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POLITIK/2104: KV Schleswig-Holstein - Bund ignoriert die Belange der Arztpraxen (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 12, Dezember 2022

Bund ignoriert die Belange der Arztpraxen

von Dirk Schnack


KVSH. Die zahlreichen Probleme im ambulanten ärztlichen Bereich belasten nicht nur die Ärztinnen und Ärzte in den Praxen, sondern beschäftigen auch die KV Schleswig-Holstein. Von den Entscheidungsträgern im Bundesgesundheitsministerium war zumindest bis zur KV-Abgeordnetenversammlung am 16. November keine Hilfe in Sicht. Auch von den Krankenkassen auf Bundesebene ist die Körperschaft enttäuscht.


Die Frage, wie steigende Preise verkraftet werden können, beschäftigt nicht nur Arztpraxen, sondern die ganze Gesellschaft. Im Gesundheitswesen sind auch andere Akteure, zum Beispiel Krankenhäuser, betroffen.

Im Gegensatz zu den Praxen werden die aus den Preissteigerungen resultierenden Probleme bei den Kliniken aber nicht politisch ignoriert. Eine Lösung etwa für die hohen Energiekosten in den Praxen war bis zur Abgeordnetenversammlung nicht in Sicht und sorgte bei den Verantwortlichen der KV Schleswig-Holstein genauso für Kopfzerbrechen wie an der ärztlichen Basis. Sie befürchten negative Auswirkungen der aktuellen wirtschaftlichen Situation auf den ärztlichen Nachwuchs und dessen Motivation, sich für eine Niederlassung zu entscheiden. Von der Bundespolitik fühlt sich die Körperschaft "im Stich gelassen".

Von "absoluter Ignoranz" der Bundespolitik gegenüber der ambulanten Versorgung sprach KV-Chefin Dr. Monika Schliffke in ihrem Bericht zur Lage. Ein Beispiel, das Schliffke nannte: Die Sonderzahlungen des Bundes an die Krankenhäuser, die mit der drohenden Insolvenzgefahr im stationären Bereich begründet werden. Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) hatte diese Zahlungen unter anderem mit dem Erhalt wichtiger Geräte, die trotz Energiekrise weiterbetrieben werden müssten, gerechtfertigt. Schliffke verwies in diesem Zusammenhang auf Daten des Statistischen Bundesamtes, wonach 74 % aller Kernspintomografen nicht in Kliniken, sondern in Arztpraxen stünden. Auch Linearbeschleuniger fänden sich überwiegend in Praxen. Sie verbrauchen nach Angaben Schliffkes die Strommenge von 40 Einfamilienhäusern.

"Werden solche Fakten ignoriert oder wird bewusst spekuliert, dass die Praxen schon nicht auf Drei-Tage-Betrieb herunterfahren", fragte Schliffke und forderte eine Gleichbehandlung der ambulanten Versorgung mit den Kliniken und der Pflege.

Mindestforderung sei ein "Sonderdeckel" für Hochstromverbraucher in der ambulanten Versorgung, "damit die Sicherstellung mit diesen Leistungen überhaupt gewährleistet bleibt". Kein Verständnis hat Schliffke für den Verweis des Bundesgesundheitsministeriums auf eine mögliche Härtefallregelung für klein- und mittelständische Unternehmen. Dieser Vergleich mit Bäckereien und Gastronomie zeigt für Schliffke, "was die ambulante Gesundheitsversorgung dieser Regierung wert ist".

Die brisante wirtschaftliche Situation im ambulanten Bereich hat die KV auch in Schreiben an das Gesundheits- sowie an das Wirtschaftsministerium in Kiel geschildert. Handlungsbedarf besteht aus Sicht Schliffkes auch deshalb, weil sie einen Attraktivitätsverlust des ambulanten Bereichs für den Nachwuchs befürchtet. Eine Gefährdung der ambulanten ärztlichen Versorgung sieht sie außerdem in der politischen Beförderung von Substitution durch andere Gesundheitsberufe und durch die ambulante Öffnung der Kliniken. Schliffke bemängelte, dass die ärztliche Selbstverwaltung in solche Strukturentwicklungen nicht mehr einbezogen wird. Ihr Eindruck zum Umgang mit der Selbstverwaltung: "Sie wird degradiert zu einem Verordnungsempfänger."

Unterstützung von den Krankenkassen erkennt sie in dieser Situation zumindest auf Bundesebene nicht - dies habe die Forderung nach Nullrunden gezeigt. Ihr Appell dazu: "Wenn der Spitzenverband auch nur ein bisschen nachdenken würde, dann könnte er erkennen, wie systematisch auch sein Selbstverwaltungsprinzip ausgehöhlt wird und sollte sich seine potenziellen Verbündeten nicht so massiv verprellen, wie er das gerade tut."

Schliffke bezog auch Stellung zu Themen auf Landesebene. Eines davon war die Entscheidung des Landes, nun auch Grippeimpfungen in den Impfzentren vornehmen zu lassen. "Das kam auch für uns überraschend, wir waren der Meinung, die Praxen würden das schon wuppen, aber man wollte ein zusätzliches niedrigschwelliges Angebot", sagte Schliffke. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass diese Ergänzung "unsere schon gute Quote nochmal verbessern kann". In der letzten Grippesaison hatten die Arztpraxen in Schleswig-Holstein rund 560.000 Grippeimpfungen verabreicht. Die Entscheidung des Landes, ab Januar die Zahl der Impfzentren auf sieben zu reduzieren, wird nach Ansicht Schliffkes keine negativen Auswirkungen haben. Später hält Schliffke diese Struktur komplett für verzichtbar.

Thema war auch die Entscheidung der KV Westfalen-Lippe, aus dem eRezept-Rollout auszusteigen - so, wie die KV Schleswig-Holstein dies zuvor auch schon getan hatte. In beiden Fällen spielten Datenschutz-Einsprüche eine Rolle. Schliffke fordert leicht umsetzbare, komplett digitale Lösungen für das eRezept - die gematik-App sei dies nicht.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 12, Dezember 2022
75. Jahrgang, Seite 16
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 30. Dezember 2022

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