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POLITIK/2046: Umstrittene Sterbehilfe - Das Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe beim Suizid ist verfassungswidrig (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 10 vom 6. März 2020
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Umstrittene Sterbehilfe
Das Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe beim Suizid ist verfassungswidrig

von Nina Hager


Das in Deutschland seit 2015 geltende Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe bei Selbstmord ist verfassungswidrig. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) stellte am 26. Februar bei der Verkündung des Urteils fest: Jeder/jede hat das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Auch mit Hilfe Dritter. Aktive Sterbehilfe, "Töten auf Verlangen", zum Beispiel durch eine Spritze, bleibt aber weiter verboten. Die Klagen von Sterbehilfeorganisationen und Ärzten, die bislang fürchten mussten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen, und schwer erkrankten Menschen hatten Erfolg. Doch das Thema wird umstritten bleiben - auch aus weltanschaulich-philosophischer wie ethischer Sicht.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, so heißt es sehr allgemein in der Begründung, schließe "die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren." Die Begründung fragt nicht danach, ob die Betroffenen durch eigenes Tun oder Unterlassen sich nötiger medizinischer Behandlung entziehen oder sich selbst das Leben nehmen. Dem Gericht ging es schon gar nicht darum, ob all diesen Menschen ein Leben in Würde, zu dem auch ihre finanzielle Sicherstellung wie eine ausreichende Höhe der Rente, aber auch gute Pflege und Betreuung und so weiter gehören, unter den bestehenden Verhältnissen überhaupt möglich ist.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, erklärte bei der Urteilsverkündung am 26. Februar, dass "selbstbestimmtes Sterben" die Freiheit einschließe, auch Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. In der Urteilsbegründung heißt es, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in Paragraf 217 Absatz 1 StGB die "Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang" verenge, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibe. Entsprechend der bislang geltenden Gesetzgebung drohten bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Nur Angehörige und "Nahestehende", die Menschen beim Suizid unterstützen, blieben straffrei. Damit sollte verhindert werden, dass Suizidhilfe-Vereine ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Professionelle Sterbehelfer hatten nach Verabschiedung des Paragrafen 217 ihre Aktivitäten in Deutschland tatsächlich weitgehend eingestellt. Jetzt muss der Gesetzgeber entsprechend des BVG handeln. Wie der Präsident des BVG weiter feststellte, behalte dieser mit dem Urteil "ein breites Spektrum an Möglichkeiten", die Suizidhilfe zu regulieren - mit Sicherungsmechanismen wie gesetzlich festgeschriebenen Aufklärungs- und Wartepflichten. Die Zuverlässigkeit von Anbietern könne über Erlaubnisvorbehalte gesichert werden. Besonders gefahrenträchtige Formen könnten verboten werden. Das Urteil verpflichtet zwar keinen Arzt, keine Ärztin, Sterbehilfe zu leisten, wird aber sicherlich unter anderem Neuregelungen im Hinblick auf die medizinischen Mittel mit sich bringen müssen.

Während die Kläger das Urteil begrüßen, meint die SPD, nun müsste Minister Spahn (CDU) im Sinne des Urteils handeln und seinen Widerstand gegen die Abgabe der für die Sterbehilfe notwendigen Medikamente aufgeben. Aus den Unionsparteien wie aus Kirchen kommt massive Kritik. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, beklagten in einer gemeinsamen Erklärung einen "Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur". Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, nun werde die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, der Sterbehilfe durchaus bejaht, treibt dagegen vor allem die Sorge um, dass sich "ein durchökonomisiertes 'Kosten-Nutzen-Klima' in unserer Gesellschaft seine zutiefst gnadenlose Sicht auf Menschen, die nicht 'performen' können, weiter durchsetzt". Er warnte unter anderem davor, alte und kranke Menschen dürften angesichts ihres Leidens "keinesfalls als Last für die Gesellschaft abgestempelt und gedrängt werden", "auf medizinische Maßnahmen zu verzichten, weil sie denken, dass ihre Behandlung zu teuer für die Angehörigen wird oder sie selber in höchster Not keinen Ausweg mehr wissen". Und er wurde noch deutlicher und hat auch mit dieser Warnung durchaus recht: Es müsse "mit allen Kräften" dafür gesorgt werden, dass Sterbehilfe nicht "ein furchtbares Instrument der Marktgesellschaft" werde. Das Urteil des BVG verhindert das nicht. Ob es neue rechtliche Regelungen können?

Es löst auch nicht das Problem, wie selbstbestimmt in entsprechenden Situationen die Entscheidungen der Einzelnen denn tatsächlich sind. "Allgemeine" Lösungen gibt es dabei bestimmt nicht. Jede Situation muss gesondert betrachtet werden, jeder Fall ist einzigartig. Dahinter steht auch die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach einem würdevollen Lebensende und der Würde der Verstorbenen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 10 vom 6. März 2020, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2020

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