohl mit den Häusern in Flensburg wie auch mit dem Westküstenklinikum (unter Berücksichtigung des 6K-Verbundes) durch die Geschäftsführung des Klinikums in Begleitung durch den Aufsichtsrat aufzunehmen. Dabei sind zudem sowohl die Möglichkeiten eines gemeinsamen Klinikverbundes als auch einer Klinikfusion zu prüfen.


MITTEL- UND LANGFRISTIG

1. Zur Abklärung aller Optionen ist auch die Möglichkeit eines zentralen Neubaus, auch unter dem Gesichtspunkt einer Anbindung an bestehende psychiatrische/psychosomatische Strukturen ergebnisoffen zu prüfen. Ausdrücklich wird festgestellt, dass die Prüfung eines zentralen Neubaus nicht auf den Standort Riddorf bzw. Bredstedt beschränkt sein soll.

2. Die Prüfung von Zukunftsoptionen, die die Aufgabe eines oder beider verbleibender Festlandstandorte beinhaltet, ist schnellstmöglich zu einem Abschluss zu bringen, um an den bestehenden Standorten Investitions- und Entwicklungsstaus zu vermeiden.

Landrat Dieter Harrsen (CDU) wird beauftragt, in Abstimmung mit der Geschäftsführung des Klinikums alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die ambulante Versorgung und den Rettungsdienst auf der Halbinsel Eiderstedt so zu gestalten, dass die Schließung der stationären Versorgung am Standort Tönning bestmöglich ausgeglichen wird. Dieser Auftrag schließt die Befassung mit folgenden Teilaspekten ein, soweit sie nicht in der Zuständigkeit des Klinikums zu erledigen sind:

1. Erhalt des Durchgangsarztsitzes am Standort Tönning.

2. Sicherstellung einer angemessenen Notfallversorgung für die "niederschwelligen" Notfälle (Notfallambulanz) in den Nachtstunden, an Wochenenden und Feiertagen am Standort Tönning und zusätzlich ergänzend am Standort St. Peter-Ording.

3. Anpassung der Kapazitäten des Rettungsdienstes an die veränderten Verhältnisse auf Eiderstedt.

Damit trafen die Kreistagsabgeordneten einen Beschluss, den viele Bürger in Nordfriesland verhindern wollten. Sie hatten in Einwohnerversammlungen in Niebüll und Tönning zuvor deutlich gemacht, dass ihnen die wohnortnahe Versorgung wichtig ist und dass sie kein Verständnis dafür haben, dass eine Klinik in ihrer Nähe aus finanziellen Gründen geschlossen wird. Der SPD-Abgeordnete Thomas Nissen begründete, weshalb sich die Mehrheit des Kreistages für die Schließung in Tönning, aber nicht in Niebüll entschied: "Die Schließung in Tönning ist nicht erwünscht, aber für die Patienten zumutbar. Niebüll ist patientennotwendig."

In die Verunsicherung der Bevölkerung über die künftige Gesundheitsversorgung im Nordwesten des Landes mischte sich im Vorwege der Entscheidung Zorn über die zunehmend ausgedünnte Infrastruktur der Region. Diese Mischung machte es dem Podium etwa auf der Informationsveranstaltung in Niebüll schwer, obwohl der dortige Standort zunächst gehalten wird. Deutlich wurde auch, dass das Verständnis für Einsparungen an der Gesundheitsversorgung in der Bevölkerung begrenzt ist. "Vielleicht geben wir das Geld für den Erhalt ja gern, das gibt keinen Aufschrei. Den gibt es aber, wenn die Klinik geschlossen wird", sagte etwa eine Bürgermeisterin aus der Region in der Einwohnerversammlung in der Niebüller Stadthalle. Andere gaben den Hinweis auf die Daseinsvorsorge: Auch eine Feuerwehr könne keinen Gewinn erwirtschaften, müsse aber vorgehalten werden. Ähnliche Wortmeldungen gab es auf der Demonstration vor dem Husumer Kreishaus. Mit anderen Worten: Schulden für ein Krankenhaus tolerieren die Menschen eher als für andere Dinge, für die die öffentliche Hand Geld ausgibt. In Südtondern kommt allerdings erschwerend hinzu, dass viele in Husum getroffene Entscheidungen dort auf Unverständnis stoßen. So wurde etwa gemutmaßt, dass Niebüll zugunsten des Husumer Standorts "schlechtgerechnet" werden sollte -ein Vorwurf, für den die eingesetzten Gutachter keine Grundlage finden konnten. Auch die zum Teil geäußerte Vermutung, dass das Klinikum wegen Managementfehlern defizitär arbeitet, wiesen die Gutachter zurück. Sie bescheinigten der Geschäftsführung gute Arbeit.

Extrem emotional wurde die Diskussion um die Geburtshilfe geführt, deren Schließung in Niebüll in einem Gutachten empfohlen und mit den erreichten Zahlen begründet wurde. Fest steht, dass keiner der Standorte in Nordfriesland groß genug ist, um ein höheres als Level vier in der Geburtshilfe zu erreichen. Geschlossen wurde zunächst die kleinste Geburtshilfe in Wyk auf Föhr, was aber schon vor den Gutachten nicht mehr zu verhindern war. Damit folgte das Klinikum dem Beispiel des privaten Betreibers Asklepios, der eine vergleichbare Abteilung in Westerland auf Sylt geschlossen hatte. Landrat Harrsen verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Haftungsfragen für die Geschäftsführung. In Niebüll ist Belegarzt Dr. Assem Hossein für die Geburtshilfe verantwortlich. Er lässt weder qualitative noch wirtschaftliche Gründe gelten, die für eine Schließung der Abteilung in Niebüll sprechen würden. Zwar sei die Zahl von rund 250 Geburten gering, räumte Hossein ein. Da aber ausschließlich er selbst oder sein angestellter Kollege bei diesen Geburten ärztliche Hilfe leisten, kommen auf jeden Arzt rund 125 Geburten im Jahr. An anderen Standorten sei die Zahl der Geburten je Arzt zum Teil deutlich niedriger, gab Hossein zu bedenken. Das gelte auch für Husum. Die Erfahrung sei also ein Plus der Niebüller Abteilung, von geringerer Qualität könne keine Rede sein.

Die Abteilung hat nach seinen Angaben einen Überschuss von rund 340.000 Euro im Jahr erwirtschaftet. Husum, vermutete Hossein, wolle die eigene Geburtshilfe retten auf Kosten seines Standortes. Der Gutachter sei eingesetzt worden, um politisches und Managementversagen "zu verschleiern", behauptete Hossein in der aufgeheizten Stimmung vor der Entscheidung. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Das zweite Gutachten gab für die Geburtshilfe in Niebüll Entwarnung.

Das Beispiel zeigt aber, wie stark ausgeprägt das Misstrauen in Südtondern gegenüber der Husumer Zentrale ist. Ob das Unverständnis der Bürger für die politische Entscheidung in Husum gerechtfertigt ist, wagten einige Politiker zumindest in Ansätzen in Zweifel zu ziehen, denn: Viele Einwohner des Kreises lassen sich tatsächlich lieber in den angrenzenden größeren Krankenhäusern in Flensburg und Heide behandeln, als in die wohnortnahen Krankenhäuser Tönning, Niebüll und Husum zu fahren. "Die Bürger haben die Kliniken nicht in dem Maße frequentiert, wie es nötig gewesen wäre", sagte CDU-Politiker Hanke. Der FDP-Abgeordnete Jörg Tessin hat beobachtet, dass insbesondere die "fallschweren" Patienten in der Vergangenheit andere Krankenhäuser vorgezogen haben.

Aber auch andere Gründe für die finanzielle Schieflage wurden bemüht. Der SSW-Abgeordnete Ulrich Stellfeld-Petersen nannte den niedrigen Landesbasisfallwert in Schleswig-Holstein und rückte damit die Gesundheitspolitik des Bundes in den Mittelpunkt. "Der niedrige Landesbasisfallwert hat unserem Klinikum großen Schaden zugefügt", sagte der SSW-Politiker. Er will in der Gesundheitspolitik des Bundes erkannt haben, dass kleine Kliniken von der Landkarte verschwinden sollen. Die Grünen-Abgeordnete Susanne Rignanese ging die Bundesregierung direkt an, weil diese nach ihrer Auffassung kleinen Häusern im ländlichen Raum mit ihrer Gesetzgebung geschadet habe. Insbesondere das Krankenhausstrukturgesetz diene dazu, kleinere Krankenhäuser "vom Markt zu nehmen", so die Kommunalpolitikerin. Der CDU-Abgeordnete Florian Lorenzen beendete die Suche nach Schuldigen in Berlin mit dem Hinweis, dass das Krankenhausstrukturgesetz erst ab 2016 in Kraft ist, das Klinikum aber schon seit Jahren Defizite schreibt. "Es hilft nichts, die Schuld so weit wie möglich von sich zu schieben. Wir müssen auch eigene Fehler eingestehen", sagte Lorenzen. Als solchen sieht er etwa mangelnde Investitionen in das Klinikum an.

Diese Investitionen haben insbesondere die Niebüller an ihrem Standort in den vergangenen Jahren vermisst. Aus Sicht der Niebüller ist der Kreis Nordfriesland mit 517 Betten stationär unterversorgt. Vor der Entscheidung präsentierten sie Zahlen, wonach der Kreis mit 3,18 Betten je 1.000 Einwohner über deutlich weniger stationäre Kapazitäten verfügt als etwa Dithmarschen mit sechs Betten je 1.000 Einwohner. Landesweit beträgt der Durchschnitt nach ihren Angaben 5,72 Betten, bundesweit 6,16. Diese Unterversorgung ist aus Sicht der Unterstützer des Niebüller Krankenhauses auch dafür verantwortlich, dass so viele Patienten für die stationäre Versorgung in die Nachbarkreise abwandern. "Ein weiterer Abbau stationärer Betten im Kreis Nordfriesland ist gesundheitspolitisch nicht zu vertreten", schlussfolgern sie aus den Zahlen. Sie vermuten zugleich, dass das Management - trotz gegenteiliger Behauptungen von Landrat und Gutachtern - nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Nach ihrer Beobachtung ist es nicht gelungen, die nachgefragten Leistungen anzubieten. Kritisch sieht man in Südtondern auch den möglichen Neubau - nicht nur wegen der dann weiteren Entfernung nach Aufgabe des Niebüller Standorts. Denn "hausgemachte finanzielle Probleme" böten dem Land wenig Anlass zur Finanzierung einer Zentralklinik, hieß es. Aus dem gleichen Grund begegnen sie auch den Hoffnungen auf einen Sicherstellungszuschlag mit Skepsis. Zudem verweisen sie darauf, dass es in Schleswig-Holstein mehrere Krankenhäuser mit vergleichbaren Rahmenbedingungen wie Niebüll gibt, die ebenfalls Ansprüche auf einen solchen Zuschlag erheben könnten. "Mit einem Standortzuschlag für Niebüll würde ein Präzedenzfall für das Festland mit nicht kalkulierbaren finanziellen Folgen für die Kostenträger geschaffen", geben sie zu bedenken. Dem steht die Aussage von Gesundheits-Staatssekretärin Anette Langner auf der Einwohnerversammlung gegenüber, die zwar keine Zusage für den Sicherstellungszuschlag machen konnte, sich aber aufgeschlossen für entsprechende Argumente und die Prüfung zeigte.

Unter dem Strich sehen die Initiatoren für den Erhalt des Niebüller Krankenhauses, die für dieses Ziel 26.000 Unterschriften in der Region sammelten, in der Ausdünnung der Versorgung den Start in einen Teufelskreis mit dauerhafter Unterdeckung der Kosten, immer weniger Patienten und geringeren Erlösen. Stattdessen fordern sie verbesserte Leistungen, die eine Abwanderung der Patienten stoppen könnten. Dazu müsste sich nach ihrer Meinung jeder Standort auf bestimmte Fachabteilungen spezialisieren und damit die Kompetenz erhöhen. Folge: "Die Klinik als Ganzes erhält mehr Zulauf und eine verbesserte Auslastung, auch mit komplexen Fällen."

In Tönning wurde u. a. kritisiert, dass trotz massiver Spenden durch einen Förderverein die Bettenzahl von ursprünglich 55 auf zuletzt 29 abgebaut wurde. Das kleine Krankenhaus habe daraufhin nur noch die "einfachen Fälle" zugewiesen bekommen, monierten Kritiker und brachten damit ähnliche Argumente wie die Niebüller vor. Nach ihren Angaben ist in diesem Zuge die Auslastung des Hauses von ursprünglich 90 auf 60 Prozent gesunken.

Der Neustart in Nordfriesland soll mit einem neuen Geschäftsführer gelingen. Christian von der Becke bringt nach Ansicht von Landrat Dieter Harrsen "die besten Voraussetzungen mit, um unser Klinikum in der nächsten Zeit durch schweres Fahrwasser zu steuern". (Siehe Leiste unten) Harrsen dankte zugleich dem in Nordfriesland umstrittenen Vorgänger Frank Pietrowski: "Unser Klinikum verdankt ihm unendlich viel. Ohne seine enorme Kreativität, Energie und Sachkenntnis wäre es kaum möglich gewesen, alle vier Standorte unseres Klinikums mit hoher Qualität weiter am Markt zu halten." Wegen der anstehenden Strukturveränderungen im Klinikum habe sich Pietrowski jedoch entschlossen, dem Klinikum durch einen Wechsel "Zugang zu neuen Ideen und Perspektiven zu eröffnen".

Ausgeklammert wurde in der Diskussion die Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Die ambulante Versorgung im Kreis ist den Zahlen nach gut, mit Ausnahme des Mittelbereichs Husum, wo der Versorgungsgrad mit Hausärzten nur bei 87 Prozent liegt. Zum Vergleich: Niebüll liegt bei 111, Tönning bei 135 und Westerland bei 205 Prozent. Den niedrigsten Versorgungsgrad bei den Fachärzten weisen die Dermatologen mit 97 Prozent auf, den höchsten die Chirurgen mit 206 Prozent. Eine Reihe von Fachgruppen bewegt sich allerdings nahe der 100 Prozent. Hinzu kommt, dass die absolute Zahl der niedergelassenen Ärzte in manchen Fachgruppen so gering ist, dass es bei einem altersbedingten Ausscheiden schnell zu Problemen kommen könnte. Mit Ausnahme der Hausärzte, Psychotherapeuten und Gynäkologen hat keine Fachgruppe in Nordfriesland eine zweistellige Zahl an niedergelassenen Ärzten.

Bianca Hartz von der KV Schleswig-Holstein bezeichnet die Zahl der niedergelassenen Ärzte als "ausreichend". "Nicht nur in Nordfriesland, sondern landesweit müssen wir allerdings im Blick haben, wie die Situation in ein paar Jahren aussehen wird", sagt Hartz. Um Versorgungslücken frühzeitig zu erkennen, wird die KVSH deshalb künftig einmal im Jahr die Versorgungsgrade im hausärztlichen Bereich überprüfen und deren Entwicklung der nächsten Jahre unter Berücksichtigung des Alters der Hausärzte simulieren. "Sollte sich dabei in einer Region eine drohende Unterversorgung abzeichnen, werden wir unter Beteiligung des Landesausschusses, d. h. der Krankenkassen, konkrete Gegenmaßnahmen einleiten. Denkbar wäre beispielsweise, Ärzten einen Sicherstellungszuschlag zu zahlen, wenn sie in der betroffenen Region eine Praxis übernehmen", sagte Hartz.

Für Nordfriesland erscheint das nicht ausgeschlossen: Das Durchschnittsalter der dort praktizierenden Hausärzte liegt bei 56 Jahren. Der Anteil der Hausärzte, die 60 Jahre oder älter sind, liegt bei 37 Prozent.


INFO

Christian von der Becke wird am 1. Juni 2016 die Geschäftsführung der Klinikum Nordfriesland gGmbH übernehmen. Sein Vorgänger, der langjährige Geschäftsführer Frank Pietrowski, verlässt das Unternehmen zum 30. Juni 2016. Der 52-jährige von der Becke hat Betriebswirtschaft studiert und ist zurzeit Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Workflow-Management im Gesundheitswesen eG in Münster im Geschäftsbereich Unternehmenssteuerung und Vertrieb. Zuvor war er Geschäftsführer eines Verbundes von Rehabilitationskliniken mit mehr als 1.000 Betten in Bad Driburg und davor wiederum Geschäftsführer des Klinikums Schaumburg und der Krankenhausprojektgesellschaft Schaumburg.


26.000
Unterschriften hatten Unterstützer für den Erhalt der Klinik Niebüll gesammelt, weitere 8.000 hatten für den Erhalt in Tönning unterschrieben. Mit Demonstrationen und Informationsveranstaltungen hatten sie große Aufmerksamkeit erzielt. In Niebüll bringt sich schon seit Jahrzehnten ein Förderverein zum Erhalt des Standorts ein. Seit 1991 sind über 1,2 Mio. Euro an Spenden in das Krankenhaus geflossen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201604/h16044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, April 2016, Seite 1 und 6 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2016

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