Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


POLITIK/1943: Mecklenburg-Vorpommerns Politiker wünschen sich die ausschließliche Fernbehandlung ... (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2019

Fernbehandlung
Landespolitik wird ungeduldig

von Dirk Schnack


Mecklenburg-Vorpommerns Politiker wünschen sich die ausschließliche Fernbehandlung und setzen die Ärztekammer unter Druck.


Die Mehrheit der Landesärztekammern in Deutschland hat im vergangenen Jahr ihre Berufsordnungen geändert und ist der geänderten Musterberufsordnung gefolgt, die im Mai 2018 auf dem Deutschen Ärztetag beschlossen wurde. Schleswig-Holstein hatte bekanntlich die Berufsordnung schon zuvor geändert. Mecklenburg-Vorpommern dagegen hat sich auch kurz vor Beginn des nächsten Deutschen Ärztetages noch nicht für eine Änderung entschieden, und das scheint die Politiker der regierenden SPD und CDU ungeduldig zu machen.

Der Schweriner Landtag hat im März mit den Stimmen der regierenden SPD und CDU einen umstrittenen Antrag dieser beiden Parteien angenommen. Damit wird die Landesregierung zu Gesprächen mit der Ärztekammer des Landes aufgefordert, in denen sie auf eine Änderung der Berufsordnung hinwirken soll. Ziel ist, die ausschließliche Fernbehandlung im Nordosten zu ermöglichen.

Die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, die schon vor der Abstimmung den Antrag kritisiert hatte, reagierte ablehnend. Den Antrag empfindet der Vorstand als unangemessen und als Einmischung in innerärztliche Angelegenheiten. Eine "übereilte Anpassung der Berufsordnung" lehnt der Vorstand weiterhin ab. "Telemedizin ist in Mecklenburg-Vorpommern nicht verboten, sondern lässt eine Beratung und Behandlung im Rahmen der Verlaufskontrolle bereits zu, setzt aber einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt voraus", klärte die Kammer auf. Zur Frage, ob das Thema auf der Kammerversammlung am 27. April eine Rolle spielen könnte, hieß es Mitte März: "Derzeit erscheint es unmöglich."

Landesgesundheitsminister Harry Glawe (CDU), der nicht persönlich an der Landtagsdebatte teilnahm, warb dagegen für die Aufhebung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbotes: "Gerade unser Land als Flächenland sollte offen für ein Konzept wie die Fernbehandlung sein." Es gehe nicht darum, Fernbehandlung zum Regelfall zu machen, sondern praktikable Lösungen für Einzelfälle zu schaffen, so Glawe. "Hierzu ist es notwendig, auch die Bedenken auszuräumen, die im Wesentlichen auf ungeklärten Haftungsfragen beruhen." Glawe erwartet, dass sich die Entwicklung in der Telemedizin "rasant fortsetzt", und diese Entwicklung werde nicht an den Landesgrenzen Mecklenburg-Vorpommerns haltmachen.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Sebastian Ehlers, sagte: "Wir dürfen die Telemedizin in Deutschland nicht Google oder Apple überlassen." Er hält es insbesondere in Flächenländern für erforderlich, Hürden für die Telemedizin abzubauen; hierzu solle der Landtagsbeschluss beitragen. Er räumte aber auch ein, dass der "wichtigste Schritt für flächendeckende Telemedizin ein rascher und flächendeckender Ausbau von Breitband und Mobilfunknetzen" ist.

Jörg Heydorn von der SPD warb für den Antrag mit den Worten: "Das Ziel ist nicht, den Arzt zu ersetzen, sondern zu entlasten und zu unterstützen." Nutzung der Telemedizin bedeutet für ihn nicht Ersatz der Arztpraxis, sondern Ergänzung der medizinischen Leistungen. Die Landesregierung solle mit der Landesärztekammer darüber sprechen, "wie auch unser Bundesland von den Chancen der Telemedizin profitieren kann".

Torsten Koplin von der Oppositionspartei Die Linke kritisierte dagegen den Druck, den die Parteien mit dem Antrag auf die Ärzteschaft ausübten, bevor diese ihren Diskussionsprozess abgeschlossen habe: "SPD und CDU haben es nicht einmal für notwendig erachtet, vorher mit der Ärztekammer darüber zu reden." Koplin warnte davor, virtuelle Sprechstunden als Allheilmittel zu betrachten, "mit dem alle Probleme der medizinischen Versorgung in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern gelöst werden können". Er verwies auch auf die noch fehlenden technischen Voraussetzungen in Teilen des Bundeslandes und sprach von einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Ärzteschaft.

Die Leiterin der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse, Manon Austenat-Wied, dagegen meinte: "Das sogenannte Fernbehandlungsverbot ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Es schränkt uns ein, mit weiteren Angeboten die Versorgungsprobleme in der ländlichen Region zu beseitigen."

Wie sich die beiden Regierungsparteien die von ihnen erwünschte "Hinwirkung" auf eine Änderung der ärztlichen Berufsordnung vorstellen, wurde im Antrag nicht näher erläutert. Die Politiker formulierten aber neben dem schon vorweggenommenen Ergebnis klare Erwartungen, etwa dass die Ärztekammer sich "in einem intensiven Diskussionsprozess mit diesem Thema und der Stärkung der Anwendungsmöglichkeiten im Bereich Telemedizin befasst".

Der Vorstand der Ärztekammer in Rostock hat nach Angaben von Vizepräsident Dr. Wilfried Schimanke emotional über den Antrag der Regierungsparteien diskutiert, weil man ihn als "Einmischung in innerärztliche Angelegenheiten" ansieht. "Der Antrag hat uns auch überrascht, weil sich die Landespolitik bislang sehr zurückgehalten hat", sagte Schimanke. Er persönlich vermutet, dass die Politiker vor dem Hintergrund der 2019 anstehenden Europa- und Kommunalwahlen der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln möchten, sie kümmerten sich um das Thema Gesundheitsversorgung. Schimanke sieht aber die Politik am Zug: "Es ist fraglich, ob Fernbehandlung im ländlichen Raum in Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend funktionieren würde. Dafür fehlt die technische Infrastruktur. Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht", sagte Schimanke.

Die Kammerversammlung der Nachbarkammer hatte sich im vergangenen Jahr mit der ausschließlichen Fernbehandlung beschäftigt und entschieden, vor einer Änderung der Berufsordnung das Thema im Satzungs- und Berufsordnungsausschuss intensiver zu beraten. Außerdem hat man in der konstituierenden Kammerversammlung im Januar einen Telematikausschuss gegründet.

Ein anderer Part aus dem Antrag von SPD und CDU betrifft die Honorierung telemedizinischer Leistungen. Er sieht vor, dass die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern sich auf Bundesebene dafür einsetzt, die Anwendung und Abrechenbarkeit telemedizinischer Anwendungen auszubauen und die E-Health-Initiative fortzuführen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201904/h19044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, April 2019, Seite 24
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang