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FINANZEN/637: Kieler Gesundheitsministerium möchte DRG-System komplett reformieren (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2020

Kliniken
Frischzellenkur aus dem Norden für die DRG's(*)

von Dirk Schnack und Stephan Göhrmann


Vorstoß aus dem Kieler Gesundheitsministerium: Das DRG-System soll komplett reformiert werden. Dr. rer.pol. Heiner Garg legt Diskussionspapier vor und erntet viel Zustimmung. Klinikfinanzen standen auch bei den "Gesprächen am Wasser" des vdek in Kiel im Mittelpunkt. Stationäre Versorgung im Norden kostet 2,2 Mrd. Euro im Jahr.

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DRG

Trotz einiger Schwächen des vor fast 20 Jahren eingeführten DRG-Systems hat dies nach Ansicht von Landesgesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner Garg auch zu Fortschritten geführt. Mehr Transparenz und Wirtschaftlichkeit der allgemeinen Krankenhausversorgung, Leistungsorientierte Vergütung und geringere Verweildauern nannte Garg als Beispiele. Jetzt hält er allerdings eine grundlegende Reform für überfällig Am 28. Januar stellte er dazu auf einem Parlamentarischen Abend in Berlin ein Diskussionspapier vor.
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Selten hat ein gesundheitspolitischer Vorschlag aus Schleswig-Holstein für so viel Aufsehen in Berlin gesorgt: Landesgesundheitsminister Dr. rer.pol. Heiner Garg schlug vergangenen Monat vor, das DRG-System zu reformieren. Die Reaktionen darauf fielen überwiegend positiv aus. Euphorie kam allerdings auch nicht auf: Experten verwiesen in der Diskussion über das Papier auf die mit der Reform verbundenen Detailprobleme, die bei der Erarbeitung eines neuen DRG-Systems entstünden.

Garg verspricht sich von einer Reform ein "transparentes und hinreichend flexibles Vergütungssystem, das die erreichten Erfolge fortschreibt und gleichzeitig flexibel regionale Differenzierungen je nach örtlichen Erfordernissen ermöglicht". Die zentralen Punkte aus seinem Papier im Wortlaut:

- Durch eine erlösunabhängige Vergütungskomponente (Basisfinanzierung) muss die Finanzierung der akutstationären Versorgung der Bevölkerung auf dem Land und in den Städten mit ihren spezifischen Vorhaltekosten (inklusive Personalkosten) sichergestellt werden. Diese Basisfinanzierung ergänzt zukünftig die leistungsbezogene Abrechnung nach den DRG's. Die bisherige Form der Sicherstellungszuschläge hat sich für die Deckung spezifischer Vorhaltekosten als ungeeignet erwiesen. Sicherstellungszuschläge bieten den Krankenhäusern keine hinreichende Planungssicherheit.

- Spezialisierungs- und Konzentrationsprozesse müssen für eine bestmögliche, hochwertige Patientenversorgung in ihrer Vergütung gestärkt werden und mit verbindlichen Vorgaben für die Mindestausstattung sowie Mindestfallzahlen versehen werden.

- Grundlage für eine Planung des Versorgungsauftrages einzelner Krankenhäuser müssen Leistungs-, Bedarfs- und Qualitätsmerkmale sein. Dabei müssen unterschiedliche Versorgungsstufen und -strukturen ebenso berücksichtigt werden wie die Personal- und Geräteausstattung. Alle Formen der qualitätsgesicherten Leistungserbringung sollen so angemessener finanziert werden. Ihnen sollen dabei ihre spezifischen Vorhaltekosten pauschal vergütet werden (Basisfinanzierung). Nicht allein die Größe eines Krankenhauses, sondern seine Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung muss für die Höhe der Basisfinanzierung maßgeblich sein.

- Die Planungsbehörden der Länder müssen in ihrer krankenhausplanerischen Entscheidungskompetenz rechtlich gestärkt werden. Im Bundesrecht ist eine Länderöffnungsklausel zu implementieren, die es ermöglicht, regionalspezifische und sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen zu berücksichtigen und neue Versorgungsmodelle zu erproben.

- Die zunehmenden Anforderungen an die Krankenhäuser zur Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung im Sinne einer sektorenübergreifenden Versorgung müssen bereits im Vergütungssystem berücksichtigt werden. Die unterschiedlichen Vergütungssysteme (stationär und ambulant) müssen besser miteinander abgestimmt werden, langfristig bedarf es eines sektorenunabhängigen Vergütungssystems. Es darf nicht allein der Erlös darüber entscheiden, ob eine Leistung ambulant oder stationär erbracht wird.

- Ein reformiertes Vergütungssystem muss Innovationen zum Wohle der Patienten, zur Steigerung des medizinischen Fortschrittes, zur Entlastung des Personals sowie der weiteren Digitalisierung im stationären Sektor befördern.

Vertreter von Klinik- und Kostenträgerseite sowie Akteure aus der Versorgung reagierten überwiegend positiv auf den Kieler Vorstoß. Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. rer. pol. Gerald Gaß, sieht darin eine wichtige Grundlage für einen konstruktiven Dialog mit der Politik. Er bedankte sich auf einem Parlamentarischen Abend des Kieler Gesundheitsministeriums zum Thema in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung ausdrücklich für das Papier. Gaß hält es für wichtig, dass ein solcher Vorschlag aus den Ländern kommt und dass im Zuge einer Reform auch die Komplexität des Systems mit seinen vielen tausend Detailregelungen auf ein erträgliches Maß reduziert wird.

Die Pflegedirektorin des Heider Westküstenklinikums, Sabine Holtorf, hält es für erstrebenswert, eine DRG-Reform wie von Garg vorgeschlagen zu erproben. Für sie ist wesentlich, wer an der konzeptionellen Erstellung beteiligt sein wird. Solche Detailfragen werden auch nach Ansicht von Stefan Wöhrmann, Leiter stationäre Versorgung des vdek-Bundesverbandes in Berlin, über den Erfolg einer DRG-Reform entscheiden. Wöhrmann zeigte sich den Plänen aus dem Kieler Gesundheitsministerium gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen, genauso wie der Präsident des Verbandes Leitender Klinikärzte (VLK), Dr. Michael Weber, und der Hamburger Gesundheitsunternehmer Prof. Heinz Lohmann. Der schlug vor, das Konzept noch um eine Komponente zu erweitern und die Steuerung durch Patienten stärker zu berücksichtigen.

Auch in Schleswig-Holstein fielen die Reaktionen überwiegend positiv aus. Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer, begrüßte den Reformanstoß aus dem Kieler Gesundheitsministerium und verwies darauf, dass sich die Kammer schon seit längerem für eine Neuregelung des bestehenden Vergütungssystems ausspricht. "Es muss sich etwas verändern. Mit dem konkreten Reformvorhaben wurde auf die Forderungen im Land nun reagiert", sagte Herrmann. Er hob besonders die Gegenfinanzierung der Vorhaltekosten durch eine erlösunabhängige Vergütungskomponente hervor. Auch den Vorschlag Gargs, Spezialisierungs- und Konzentrationsprozesse zu stärken, begrüßte er.

"Für die Krankenhausversorgung steht grundsätzlich genügend Geld zur Verfügung, aber es muss effizienter eingesetzt werden"
Tom Ackermann, AOK Nordwest

Nach Angaben von Patrick Reimund, Geschäftsführer der Landeskrankenhausgesellschaft, teilen viele Kliniken Gargs Kritikpunkte am bisherigen Finanzierungssystem. "Für die Kosten der Vorhaltung von Leistungen rund um die Uhr und unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme ist das DRG-System blind. Krankenhäuser erhalten ihr Geld nur über Entgelte für die tatsächliche Behandlung von Patienten. Nur wenn es Kliniken gelingt, ihre Fallzahlen kontinuierlich zu steigern, können wirtschaftliche Schieflagen verhindert werden. Die Zahl der Patienten wird aber durch den medizinischen Bedarf definiert und begrenzt. Deshalb rutschen auch in Schleswig-Holstein immer mehr Kliniken ins Minus."

"Licht und Schatten" sieht der Vorstandschef der AOK Nordwest, Tom Ackermann, in den Plänen Gargs. "Die vorgeschlagene Basisfinanzierung dürfte in keinem Fall zu einer Wiedereinführung des Kostendeckungsprinzips durch die Hintertür führen. Für die Krankenhausversorgung steht grundsätzlich genügend Geld zur Verfügung, aber es muss effizienter eingesetzt werden", sagte Ackermann. Er teilte Gargs Ansicht, dass das derzeitige DRG-System Fehlanreize schaffe.

Um die Klinikfinanzierung, aber auch um die Neustrukturierung der medizinischen und pflegerischen Versorgung und die scheinbare Vorbildfunktion Dänemarks bei der Klinikstruktur ging es beim "Gespräch am Wasser" des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) in Schleswig-Holstein. Der Titel "Die Zukunft der Kranken Häuser" verdeutlichte den Handlungsbedarf, den die Krankenkassen bei der stationären Versorgung sehen.

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2,23 Mrd. Euro kostet die stationäre Versorgung die Krankenkassen pro Jahr in Schleswig-Holstein Diese Zahl nannte Armin Tank, Leiter der vdek-Landesvertretung, beim "Gespräch am Wasser" seines Verbandes vergangenen Monat in Kiel. Nach Auffassung von AOK Vorstandschef Tom Ackermann reicht diese Summe aus - allerdings müsse sie effizienter verteilt werden.
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Etwas verändert hat sich trotzdem, zeigte Armin Tank, Leiter der schleswig-holsteinischen Landesvertretung des vdek, vor geladenen Gästen aus Politik, Klinikgeschäftsführern und Interessenvertreter aus dem Norden. Während die Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland in den vergangenen Jahren rückläufig ist, ist sie in Schleswig-Holstein nahezu unverändert geblieben. Und doch seien die Ausgaben für die stationäre Versorgung um 20 Prozent auf insgesamt 2,23 Mrd. Euro gestiegen. Schließlich seien noch nie so viele Fachkräfte beschäftigt gewesen wie heute. Dies hat Tank zufolge jedoch nicht zu einer steigenden Qualität in der stationären Versorgung geführt, weshalb er die bewusst provokante Frage stellte: "Ist weniger eventuell mehr?" Liegt die Lösung für eine immer teurer werdende Kliniklandschaft mit ihrer zunehmend drängenderen Personalsituation in Konzentration und Zentralisierung?

Ein klarer Fürsprecher zentralisierender Bemühungen ist Prof. Thomas Mansky. Der Leiter des Fachgebiets Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin ist selbst promovierter Arzt. Von 1996 bis 2000 war er als Berater an den grundlegenden Vorbereitungen zur Einführung des DRG-Systems in Deutschland beteiligt.

Das Vergütungssystem und Geld allein lösen die aktuellen Probleme nicht, steht für Mansky fest. Die Helios Kliniken investieren laut Mansky 5,6 Prozent der Klinikfinanzierung aus Eigenmitteln. "Wenn ein Krankenhaus keine Gewinne macht, kann man dem Haus beim Verfall zusehen", lautete sein Kommentar dazu.

Wachsender technischer Fortschritt in der Medizin führe zudem zu steigenden Kosten für Geräte und zu einer zunehmenden Spezialisierung des Personals. Vor dem Hintergrund der ohnehin knappen Personalressourcen führe das zu einer Zuspitzung der Personalsituation in Krankenhäusern. Seiner Meinung nach sind die Strukturen nicht zukunftsfähig. "Wir müssen nicht alle Krankenhäuser am Leben halten", sagte Mansky in Richtung Politik. Kliniken und Krankenhäuser würden durch politische Ambitionen künstlich am Leben gehalten. Sie befanden sich ohnehin in einem "struggle for survival" - im Überlebenskampf. Kostenintensiver technischer Fortschritt und Personalknappheit erschwere vor allem kleineren Kliniken und Grundversorgern die Konkurrenzfähigkeit.

In einem Interview im ersatzkasse magazin aus dem letzten Jahr forderte er, die Krankenhausplanung müsse "vom Kopf auf die Füße" gestellt werden. Soll heißen: Es muss in eine intelligente Krankenhausplanung investiert werden. Sein Vorschlag folgt dem Vorbild Dänemarks: weniger Kliniken, mehr zentralisierte Maximalversorger.

Ein Beispiel: 17 Lungenkliniken würden in Schleswig-Holstein 783 Fälle im Jahr behandeln. Mansky zufolge kann diese Fallzahl auch durch zwei Lungenkliniken geleistet werden. 15 seien nicht versorgungsrelevant.

Also einfach Mut zur Lücke? Ganz so einfach ist es nicht, meint Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. rer.pol. Heiner Garg. Zwar ist auch er sich darüber im Klaren, dass es kein "Weiter wie bisher" geben könne, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Sein Vorschlag: "Statt einer indirekten Steuerung durch immer neue bundesgesetzliche Regelungen brauchen wir eine direkte Steuerung durch die Planung der Bundesländer." Damit übte der Landesminister Kritik an der Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien, die nach seiner Ansicht eine zielgerichtete Krankenhausplanung immer schwieriger machen.

Den Vorwurf Manskys, die Politik schütze unreflektiert die Krankenhäuser, sieht er in Schleswig-Holstein aber nicht. Den Vorschlag, das dänische Modell auf Deutschlands Gesundheitssystem zu übertragen, hält er ebenfalls für nicht realisierbar. "Das glaubt doch kein Mensch, dass in einem föderalen Staat das, was in Dänemark über Nacht, hier in den nächsten fünf Jahren geschehen würde." Das sieht Herrmann genauso: "Eine externe Lösung à la Copy & Paste wird nicht umsetzbar sein. Eine einfache monokausale Lösung gibt es nicht." Herrmann spricht sich stattdessen für regionale, sektorenübergreifende Lösungen aus. "Für eine funktionierende Kliniklandschaft benötigen wir eine Verbindung der Sektoren und der Gesundheitsberufe sowie intelligente Team- und Finanzierungsmodelle."


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202002/h20024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, Februar 2020, Seite 12 -13
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2020

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