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ARTIKEL/1185: Generation Ausgebrannt - Fakten aus dem DAK-Gesundheitsreport 2011 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 8 vom 25. Februar 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Generation Ausgebrannt
Alarmierende Entwicklung des Gesundheitszustandes von jungen Beschäftigten

Von Manfred Dietenberger


Die DAK hat jetzt ihren neuen "Gesundheitsreport 2011" vorgestellt. Das große Zahlenwerk über die Entwicklung der Krankheiten und Beschwerden ihrer Versicherten ist auch ein Spiegelbild der Arbeitsbedingungen.

Boomt die Wirtschaft, steigt auch der Krankenstand, könnte man glauben. Aber im Aufschwungsjahr 2010 ist genau das wieder nicht passiert, registrierte die Krankenkasse. "Seit mehr als zehn Jahren liegt der Krankenstand auf einem niedrigen Niveau", so DAK-Chef Herbert Rebscher. Dafür hauptverantwortlich ist wohl die Tatsache, dass der Anteil schwerer körperlicher Arbeit an der Gesamtarbeitsleistung deutlich zurückgegangen ist. Heute ist die Arbeit körperlich weniger anstrengend und gefährlich als noch vor Jahren. Dafür aber steigt parallel dazu kontinuierlich die Zahl der psychischen Erkrankungen, stellt die DAK-Studie fest. Im Jahr 2010 gab es aufgrund von psychischen Erkrankungen 13,5 Prozent mehr Fehltage. Damit machen Depressionen & Co. ein Achtel des gesamten Krankenstandes aus und spielen schon eine fast doppelt so große Rolle wie noch 1998.

Jeder Zehnte zwischen 15 und 29 Jahren hat Schmerzen oder andere körperliche Probleme ohne organische Ursache, oft begleitet von Depressionen. Die meisten psychischen Erkrankungen gibt es übrigens in der "Öffentlichen Verwaltung" und im "Gesundheitswesen", "Bildung, Kultur, Medien" liegt in der Mitte, am wenigsten gibt es im "Handel" und der "Rechtsberatung".

Bei den Erhebungen zum DAK-Gesundheitsbericht gaben 28 Prozent der Erwerbstätigen im Alter von 35 bis 65 Jahren an, dass bei ihnen in den letzten drei Monaten Schlafprobleme wie Ein- und Durchschlafstörungen aufgetreten seien. Dabei zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gesundheit und Arbeitsqualität: Von Schlafstörungen berichten 45 Prozent derjenigen mit "schlechter Arbeit", aber nur fünf Prozent jener mit "guter Arbeit". "Dass bereits junge Beschäftigte unter gesundheitlichen Beschwerden leiden, macht deutlich, dass vom ersten Arbeitstag an gute Arbeitsbedingungen und Prävention nötig sind", so Ingrid Sehrbrok vom DGB-Bundesvorstand.

Kapitalismus macht krank

Die von der DAK vorgelegten Fakten belegen, was Betriebsräte schon seit längerem auch beobachten: Junge wie ältere Arbeitnehmer erleben eine immer menschenfeindlichere Ökonomie, die den arbeitenden Menschen durch überlange Arbeitszeiten und Verdichtung der Arbeit die Motivation rauben und das eigene Engagement lähmen. Der Druck auf Kranke ist inzwischen scheinbar so stark, dass die registrierten Fehlzeiten, die auf einem historischen Tiefstand liegen, nur wenig mit dem tatsächlichen Gesundheitszustand zu tun haben. Das schon seit einigen Jahren zu beobachtende Phänomen des "Präsentismus" - also krank zur Arbeit zu erscheinen - ist zu einem alltäglichen Problem geworden, das in der Krise wohl noch zugenommen hat.

Da der Schwerpunkt des DAK-Reports die Untersuchung des Gesundheitszustandes der Jungarbeiter bis zum Alter von 29 Jahren war, führte die Kasse parallel noch zusätzlich eine repräsentative Befragung bei rund 3 000 jungen Erwerbstätigen durch. Dabei wurde festgestellt, dass der Krankenstand junger Arbeitnehmer unter dem Durchschnitt liegt. Subjektiv schätzen sich Jungarbeiter überwiegend als gesund ein. Der DAK-Report allerdings deckt jedoch alarmierende gesundheitsrelevante Trends bei jungen "Arbeitnehmern" auf. Die DAK-Auswertung dokumentiert, wie hilflos junge Berufstätige den steigenden Anforderungen im Berufsleben gegenüberstehen und wie schwer sie darunter leiden, die eigenen Wünsche nach einer Familiengründung und einem erfüllten Leben jenseits der Arbeit immer weniger in Einklang bringen zu können. Immer öfter versuchen sie daher mit Aufputschund/oder Beruhigungsmitteln, diesen Konflikt zu "lösen". Alarmierend ist auch, dass schon bei jedem fünften jungen Erwerbstätigen Rückenschmerzen vom Arzt behandelt werden mussten. Ein noch kritischeres Bild zeigt die repräsentative Befragung: Hier gibt sogar jeder Zweite an, oft von Muskelverspannungen im Rückenbereich betroffen zu sein. Weitere ärztliche Diagnosen bei Jüngeren sind Schleimhautentzündungen des Magen-Darm-Traktes (17 Prozent), Bauchund Beckenschmerzen (knapp 14 Prozent), Heuschnupfen (zwölf Prozent), Kopfschmerzen (acht Prozent) und Migräne (sechs Prozent).

Der DAK-Report 2011 leistete einen wertvollen Beitrag zur sozialen Anatomie des Kapitalismus. Die ständig spürbaren, steigenden Bedrohungen der eigenen Gesundheit stehen im Gegensatz zu der hohen Wertschätzung, die die Gesundheit im Bewusstsein der Beschäftigten genießt. Hier liegt unerschlossenes Widerstandspotenzial gegen die Zumutungen des Kapitalismus. Der Kampf um gesunde Arbeitsbedingungen wird sich zukünftig zu einem der zentralen gewerkschaftlichen und betrieblichen Konfliktfelder entwickeln.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 8 vom 25. Februar 2011, S. 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011

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