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SOZIALES/024: Patientenorientierte Medizin und Pflege - Zuwendung als Allgemeingut (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2016

Kongress
Zuwendung als Allgemeingut

Von Horst Kreussler


Der fünfte Christliche Gesundheitskongress in Kassel lieferte Impulse für eine patientenorientierte Medizin und Pflege.


Kürzlich hat der Deutsche Ethikrat ein Positionspapier vorgelegt mit dem Titel "Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus". Darin fordert er, ärztliches Handeln müsse auf den individuellen Patienten und seinen Bedarf ausgerichtet sein, nicht nur auf einen pauschalierten Behandlungsfall. Unter anderem wird in den 29 Empfehlungen eine bessere Kommunikation mit den Patienten in ausreichender Zeit angesprochen.

Spät, könnte man sagen, aber immerhin. Jedenfalls zeigt dies die Notwendigkeit, früher Selbstverständliches - die Zuwendung zum einzelnen Patienten - wieder zum Allgemeingut der Pflegenden, auch zum Teil der Ärzte zu machen. In seinem Grußwort zum fünften Christlichen Gesundheitskongress in Kassel hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe diesen Gedanken aufgenommen und geschrieben: "Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich gerade darin, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen, wenn sie der Hilfe und des Zuspruchs bei Krankheit und Pflege bedürfen." Er verwies auf eine Reihe von Gesetzen wie das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung, die er aus dieser Motivation heraus auf den Weg gebracht habe. Klar dürfte aber sein, dass ein inzwischen "durchökonomisiertes" Gesundheitswesen nicht von oben her durch ein paar Gesetze humaner und patientengerechter werden kann.

In diesem Sinn wollte der Christliche Gesundheitskongress dazu beitragen, mit den Kompetenzen zahlreicher christlicher Gesundheitsdienstleister aus vielfältigen Bereichen - von großen Kliniken wie der Albertinen-Gruppe in Hamburg bis hin zu kleinen ambulanten Pflegediensten - Anstöße für eine patientengerechtere Krankenversorgung zu geben. Im Gesundheitswesen "Zeichen setzen" (so das Kongressmotto) sei das Ziel, sagte Dr. Georg Schiffner aus Aumühle bei Hamburg von der Kongressleitung. Dies gilt nach einem Text des Caritasverbandes in vierfacher Hinsicht: Ärzte könnten Patienten mit religiösen Bedürfnissen entsprechend begleiten, sie könnten ihre persönliche Motivation zum Helfen und Heilen durch eigene Glaubensüberzeugungen verstärken, auch ihr Berufsethos durch ein christliches Ethos untermauern. Außerdem könne eine Gesundheitseinrichtung in kirchlicher Trägerschaft die Unternehmensidentität religiös definieren und ihr Leitbild entsprechend formulieren. "Dabei sind wir überhaupt nicht als Besserwisser und Bedenkenträger unterwegs", beruhigte Schiffner.

Der alle zwei Jahre meist in Kassel stattfindende Kongress zeigte vielfältige Möglichkeiten einer spirituell unterlegten Medizin, Pflege und Organisation auf. Zunächst die Christliche Heilkunde ("Spiritual Care"), aus der Palliative Care entwickelt - sie sei kein Modewort, sondern nachweisbar wirkungsvoll, sagte der Schweizer Protagonist Dr. René Hefti (Bern): Nach Daten einer umfangreichen Metaanalyse sei die Mortalität um fast 20 Prozent gesunken, allerdings mit Nachteilen bei anderen Patienten.

Ein anderes Beispiel: ein ehrenamtlicher Besuchsdienst bei Pflegebedürftigen in einer Ortsgemeinde. Das Projekt "Vis-à-vis" aus der Pfalz erhielt in Kassel den ersten Preis im Wettbewerb "Christlicher Gesundheitspreis". Es verbindet die alte Idee der Gemeindeschwester mit dem amerikanischen Konzept "Parish Nursing". Noch in diesem Jahr, sagte Projektinitiatorin Angela Glaser, solle ein ähnliches Projekt in Hamburg starten.

In einem anderen Projekt stellen sich in einer Kirchengemeinde in Tübingen in Zusammenarbeit mit der Theologischen Fakultät der Universität ehrenamtliche ausgebildete Helfer zur wirksamen Unterstützung von Ärzten und Pflege bei depressiven Patienten zur Verfügung (Dr. Beate Jacob, Deutsches Institut für ärztliche Mission).

In Berlin betreut Pfarrer Sven Schönheit ein Netzwerk zur umfassenden Unterstützung kranker Menschen. Er sagte zur Begründung: "Eine Gesellschaft, die sich immer mehr fragmentiert, braucht wieder Ganzheitlichkeit."

In den zahlreichen Seminaren und Plenarveranstaltungen gab es auch Themen, die nicht nur auf die Gesundheit von Patienten, sondern auch auf die der Behandler abzielten. So etwa die Burnout-Prophylaxe unter dem Titel "Lebensfreude, Zufriedenheit und Gelassenheit - keine utopischen Gesundheitsziele". Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig (deIgnis-Rehaklinik speziell für Suchtkranke) stellte - natürlich humorvoll - das "Jammerlappen-Auswring-Training" vor: Heftige Klagen zum Beispiel über gravierende Mängel im Gesundheitswesen sind dabei durchaus erlaubt, sollten aber mit Blick auf mögliche Verbesserungen in der Zukunft zeitlich begrenzt werden.

Oder ein sehr informatives Seminar zum Thema Ressourcenstärkung von der Psychologischen Psychotherapeutin Meike Wessling aus Wentorf bei Hamburg. Oder ein neuartiges Antistress-Training durch indirekte und direkte Vagus-Stimulation nach Prof. Gerd Schnack aus Allensbach (früher in Aumühle bei Hamburg), dargeboten von Tochter Birgit und Ehefrau und Kollegin Dr. Kirsten Schnack. Oder die eindrucksvolle Präsentation des bekannten Geigenbaumeisters und Autors Martin Schleske (Oberbayern) zur Thematik Musik, Instrumentenbau, Hören und Medizin.

Zudem gab es auf dem Kongress auch in diesem Jahr wieder viele Hinweise am Rande in Gesprächen und in der begleitenden Ausstellung, beispielsweise zum wohl einzigartigen "Ratzeburger Modell" der Röpersbergklinik Ratzeburg für rehabedürftige pflegende Angehörige, die ihr unter Demenz leidendes Familienmitglied in die Klinik mitbringen können.

Bei alledem bleibt die Frage nach dem heutigen Stellenwert einer einst historisch sehr starken Strömung im Gesundheitswesen: Das Hospital ist ja - sprachlich noch erkennbar - aus dem christlichen Hospiz des Mittelalters hervorgegangen. Geht der Säkularisierungsprozess weiter, werden die konfessionellen Krankenhäuser immer weniger sichtbar, ja zu einer Randgruppe? In einem Grundsatzreferat fragte der Greifswalder Gesundheitsökonom Prof. Steffen Fleßa: Gibt es eine christliche Blinddarm-OP? Eher nicht, aber auch die Ausführung einer stark technischen Gesundheitsleistung kann in einem ganz unterschiedlichen Geist erfolgen. Die Herausforderung aber besteht, so Fleßa, nach der ehemaligen Monopolsituation nunmehr die aktuelle Berechtigung zu untersuchen und sich auf seine Stärken zu besinnen. Das wäre beispielsweise eher bei Behandlungen mit längerer Verweildauer als etwa in der Kurzzeitchirurgie möglich.


Info

"Als Christen Zeichen setzen - Aufgabe und Chance zugleich in einer vielfältigen Gesellschaft!" Unter diesem Motto hatten die Veranstalter den diesjährigen Kongress gesetzt. Weiter hieß es: "Kranke Menschen warten auf Zeichen therapeutischen Fortschritts, Pflegebedürftige auf Zeichen qualifizierter Fürsorge. Behinderte warten auf Zeichen ehrlicher Wertschätzung, Zweifelnde auf Zeichen mutmachenden Glaubens. Und wir, die Mitarbeiter in Gesundheitswesen und Gemeinde? Auf welche Zeichen warten wir?" Der Kongress wollte solche Zeichen setzen und ermutigen. Denn: "Eine gesunde christliche Spiritualität hat ein starkes Potential für heilsame Veränderungsprozesse."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201605/h16054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Mai 2016, Seite 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2016

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