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POLITIK/1778: Landtagswahl Schleswig-Holstein - Gesundheitswesen bleibt politischer Außenseiter (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2012

Landtagswahl Gesundheitswesen bleibt nach der Wahl politischer Außenseiter

Von Dirk Schnack



Wer besetzt künftig die Abgeordnetensitze im Kieler Parlament? Darüber entscheidet der Wähler am 6. Mai. Gesundheitsexperten werden kaum dabei sein.

"In welcher Funktion auch immer": Wenn Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner Garg in diesen Wochen über künftige politische Entwicklungen spricht, die er begleiten möchte, setzt er häufig diesen Zusatz über seine persönliche Rolle im politischen Geschäft. Denn ob Garg nach den Landtagswahlen am 6. Mai im Amt bleiben wird, ist ungewiss. Umfragen bis Redaktionsschluss deuteten darauf hin, dass die regierende CDU/FDP-Koalition in der Wählergunst der Schleswig-Holsteiner hinten liegen wird. Für Garg noch schlimmer: Seine liberale Partei scheint arge Probleme zu haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu meistern.

Damit wäre der Weg für Garg in eine weitere Amtsperiode versperrt. Gedankenspiele über mögliche Nachfolger sind rein spekulativ. Fest steht aber: Es gibt im Kieler Landeshaus nur wenige Politiker, die es im Gesundheitswesen fachlich mit den Kenntnissen des promovierten Volkswirtes Garg aufnehmen könnten. Viele Politiker machen noch immer gerne einen Bogen um die komplexen Themen des Gesundheitswesens, obwohl der Chefposten im Kieler Gesundheitsministerium nicht gerade ein Karrierekiller ist. Garg selbst ist immerhin stellvertretender Ministerpräsident und unter seinen Vorgängern findet sich geballte politische Landesprominenz von Prof. Günther Jansen über Claus Möller bis Heide Moser (alle SPD). Älteren Beobachtern der politischen Szene in Kiel sind auch die Namen von Ursula Gräfin Brockdorff und Karl Eduard Claussen (beide CDU) noch im Gedächtnis.

Politische Leichtgewichte werden voraussichtlich auch nach der Wahl 2012‍ ‍nicht in den Amtssitz an der Adolf-Westphal-Straße einziehen. Wer vom Ministerbüro aus auf die Kieler Hörn blicken möchte, muss innerparteilich schon gut aufgestellt sein - aber verfügt sie oder er auch über gesundheitspolitisches Know-how?

Das ist genauso offen wie der Wahlausgang. Nicht alle Politiker, die sich im Land mit Gesundheitspolitik beschäftigen, gelten als "ministrabel". Umgekehrt hat sich längst nicht jeder, der sich in seiner Partei zum Gesundheitswesen äußert, auch tiefgreifende Kenntnisse angeeignet. So dünn wie die Personaldecke in der Gesundheitspolitik sind auch manche Aussagen in den Wahlprogrammen der Parteien zum Thema. Ein Überblick über die wichtigsten Inhalte:

- CDU: Die Christdemokraten wollen unter dem Schlagwort patientenorientierte Gesundheitsversorgung eine freie Arzt- und Behandlungswahl sowie flächendeckende medizinische Versorgung sicherstellen. Dazu soll der nach der jüngsten Gesetzesänderung vorhandene größere Gestaltungsspielraum auf Länderebene in Zusammenarbeit mit den Akteuren ausgeschöpft werden. Ärzte, die sich in unterversorgten Regionen niederlassen, sollen Anreize erhalten. Der Zugang zum Medizinstudium soll überprüft werden, der Notendurchschnitt allein nicht ausschlaggebend sein. Deutlich weiter vorn als die Gesundheitsversorgung finden sich im Wahlprogramm der CDU Aussagen zur Gesundheitswirtschaft. Beklagt wird dabei, dass das Gesundheitswesen noch vorwiegend als Kostenfaktor angesehen wird, während die damit verbundenen Chancen für Wirtschaft und Beschäftigung eher in den Hintergrund treten. Die CDU kündigt an, die Anreize für Investitionen im Gesundheitsbereich des Landes zu stärken. Um das Potenzial zu nutzen, sollen Gesundheits-, Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium enger kooperieren.

- SPD: Die Sozialdemokraten gehen mit der bekannten Forderung nach einer Bürgerversicherung in die Wahl. Die ist nach Ansicht der SPD Voraussetzung für eine hochwertige medizinische Versorgung, die unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Vermögen und Wohnort gewährleistet sein müsse. Als Problemfeld hat die SPD die stationäre Versorgung in Schleswig-Holstein ausgemacht, weil der Landesbasisfallwert unter dem bundesweiten Durchschnitt liegt. Hierzu stellt die Partei unter einer SPD-Landesregierung eine Initiative in Aussicht, ohne diese konkreter zu beschreiben. Dies gilt auch für die Absicht, die hausärztliche Versorgung in der Fläche zu stärken. Um einen Ärztemangel zu verhindern, heißt es im Wahlprogramm: "Hierfür werden wir den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, lokal eigene Gesundheitszentren einzurichten, die eine ortsnahe hausärztliche und pflegerische Versorgung (z. B. kommunales Gesundheitszentrum) sicherstellen." Gesundheitsförderung, Gesundheitserziehung und Prävention sind einige der weiteren Punkte, die die SPD stärken möchte. Wie die "spezialisierten Gesundheitszentren", die zu einer Verknüpfung von ambulanter und stationärer Krankenversorgung beitragen sollen, aus Sicht der Partei konkret betrieben werden könnten, wird im Wahlprogramm nicht verraten.

- FDP: Die Freidemokraten setzen auf ein regional strukturiertes Gesundheitswesen und sehen eine wichtige Voraussetzung für eine hochwertige Versorgung in einer engen Abstimmung der verschiedenen Akteure. Gefordert seien "Respekt füreinander" und Kooperationen "auf Augenhöhe". Neben einem klaren Bekenntnis zur Freiberuflichkeit von Medizinern findet sich auch der unter Ärzten umstrittene Vorschlag einer mobilen Landarztpraxis, die Garg wie berichtet mit dem "Docmobil" erproben möchte. Weitere zentrale Punkte im Programm der FDP betreffen im ambulanten Bereich eine Entlastung von bürokratischen Anforderungen, eine Stärkung der Patientenautonomie und eine Honorarreform, die auf mehr Transparenz und regionale Besonderheiten abzielt. Im stationären Bereich will sich die Partei weiter für eine Angleichung des Landesbasisfallwertes einsetzen. Bei Kooperationen gilt für die FDP der Grundsatz ambulant vor stationär. Neben zahlreichen anderen Punkten wie Palliativmedizin nimmt sie auch das Gesundheitsbewusstsein der Menschen ins Visier: In Familie, Kindergärten und Schulen sollen mehr präventive Gesundheitsmaßnahmen angeboten werden.

- Bündnis90/Die Grünen: Prävention, Kooperation über die Sektorengrenzen hinweg, Wohnortnähe und Bedarfsorientierung sind für Bündnis90/Die Grünen Stichpunkte, die beim Thema Gesundheitspolitik ganz oben stehen. Um die ambulante Versorgung auf dem Land sicherstellen zu können, sind nach Ansicht der Grünen Anreizsysteme erforderlich, die im Wahlprogramm aber nicht näher ausgeführt werden. Um die Versorgung besser planen zu können, wollen die Grünen regionale Gesundheitskonferenzen unter Beteiligung aller Gesundheitsberufe, von Gesundheitsämtern, Krankenhäusern, den Bürgern vor Ort und der Kommunen einberufen. Zur Vergütung der niedergelassenen Ärzte heißt es im Programm: "Die Kostenvergütung im ambulanten Bereich muss so ausgestattet sein, dass eine patientengerechte Versorgung insbesondere im ländlichen Raum sichergestellt wird und nicht Lobbygruppen bedient werden. Nicht der Geräteeinsatz, sondern die gesprächs- und zeitintensive Medizin muss besser honoriert werden." Um die Kooperation über die Sektorengrenzen hinweg zu verbessern, wollen die Grünen eine "unabhängige Institution" schaffen, der die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhäuser unterstellt werden. Ziel: gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Ärzten und Kliniken.

- Die Linke: Die Linke sieht durch eine "zunehmende Profitorientierung des Gesundheitswesens in Schleswig-Holstein viel Schaden angerichtet". Die Partei verweist auf verloren gegangene Arbeitsplätze im Kur- und Rehawesen. Die Klinikstandorte im Land will die Partei erhalten, aber ohne Privatisierungen. Stattdessen sollen Kommunen bei einer Rekommunalisierung der Kliniken unterstützt werden. Für eine enge Kooperation sollen Gesundheitszentren entstehen. Gesundheitsziele sollen gemeinsam mit allen Beteiligten definiert werden. Auf die Bedingungen der niedergelassenen Ärzte geht das Programm nicht näher ein.

- SSW: "Große Bürokratie und Ineffizienz" hat der Südschleswigsche Wählerverband im Gesundheitssektor ausgemacht. Besondere Probleme sieht man im Bereich der Krankenhausversorgung und der ärztlichen Versorgung auf dem Land. Viele Personalgruppen im Krankenhaus sieht der SSW über ihren Belastungsgrenzen, auch von einem "Pflegenotstand" ist die Rede. Neben einer Angleichung des Landesbasisfallwertes und Anreizen für Landärzte durch Sicherstellungszuschläge fordert der SSW eine bundeseinheitliche Ausbildung und Berufsbezeichnung im Pflegebereich sowie eine einheitliche Ausbildungsfinanzierung. Die Bestrebungen für einen starken öffentlichen Gesundheitsdienst müssten in Schleswig-Holstein verstärkt werden, so der SSW. Ziel: eine vorbeugende kommunale Gesundheitspolitik.

- Piratenpartei: Die bislang nicht im Landtag vertretenen Piraten setzen sich mit dem Thema Gesundheit in ihrem Wahlprogramm nur am Rande auseinander. Sie sprechen sich für eine lokale Erstversorgung durch Pflegekräfte aus. Sie stellen sich eine Pflegekraft für jede Gemeinde vor - pro 1.000 Einwohner eine Kraft. Sie soll immobile Menschen besuchen, den Gesundheitszustand und Versorgungsbedarf ermitteln, darauf achten, dass die Versorgung mit Medikamenten und Hilfsmitteln gewährleistet ist. Die Pflegekraft soll Schnittstelle zwischen Hausarzt, Gemeinde, Physiotherapie und Pflegedienst sein und ohne ärztliche Weisung tätig werden. Sie rechnet mit der Krankenkasse ab, erhält aber ein Grundgehalt von der Gemeinde.

Neben den derzeit im Landtag vertretenen Parteien und den Piraten, die laut Umfragen Chancen auf einen Einzug ins Parlament haben, treten in Schleswig-Holstein auch die in manchen Bundesländern erfolgreichen Freien Wähler an. Außerdem finden sich die NPD, die Familien-Partei Deutschlands und die Maritime Union auf den Wahlzetteln.

Ein kurzer Rückblick auf die verkürzte Legislaturperiode seit 2009 zeigt, dass längst nicht alle mit dem Regierungswechsel bei manchen Ärzten geweckten Hoffnungen erfüllt wurden. So zeigte Garg etwa nach Ansicht der KVSH zwar viel Unterstützung für die Krankenhäuser im Land, nicht aber für die niedergelassenen Ärzte. Kommentar Gargs zu diesem vor einigen Wochen geäußerten Vorwurf: "Ich dachte, wir wären schon weiter."

In seine Amtszeit fielen einige wichtige Ereignisse: die Bewältigung der EHEC-Krise, für die die Krankenhäuser aus der Politik großes Lob erhielten, oder die von der Landesregierung ursprünglich in Kauf genommene und schließlich abgewendete Schließung des Studiengangs Medizin in Lübeck. Garg steht aber auch für eine gemeinsame Betrachtung von Gesundheit und Pflege. Gemeinsam mit Prof. Fritz Beske hat Garg dazu beigetragen, dass verbandsübergreifend nach Perspektiven für die Versorgung gesucht wurde, ohne dass dabei Wunschlisten im Vordergrund standen. Wie kaum ein Gesundheitsminister vor ihm hat Garg immer wieder auf die begrenzten Spielräume durch die knappen finanziellen und personellen Ressourcen im Gesundheitswesen verwiesen und damit deutlich gemacht, dass die Bevölkerung künftig auch Einschnitte akzeptieren muss. Wer die Wahlprogramme der Parteien liest, findet von dieser Haltung wenig wieder - die Finanzierung der Wunschlisten ist auch in diesem Wahlkampf kein beliebtes Thema bei den Parteien.


Die gesundheitspolitischen Sprecher im Überblick

CDU - Katja Rathje-Hoffmann
Geboren: 1963 in Bad Segeberg
Werdegang: Berufsfachschule für Wirtschaftsassistenten, 1990 Eintritt in die CDU, Vorsitzende des Petitionsausschusses, Mitglied im Sozialausschuss; Position auf Landesliste: 6

SPD - Bernd Heinemann
Geboren: 1952 in Kiel
Werdegang: Lehre zum Elektromechaniker, Diplomsozialarbeiter, Geschäftsführer Landestelle für Suchtfragen, Mitglied im Sozialausschuss; Landesliste: hat auf Kandidatur verzichtet, tritt in Kiel-Ost an

FDP - Anita Klahn
Geboren: 1960 in Lübeck
Werdegang: Ausbildung zur Druckvorlagenherstellerin, Industriemeisterin im Printbereich, seit 2000 Mitglied in der FDP, Landtagsvizepräsidentin, Stadtverordnete in Bad Oldesloe; Position auf Landesliste: 3

Bündnis90/Die Grünen - Dr. Marret Bohn
Geboren: 1964 in Wyk auf Föhr
Werdegang: Fachärztin für Innere Medizin, Mitglied der Grünen seit 2007, sozialpolitische Sprecherin der Kreistagsfraktion und Sprecherin der LAG Soziales und Gesundheit; Position auf Landesliste: 5

Die Linke - Antje Jansen
Geboren: 1950 in Kiel
Werdegang: Erzieherin, Leiterin Naturkindergarten, Landessprecherin (der Grünen), Fraktionsvorsitzende in der Lübecker Bürgerschaft, 2005 Eintritt in die Linkspartei; Position auf Landesliste: 1

SSW - Flemming Meyer
Geboren: 1951 in Sønderborg
Werdegang: Abitur, Lehrer, verheiratet, vier Kinder, 1966 Eintritt in den SSW, seit 2009 Abgeordneter des Landtages, SSW-Landesvorsitzender; Position auf Landesliste: 4

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201204/h12044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Dr. rer. pol. Heiner Garg

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2012
65.‍ ‍Jahrgang, Seite 11 - 14
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Mai 2012