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POLITIK/1926: Kritik am Referentenentwurf zum Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2018

KVSH
Gegen staatliche Eingriffe

von Dirk Schnack


Die KV-Abgeordnetenversammlung lässt kein gutes Haar am Referentenentwurf für das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG).


Der Referentenentwurf zum Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG) stößt unter den niedergelassenen Ärzten in Schleswig-Holstein auf Unverständnis. Daran ändern auch die in Aussicht gestellten entbudgetierten Leistungen nichts. Sie seien zwar zu begrüßen, heißt es in einer Resolution der KV Abgeordnetenversammlung vom 19. September, sorgten aber für neue Schieflagen. Erschwerend kommt für die Abgeordneten hinzu, dass sie das Vertrauen des Gesetzgebers in die Selbstverwaltung vermissen.

Deutliche Kritik aus der Abgeordnetenversammlung an der Gesundheitspolitik ist aus Bad Segeberg schon mehrfach geäußert worden. Die Wortwahl am 19. September zeigt aber, wie enttäuscht die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten vom Entwurf aus dem Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sind. Als "aktionistisch und populistisch" empfindet Psychotherapeutin Daniela Schulz den Referentenentwurf, Gastroenterologe Dr. Michael Schroeder hält ihn für "haarsträubenden Blödsinn". Allgemeinmediziner Björn Steffensen befürchtet, dass dieser "Unsinn" junge Kollegen davon abhält, in die Niederlassung zu gehen. Allgemeinmediziner Dr. Axel Kloetzing zeigte sich zwar ebenfalls wenig begeistert und hält den mit dem Entwurf eingeschlagenen Weg für falsch. Er gab aber auch zu bedenken, dass aus seiner Sicht Handlungsbedarf besteht, weil es nach seiner Wahrnehmung zunehmend schwerer wird, Termine bei Fachärzten zu bekommen.

Vorher hatte die KV-Spitze deutlich gemacht, was sie vom Entwurf hält. "Es ist das kleinteiligste Gesetz, das es im Gesundheitswesen je gegeben hat, mit den detailliertesten Eingriffen. Man begnügt sich nicht mehr mit Rahmenvorgaben, sondern legt im Gesetz bereits die Umsetzungsdetails fest, was ja wohl bedeutet: Vertrauen in die Selbstverwaltung kocht auf ganz kleiner Flamme derzeit", sagte die KV-Vorstandsvorsitzende Dr. Monika Schliffke. Sie sieht in der Vorgabe für eine wöchentliche Mindestsprechzeit von 25 Stunden den "deutlichsten Affront gegen die eigenverantwortliche Organisation der Praxen", glaubt aber auch: "Die Folgen für die Praxen und für das Verständnis des freien Berufs scheinen der Politik total egal zu sein. Man nimmt sie sogar bewusst in Kauf."

Ihr Vorstandskollege Dr. Ralph Ennenbach sieht in dem Gesetz ebenfalls keinen Einzelfall, sondern beobachtet eine allgemeine Tendenz in der Politik: "Man läuft Strömungen hinterher, denkt nicht langfristig."

Dem Minister warf Schliffke vor, mehr auf öffentliche Wirkung als auf tatsächliche Lösungen zu setzen. Als Beleg dienten ihr neben dem Referentenentwurf selbst die Überschriften und Filme, mit denen das Gesundheitsministerium das TSVG der Öffentlichkeit verkauft. Mit "simplifizierenden Filmen" und "Spiegelstrichen", gab Schliffke zu bedenken, löse man aber keine Probleme. Die bestehen nach Meinung der meisten Ärzte zumindest bei den Terminen und Wartezeiten ohnehin nicht in dem Maße, wie sie von der Politik behauptet werden.

"Deutschland steht im internationalen Vergleich gut da", sagte dazu der Vorsitzende der Abgeordnetenversammlung, Dr. Christian Sellschopp. Er warnte: "Wenn wir das über uns ergehen lassen, müssen wir uns nicht wundern, wenn bald Schluss ist mit Freiberuflichkeit und Selbstständigkeit."

Die in Aussicht gestellte "Entlohnung für Zusatzangebote", wie sie vom Ministerium genannt wird, kanzelte Schliffke ab: "Hier geht es nicht um Zusatzangebote, es geht um neue gesetzliche Verpflichtungen. Man serviert das wie Zuckerbrot. Das heißt dann extrabudgetäre Vergütung, erhöhte Bewertung oder bessere Förderung." Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine kleinteilige, nach Ansicht Schliffkes viel zu komplizierte Regelung, deren Gesamtvolumen sie für spekulativ hält: "Wir wissen frühestens in einem Jahr, ob dieser Einstieg aus finanzieller Sicht als gelungen zu bezeichnen ist oder ob sich das als Seifenblase erweist. Die Zahlseite ist nur eine Zukunftsoption mit Chancen und Risiken."


RESOLUTION

Auszug aus der am 19. September verabschiedeten Resolution:

"Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums versucht, nur bedingt vorliegende Versorgungsprobleme einseitig durch mehr staatliche Reglementierung zu lösen. Die Erhöhung der Mindestsprechstundenzeiten ist Augenwischerei und eine Geringschätzung der Leistung der Ärzte und Psychotherapeuten. Sie suggeriert, Wartezeiten seien dadurch verursacht, dass Ärzte und Psychotherapeuten zu wenig arbeiteten. Tatsächlich arbeiten die Niedergelassenen bereits heute mehr als 50 Stunden in der Woche. Wir arbeiten nicht nur während der Sprechstundenzeiten für unsere Patienten, sondern auch in Bestellsprechstunden, bei Hausbesuchen, im Bereitschaftsdienst, durch belegärztliche Tätigkeiten, bei ambulanten Operationen, durch das Schreiben von Gutachten und Attesten, durch die Beantwortung zahlreicher Anfragen von Krankenkassen und des MDK und vieles mehr. Auch die Teilnahme an Fortbildungen, das Engagement in Qualitätszirkeln und Praxisnetzen (...) kommen den Patienten zugute."


Notdienst

Die Entscheidung über die künftige Honorierung im Notdienst soll in der Novembersitzung fallen. Eine Tendenz wurde aber schon deutlich: Es wird deutliche Erhöhungen geben. Für den Dienst in den Anlaufpraxen ist ein Stundenlohn von 85 Euro im Gespräch.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2018 im Internet unter:
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, Oktober 2018, Seite 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2018

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