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AUSLAND/1477: USA - Notstandsmedizin in Gottes eigenem Land (UZ)


UZ - unsere zeit, Nr. 32 vom 7. August 2009
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Internationale Politik

Notstandsmedizin in Gottes eigenem Land
USA - gesundheitspolitisch auf Drittweltniveau

Von Hans-Peter Brenner


"Obama an einer Wegscheide." "Obama bangt um seine wichtigste Reform." "Die Leute sind skeptisch." Dies sind nur drei von beliebig vielen ähnlichen Meldungen zur Auseinandersetzung um die von US-Präsident Obama angestoßene Reform des US-Gesundheitswesens. An ihr war in den 90er Jahren sein Vorvorgänger Bill Clinton schon einmal gescheitert. Auch jetzt sieht es für den neuen Vorstoß nicht gut aus. Der ursprünglich von Obama vorgelegte Termin für die parlamentarische Behandlung der Reform vor der parlamentarischen Sommerpause ist schon verschoben. Der Widerstand der Reformgegner formiert sich bis in seine eigene Partei hinein. Einige Hintergründe: Dass eine Reform des US-amerikanischen Gesundheitswesens mehr als überfällig ist, ist weltweit bekannt. In kaum einem anderen Sektor werden die tiefen Widersprüche des US-Kapitalismus so deutlich wie hier. 45 bis 50 Millionen US-Bürger haben keine Krankenversicherung.

Im internationalen Vergleich stehen die USA in puncto Gesundheitsausgaben mit 16 Prozent des Bruttoinlandprodukts zwar auf einem einsamen Führungsplatz - die Kosten in der BRD machen z. B. nur einen Anteil von 10,4 Prozent aus -, aber die Effizienz und die Breite der Versorgung stehen dazu in keiner Relation. Gesundheitspolitisch gesehen ist die Versorgung insgesamt eher mit der eines "Drittweltlandes" vergleichbar. Dazu der "Spiegel" vom 27.7.: "In internationalen Vergleichsstudien schnitt die Supermacht mit Platz 37 ... beschämend ab." Die Ärztedichte mit nur 2,4 auf je tausend Einwohner hält keinem Vergleich mit anderen hochentwickelten kapitalistischen Staaten Stand. Die Vergleichszahlen: Frankreich 3, 4; BRD 3,5; Italien 3,7; Schweiz 3,8 und die Niederlande 3,9. Bei den Bettenzahlen ist der Abstand noch größer. Kommen in den USA auf je 1000 Bewohner 3,1 Krankenhausbetten, so sind es in den Niederlanden 4,5, in Frankreich 7,1 und in der BRD gar 8,2. Jüngste Presse- und TV-Berichte über die katastrophale medizinische Versorgung z. B. in den Armutsgebieten in Virginia oder Tennessee zeigen drastisch, dass der "Dritte-Welt"-Vergleich keineswegs an den Haaren herbeigezogen ist. Dazu heißt es im Pressedienst des "Washington Watcher" über eine inneramerikanische Hilfsaktion der eigentlich auf Noteinsätze in "Entwicklungsländern" spezialisierten Organisation RAM (Remote Area Medical):

"Morgens um fünf warten schon 250 Menschen vor einer Turnhalle. Viele von ihnen haben hier übernachtet, auf dem Parkplatz oder mit Schlafsack auf dem Bürgersteig. Denn in der Turnhalle hat die Hilfsorganisation RAM eine provisorische Klinik für ein Wochenende aufgebaut. ... So sieht Armut aus in einem der reichsten Länder der Welt. Es kommen Patienten mit fortgeschrittenen Zahnentzündungen, in einem Fall bestätigt der Arzt, dass es ohne Behandlung tödlich hätte enden können. ...

Jetzt finden 60 Prozent der Einsätze von RAM in den USA statt. Oft kommen so viele Patienten, dass Stan Brock (Initiator von RAM - HPB) am Ende des Wochenendes viele abweisen muss. Am Ende dieses Wochenendes haben die Freiwilligen von RAM 650 Zähne gezogen, 166 Brillen verteilt, 18 Mammographien gemacht und insgesamt über 500 Patienten durchgeschleust. Sie haben Dienste für rund 100.000 Dollar geleistet, für die keine Versicherung aufkommen muss. Wir haben dort in Tennessee ein Stück Dritte Welt gesehen, mitten in der 'Ersten Welt'." Kurz nach diesem Einsatz in Tennessee berichtet am 29.07. die Frankfurter Rundschau von einem ähnlichen Einsatz aus dem "Wise County", einem abgelegenen Distrikt in dem abgelegenen Bergbaurevier des Appachalen-Gebirges im US-Staat Virginia.

In drückender Julihitze standen dort bereits morgens um 5 Uhr hunderte von verarmten Bergarbeitern und ihre Angehörige vor den Behandlungszelten von RAM. Einlass bekamen nur 1.600 Patienten, weil die Kapazitäten der kostenlos behandelnden Mediziner damit an diesem Tag ausgeschöpft waren. Wer zu spät kam, musste es anderntags neu versuchen. Der Kommentar dazu lautet: "Surreale Szenen, die man irgendwo im fernen Dschungel erwarten würde, als in einem der reichsten Länder der Erde." Ja gewiss, es gibt in den USA modernste Behandlungszentren, hochspezialisierte Kliniken und fähige Ärztinnen und Ärzte. Doch wem kommen diese hochentwickelten Medizinangebote zu Gute? Wer kann sie sich leisten? Es sind nicht mehr nur die Armen, die auf wohltätige Hilfe wie die der RAM-Aktivisten angewiesen sind. Immer mehr Angehörige der "Mittelklasse" können die horrenden Behandlungs-, Pharma- und Heilmittelkosten nicht mehr aufbringen und tauchen an den RAM-Zeltlagern auf.

Im Bericht einer in Virginia praktizierenden und die RAM unterstützenden Zahnärztin heißt es zur Begründung, warum sich in Regionen wie dem Wise County keine Zahnärzte niederlassen: "Bis zu 40.000 Dollar pro Jahr kostet die Ausbildung. Bis die Praxis eingerichtet ist, hat ein junger Kollege schnell eine Viertelmillion Dollar Schulden. Niederlassen kann er sich nur, wo es genug Versicherte oder zahlungskräftige Kunden gibt." Man mag darüber streiten, ob dies wirklich für die Mehrheit der US-amerikanischen Zahnärzte gilt. Aber die Mediziner sind Teil eines gnadenlos auf Profit ausgerichteten Gesundheitssystems. Sie sind nicht nur Profiteure, sondern auch Getriebene dieses Systems.

(Wird fortgesetzt)


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 41. Jahrgang, Nr. 32
7. August 2009, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2009