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STUDIE/079: Was bewirken die Terminservicestellen? Ein ernüchterndes Ergebnis (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2019

Terminservicestellen
TSS verknappen die Ressourcen

von Dirk Schnack


Was bewirken die Terminservicestellen? Eine Rheumapraxis in Neumünster hat dazu ihre eigene Untersuchung angestellt. Das Ergebnis ist ernüchternd.


Die unter niedergelassenen Ärzten verbreitete Skepsis über die Sinnhaftigkeit von Terminservicestellen (TSS) wird durch eine Studie des Rheumazentrums Schleswig-Holstein Mitte untermauert. Die internistisch-rheumatologische Gemeinschaftspraxis mit zwei Sonderbedarfssitzen hat alle Patienten, die von 2016 bis Ende 2018 durch die TSS in Schleswig-Holstein an sie verwiesen wurden, retrospektiv und pseudonymisiert ausgewertet. Das Ergebnis bestätigt das Gefühl vieler Ärzte, dass die TSS nicht zu einer verbesserten Versorgung führen. Das Ergebnis in der Zusammenfassung:

• 29 Patienten (28,43 Prozent) erschienen trotz der Terminvermittlung nicht in der Praxis.

• 49 Patienten (48,04 Prozent) hatten keine rheumatische Erkrankung.

• 19 Patienten (18,63 Prozent) hatten eine schon vorher bekannte, in der Regel vorbehandelte und nicht aktive entzündlich-rheumatische Erkrankung.

• Fünf Patienten (4,9 Prozent) hatten eine dringliche Indikation für eine internistisch-rheumatologische Vorstellung. Sie kamen, um eine Verdachtsdiagnose bestätigt zu bekommen, damit eine Therapie eingeleitet werden kann.

Prozentuale Verteilung von 73 Patienten nach Vorstellungsindikation, die zu dem über die TSS vermittelten Termin auch tatsächlich erschienen sind.

26,03% rheumatische Erkrankung ohne dringliche Vorstellungsindikation

6,85% rheumatische Erkrankung mit dringlicher Vorstellungsindikation

67,12% keine rheumatische Erkrankung

Für die Praxisinhaber Prof. Julia Holle und Prof. Frank Moosig zeigen die Ergebnisse, dass "die TSS ihren Zweck, nämlich akut erkrankte Patienten zu einem zügigen Termin beim entsprechenden Facharzt zu verhelfen, nicht erfüllt" - denn dies trifft laut der Auswertung nur auf fünf der 102 von der TSS vermittelten Patienten zu. Fast 30 Prozent der von der TSS vermittelten Patienten dagegen erschien nicht in der Praxis. Holle und Moosig machen auf den dabei für ihre Praxis entstandenen Verwaltungsaufwand aufmerksam. Immerhin reservieren sie für einen Erstvorstellungstermin einen 30-minütigen Arztkontakt inklusive körperlicher Untersuchung und Arthrosonografie. Bei einem Terminausfall wird diese Zeit nicht finanziell kompensiert.

Auch die Vermittlung von Patienten, die eigentlich einem anderen Facharzt vorgestellt werden müssten, ist für das Gesundheitssystem problematisch. Das Rheumazentrum Mitte ordnet fast die Hälfte der von der TSS vermittelten Patienten in diese Kategorie ein. Diese Patienten haben keine entzündlich-rheumatische Erkrankung und insbesondere keine Indikation für eine dringliche Vorstellung beim internistischen Rheumatologen, sondern eine - nicht dringliche - Indikation für eine Vorstellung beim Orthopäden oder beim Psychotherapeuten. "Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Patienten scheint zum Rheumatologen fehlgeleitet zu werden, weil möglicherweise psychische Probleme somatisiert werden", so die Praxisinhaber.

Die Gründe sind für die niedergelassenen Spezialisten unklar - etwa, ob die Überweisung auf Druck des Patienten erfolgt. Nach ihrer Erfahrung vereinbaren Ärzte bei hoher Dringlichkeit in aller Regel einen Termin von Arzt zu Arzt - die TSS wäre dafür gar nicht erforderlich.

Zu dem Anteil an Patienten, die zwar eine entzündlich-rheumatologische Grunderkrankung aufweisen, aber ohne dringliche Indikation kommen: Bei ihnen unterstellen die Praxisinhaber, dass die Patienten langfristig eine rheumatologische Anbindung benötigen, dafür möglicherweise aber lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, eben weil keine Dringlichkeit besteht. "Dies ist ein Ausdruck mangelnder ärztlicher Kapazitäten, die behoben werden sollen, aber nicht beseitigt werden können, da die TSS-Termine nicht additiv entstehen, sondern reguläre Termine verdrängen", sagten Holle und Moosig. In dieser Gruppe fanden sich übrigens auch Patienten, die bereits eine rheumatologische Anbindung hatten und lediglich eine Zweitmeinung oder einen Wechsel des Rheumatologen wünschten. Für die beiden Ärzte zwar nachvollziehbar, aber sie geben auch zu bedenken: "Das führt zu einer weiteren Verknappung der Ressourcen."

Als Konsequenz aus der Auswertung fordert Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, eine Ursachenanalyse. "Wir müssen wissen, warum Patienten Termine nicht wahrnehmen und warum offensichtlich Patienten zum Teil falsch geleitet werden." Die Arbeit der TSS sollte nicht dazu führen, dass den Praxen Nachteile entstehen, so Herrmann.

Eine Befragung im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zeigt, dass derzeit jeder zweite Krankenversicherte in Deutschland bis zu drei Wochen oder länger auf einen Termin beim Facharzt warten muss. Längere Wartezeiten auf einen Hausarzttermin sind dagegen deutlich seltener. Etwa jeder zehnte Patient muss drei Wochen oder länger auf einen Termin beim Allgemeinmediziner warten. Rund 30 Prozent der Versicherten mussten bei ihrem letzten Arztbesuch keine Wartezeit in Kauf nehmen.

Die KBV hatte deshalb von Beginn an Bedenken gegen die TSS. Ihr Argument: Dort, wo sich Wartezeiten wegen eines zu hohen Patientenaufkommens nicht vermeiden lassen, sorgen die TSS nicht für Abhilfe. "Solange Praxen aufgrund des starken Patientenandrangs schlichtweg überlastet sind, wird auch ein Terminmanagement nicht helfen", sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Aus seiner Sicht können Ärzte am besten entscheiden, wie sie die Patientenströme kanalisieren.

Anfang Texteinschub
37% der Patienten warten laut Versichertenbefragung der KBV keinen Tag auf einen Termin beim Hausarzt.

16% der Patienten warten keinen Tag auf einen Tag beim Facharzt.

51% der Patienten warten drei Wochen oder länger auf einen Termin beim Facharzt.
Ende Texteinschub


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201909/h19094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, September 2019, Seite 16 - 17
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2019

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