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AUSLAND/1562: Südafrika - Überlastet und traumatisiert, Kinder die ihre Aids-kranken Eltern pflegen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2010

Südafrika: Überlastet und traumatisiert - Wenn Kinder ihre Aids-kranken Eltern pflegen

Von Laure Pichegru


Johannesburg, 21. Juli (IPS) - Vor vier Jahren war für Nomasonto, die eigentlich anders heißt, die Kindheit vorbei. Die damals Neunjährige musste sich um ihre Aids-kranke Mutter kümmern, die nicht mehr für sich selbst sorgen konnte. Die Mutter starb ein Jahr später.

Anstatt Schularbeiten zu machen und mit anderen Kindern zu spielen, musste das südafrikanische Mädchen ihre schwerkranke Mutter waschen und füttern, ihre Wäsche wechseln und sie zur Medikamentenausgabe und zu Tests ins Krankenhaus bringen.

Jahre später leidet Nomasonto immer noch unter diesem Trauma. Wie sie müssen Tausende Kinder im Kapstaat unfreiwillig die Elternrolle übernehmen. Nach ersten Ergebnissen einer Untersuchung, die die Oxford University derzeit in Südafrika durchführt, leiden Kinder, die ihre kranken Eltern pflegen, an ähnlichen psychischen Störungen wie Aids-Waisen.

Südafrikas Regierung unterstützt die landesweite Studie, die in Zusammenarbeit mit drei südafrikanischen Universitäten und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) entsteht und sich auf Interviews mit 6.000 Kindern und Jugendlichen sowie mit 1.500 Erwachsenen in ihrem Umfeld stützt. Neben den gesundheitlichen Auswirkungen wird auch untersucht, inwieweit die schulischen Leistungen durch die Mehrfachbelastung leiden.

Im Rahmen dieses 'Young Carers' South Africa Project', das 2011 abgeschlossen werden soll, ist auch eine Datenbank geplant, die Regierungen, NGOs, Krankenhauspersonal und Sozialarbeiter mit Informationen über die Nöte und Bedürfnisse dieser Kinder versorgt.

"Über Aidswaisen ist in den vergangenen zehn Jahren viel geforscht worden. Über Kinder, die ihre noch lebenden kranken Eltern versorgen, weiß man bisher jedoch kaum etwas", stellte die Projektleiterin Lucie Cluver fest. Die Ärztin hat am Fachbereich für Sozialpolitik und Sozialarbeit der Oxford University promoviert und sich in ihrer Doktorarbeit mit diesen Kindern befasst. Ihre Dissertation hat das jetzt laufende nationale Pilotprojekt angestoßen.

"Wir wussten bislang nicht einmal, ob diese Kinder gefährdet sind, worin die Gefahren bestehen und wie wir ihnen helfen können", sagte Cluver.


Schutzlos, bestraft und verspottet

Die Probleme von Kindern, die ihre Aids-kranken Eltern pflegen, sind vielfältig. Nomasonto ging trotz ihrer schweren häuslichen Pflichten weiterhin zur Schule. "Die Lehrer schlugen mich, wenn ich zu spät kam oder Fehler machte", klagte das Mädchen. "Ich versuchte ihnen zu erklären, dass meine Mutter krank war, doch sie wollten mir nicht zuhören." Schließlich blieb sie eine Zeitlang ganz zu Hause, weil die Mutter sie brauchte.

Inzwischen ist Nomasonto selbst mit dem HI-Virus infiziert. Ihre Onkel und zwei Freunde ihrer älteren Schwester haben sie vergewaltigt. Ein Sozialarbeiter kümmert sich inzwischen um das Mädchen.

Aus früheren Untersuchungen geht hervor, dass ein Viertel der Kinder, die die Pflegerrolle übernehmen, sich ihren kranken Eltern mehr als drei Stunden täglich widmen müssen. Etwa jedes dritte Kind berichtete, es bringe die Erwachsenen zur Toilette, versorge ihre Wunden und wechsele verschmutzte Betttücher.

"Das sind schwere körperliche Belastungen, und es gibt Hinweise, dass das seelische Leid dieser Kinder lange über den Tod der Eltern hinaus fortbesteht", sagte Johriaan de Beer. Der Geschäftsführer der NGO 'Tholulwazi Uzivikele', die mit verwaisten und anderen gefährdeten Kindern arbeitet, berichtete von Schuldgefühlen der Aids-Waisen, die sich für den Tod der Eltern mitverantwortlich fühlten.

"Aids ist mit einem schrecklichen Stigma behaftet. Es verletzt Kinder, wenn hinter ihrem Rücken darüber getratscht wird und man anders mit ihnen umgeht", erklärte Cluver. Ein Mädchen habe ihr einmal erzählt, dass Leute auf der Straße ihr hinterher gerufen hätten, ihre HIV-positive Mutter sei eine Prostituierte.


Wenn Aids-kranke Eltern arbeitslos werden

Damit nicht genug. Oft geraten Kinder kranker Eltern auch finanziell in Not. Selestina, wie sich nennt, musste vor drei Jahren als 20-Jährige erleben, dass ihre HIV-infizierte Mutter nicht mehr arbeiten und die sechsköpfige Familie ernähren konnte. Die umgerechnet 100 US-Dollar Kindergeld, die pro Kind gezahlt werden, reichen bei weitem nicht aus. "Manchmal können wir keine Schulbücher kaufen oder müssen die Kinder ohne Frühstück zur Schule schicken. Die Suppe, die sie dort bekommen, ist oft ihre einzige Malzeit", berichtete Selestina, die ein eigenes Baby zu versorgen hat.

Es sei keineswegs fraglich, meinte der Aktivist de Beer, ob die für Kinder bestimmte Sozialhilfe diese auch immer erreicht. An Minderjährige dürfe das Geld nämlich nicht direkt ausgezahlt werden." (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2010