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DEMENZ/045: Wohlbefinden, Selbstständigkeit und Sicherheit - wie Technik unterstützen kann (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 2/12
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Technische Hilfen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen
Wohlbefinden, Selbstständigkeit und Sicherheit - wie Technik unterstützen kann

Von Marion Karstens



Der Einsatz von Technik in der Betreuung von Menschen mit Demenz ist ein Thema, das zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führt. Während die Einen große Hoffnungen in technische Lösungen setzen, befürchten die Anderen, dass Technik zu einer Vernachlässigung der persönlichen Betreuung führen könnte. Im Folgenden soll es darum gehen, wie Technik sinnvoll eingesetzt werden kann, damit sie das Wohlbefinden und die Sicherheit von Menschen mit Demenz fördert und betreuende Angehörige entlastet. Hintergrund dieser Ausführungen sind praktische Erfahrungen im Rahmen der Wohnraumberatung und Wohnraumanpassung der Alzheimer Gesellschaft Kiel seit 2004. Grundsätzlich gilt: Für den Einsatz technischer Hilfen gibt es keine Patentrezepte. Entscheidend ist, stets zu sehen bzw. im gemeinsamen Gespräch herauszufinden, was jeweils individuell hilfreich und sinnvoll ist.


Weiter selbstständig leben mit Demenz

Menschen mit einer beginnenden Demenz können durchaus noch selbstständig in der eigenen Wohnung leben und wollen das zumeist auch. Doch wenn zum ersten Mal vergessen wird, den Herd auszuschalten, heißt es häufig: "Alleine leben geht jetzt nicht mehr!" Hier könnte eine Herdsicherung mit einer Zeitschaltuhr und einer Hitzeüberwachung für Sicherheit sorgen und es ermöglichen, weiterhin selbstständig zu leben. Auch für andere Probleme gibt es relativ einfache technische Lösungen.


Die Wohnung nach und nach umgestalten

Nach der Diagnose Demenz muss nicht gleich die ganze Wohnung umgestaltet werden. Je nach Krankheitsstadium stehen als Ziele technischer Hilfen zunächst Selbstständigkeit und Orientierung, später die Erleichterung der Pflege und die Sicherheit im Vordergrund. Allerdings wird es für demenzkranke Menschen mit fortschreitender Krankheit immer schwieriger, sich an etwas Unbekanntes zu gewöhnen und Neues zu erlernen. Jede Veränderung kann verwirren. Altbekanntes und Gewohntes sollte nur verändert werden, wenn es wirklich notwendig ist. Veränderungen sollten nur nach und nach vorgenommen werden. Das gewohnte Umfeld ist für Betroffene sehr wichtig und sollte so lange wie möglich bestehen bleiben. Günstig ist es, wenn Familie oder Freunde Kenntnisse über alte Lebensgewohnheiten, Rituale und wichtige Lebensereignisse wieder wachrufen können. Oft helfen diese dabei, verändertes Verhalten zu verstehen und Probleme zu lösen.


Informationen über die individuelle Situation sammeln

Der erste Schritt zur Wohnraumanpassung besteht in einer systematischen Informationssammlung: Wie sehen die Lebensumstände aus? Wo und wie wird gewohnt? Wer kümmert sich um den demenzkranken Menschen? Wie sieht das soziale Netzwerk aus? Wie sind seine Bedürfnisse, sein Tagesablauf, sein bisheriger Lebenslauf, seine Vorlieben und seine Fähigkeiten? Wo und wobei treten Probleme auf? Will der Betreffende die Wohnung verlassen, weil die besonders auffällige Tür ihn dazu anregt, oder ist er auf der Suche nach seinem zu Hause und Geborgenheit? Drängt es ihn womöglich zu seinem Arbeitsplatz? Es gilt immer wieder aufs Neue zu beobachten, da ständig Veränderungen eintreten.


Was ist technisch möglich was ist nötig?

Wenn genügend Informationen gesammelt sind, können Lösungen gesucht werden: barrierefreies Bad, Herdsicherungen, Wasserstopper, Notrufsysteme, helle Beleuchtung, Sicherung der Treppen, Beseitigung von Stolperfallen, Entschärfung von Ecken und Kanten, Überprüfung von Platzierung und Zweckmäßigkeit der Möbel, Orientierungshilfen, Haltemöglichkeiten, rutschfeste Bodenbeläge und vieles mehr. Informationen zu diesen Möglichkeiten stellen Wohnberatungsstellen zur Verfügung. Sämtliche Lösungsmöglichkeiten sollten besprochen und die im vorliegenden Fall am besten geeigneten ausgewählt werden. Neue Techniken bieten immer größere Chancen für möglichst viel Sicherheit, aber Technik hat auch ihre Grenzen. Dient z. B. der Falldetektor dazu, einen Erkrankten möglichst lange allein lassen zu können, ihn also nur aus der Ferne zu überwachen, statt ihn persönlich zu betreuen? Oder soll wirklich nur die Angst genommen werden, dass ein Sturz in einem kurzen Moment des Alleingelassenseins passiert? Auch stellt sich die Frage, wie viel Technik notwendig ist. Eine Lichtschranke an einer Eingangstür kann überflüssig sein, wenn die Tür durch einen Vorhang oder eine Tapete unsichtbar gemacht wird. Jede erkenntliche Sicherung weist die Erkrankten auf ihre Defizite hin und stößt oft schon deshalb auf Ablehnung.

Ziel aller Maßnahmen sollte sein, die Selbstständigkeit von Menschen mit Demenz so lange wie möglich zu erhalten bzw. wieder herzustellen, oder Erleichterung für die Helfenden zu schaffen. Dabei sollten die Lebensfreude und die Erhaltung der Würde der Betroffenen ganz oben stehen. Eine schwierige Frage ist, ob bestimmte Maßnahmen nur mit Zustimmung der Betroffenen oder auch gegen deren Willen ergriffen werden können. Im Folgenden soll an einem Beispiel verdeutlicht werden, was unternommen werden kann, um die Sicherheit und Selbstständigkeit eines Demenzkranken zu fördern.


Sicherer Zugang zum Haus

Herr Schmieder (Name geändert), ein demenzkranker älterer Mann, bewohnt eine Hälfte eines Doppelhauses, in der anderen Hälfte wohnt sein Sohn mit Frau und Kindern. Der seitlich gelegene Zugang zum Haus des Vaters war von der Familie nicht einsehbar. Sie konnten weder sehen, ob sich jemand Zutritt zu ihm verschaffte, noch, wenn er selbst das Haus verließ, was nicht ungefährlich war, da er Gehstörungen hatte und desorientiert war. Deshalb waren schon die wenigen Stufen vor der Haustür problematisch. Hier waren ein einseitiger Handlauf oder besser noch beidseitige Geländer zu empfehlen (je nach Gegebenheit sind Rampen sinnvoll, wenn es um die Überbrückung einzelner Stufen geht; Treppenlifte und Hublifte überwinden auch größere Höhen; das Scalamobil, eine Treppenhilfe für Rollstühle, erfordert einige Übung). Die Schmutzfangmatte vor der Wohnungstür wurde in den Boden eingelassen, um Stolperfallen und Rutschgefahr zu vermeiden.

Die Haustürklingel wurde über einen Funkgong in die Nachbarwohnung weitergeleitet, so dass die Angehörigen bemerken, wenn jemand klingelt. Alternativ könnte auch ein Bewegungsmelder im Türbereich, ein Kontaktmelder beim Öffnen der Tür oder eine Signalmatte vor der Tür ein Signal in die Nachbarwohnung weiterleiten. Wenn die Betreuenden in derselben Wohnung leben, reicht auch ein Glockenspiel an der Tür. Ebenso wäre die Installation eines Babyphons möglich, das Geräusche und eventuelle Hilferufe überträgt.


Notruf, Sicherheitstechnik, Ortung

Dies ist ein sehr komplexes Thema. Die Technik ist weit fortgeschritten und macht Vieles möglich (siehe Artikel S. 7 der Druckausgabe). Doch gerade in diesem Bereich sollte genau überlegt werden: Wie viel Technik ist tatsächlich sinnvoll? Wird sie wirklich eingesetzt oder stellt sie zu hohe Anforderungen an die Nutzer? Dient sie wirklich dem Schutz und der Sicherheit, oder geht es um Überwachung, da die notwendige persönliche Betreuung fehlt? Hier stellen sich grundsätzliche ethische Fragen.


Beleuchtung fördert die Orientierung

Der Flur sollte möglichst hell sein, d.h. freundliche Farben haben, die Wandfarbe anders als der Boden, um den Raum besser erfassen zu können. Muster können Wahnvorstellungen begünstigen, glänzende und spiegelnde Oberflächen können zu Irritationen führen. Rutschfeste Fußböden sind wichtig, besonders im Bad. Der Fußboden sollte keine Kontraste aufweisen, weil sie aufgrund optischer Wahrnehmungsstörungen als Schwellen aufgefasst werden könnten. Möglichst viel Tageslicht ist positiv. Alternativ bzw. ergänzend sollten die Räume mit hellem, warmem und blendfreiem Licht ausgeleuchtet sowie mit Not- bzw. Orientierungslichtern ausgerüstet werden. Überflüssige Türen können ausgehängt werden, ebenso die Türen von Küchenschränken. Die Orientierung erleichtern anfangs beschriftete Schilder, später können Piktogramme, Zeichnungen oder Fotos auf den Türen helfen.


Erleichterungen im Bad

Wichtige Punkte für die Ausstattung des Bades sind: möglichst eine bodengleiche Dusche, ein Badewannenlifter, ein unterfahrbares Waschbecken, ein abgesenkter oder kippbarer Spiegel, eine Toilette mit erhöhtem Sitz, eine Armatur mit Temperaturbegrenzer. Hierzu gibt es im Fachhandel ein breites Angebot. Bei der Auswahl sollte man sich ausführlich beraten lassen.


Küche und Herd

In der großen Wohnküche von Herrn Schmieder war kaum etwas zu ändern. Bei der Anschaffung von elektrischen Geräten wie Wasserkocher und Kaffeemaschine wurde auf die Abschaltautomatik bzw. den Überhitzungsschutz geachtet. Durch zwischengeschaltete Zeitschaltuhren wurden die Nutzungszeiten begrenzt.

Beim Herd gibt es individuell sehr unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten. Soll er gar nicht mehr genutzt werden, kann einfach die Sicherung herausgenommen werden. Wenn er nur im Beisein eines Angehörigen genutzt werden soll, reicht ein versteckter Ein- und Ausschalter. Soll der Herd selbstständig genutzt werden, ist eine Zeitschaltuhr sinnvoll, die zwischen Steckdose und Herd eingebaut wird. Bei größeren Wohnprojekten kann man auch entsprechende Steckvorrichtungen installieren und je nach Bedarf eine Herdsicherung dazwischensetzen. Je nach dem, ob nur kurz etwas warm gemacht werden soll, kleinere Gerichte gekocht werden oder noch aufwendig gekocht wird, kann die Zeit eingestellt werden. Danach schaltet der Herd automatisch ab. Für den Fall, dass schon innerhalb dieser Zeit etwas passiert, wenn etwa die falsche Platte eingeschaltet oder die Wärmestufe zu hoch gewählt wurde, werden Rauchmelder installiert. Sie geben ihre Signale entweder direkt oder über Funk oder Leitung in einen anderen Raum bzw. an ein Handy oder eine Notrufzentrale. Soweit muss es aber nicht kommen. Zusätzlich zur Zeitschaltuhr kann man einen Hitzesensor anbringen, der den Herd bei zu starker Hitzeentwicklung einfach abschaltet. Moderne Herde sind bereits mit integrierten Funktionen wie Abschließen und Überhitzungsschutz ausgestattet, allerdings müssen die noch bedient werden können.


Sicherheit im Schlafzimmer

Das Bett im Schlafzimmer sollte nicht zu niedrig sein, um das Aufstehen zu erleichtern. Mit Klötzchen (auch für den Lieblingssessel geeignet) kann man es erhöhen, oder zwischen Lattenrost und Aufleger eine Erhöhung anbringen. Oder ein Pflegebett wird in den vorhandenen Rahmen integriert bzw. insgesamt das Bett durch ein Pflegebett ersetzt. Manchmal kann aber auch eine Matratze auf dem Boden die sinnvollste Lösung sein. An einer Bodendeckenstange vor dem Bett finden die Erkrankten Halt zum Aufstehen und beim Ankleiden. Eine Signalmatte vor dem Bett oder ein Bewegungsmelder geben dem Pflegenden im Nachbarzimmer ein Signal, wenn der zu Pflegende aufsteht. Die Möblierung sollte übersichtlich und zweckmäßig sein, scharfe Ecken und Kanten sollten vermieden oder abgerundet bzw. geschützt werden. Wohlbefinden und Geborgenheit sollten dabei im Vordergrund stehen.


Halt geben - Stürze vermeiden

Überall ganz wichtig sind ausreichend Haltegriffe - am besten farbig abgesetzt, damit sie gut zu erkennen sind. Demenzkranke Menschen sind Haltsuchende. Wir sollten ihnen möglichst viel Halt geben - in vielerlei Hinsicht - aber auch ganz praktisch als Handgriffe, Haltestangen (Bodendeckenstange) und Handläufe. Wenn sie Halt finden, erhalten sie auch länger ihre Selbstständigkeit.

Besteht trotz Anpassung des Wohnraums und eingeübter Nutzung der Hilfsmittel Sturzgefahr, z.B. durch Medikamente, Gangunsicherheiten, körperliche Gebrechen, sollte eine Hüftschutzhose getragen werden. Sie verhindert in hohem Maße einen Oberschenkelhalsbruch bei Stürzen.


Marion Karstens ist Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Kiel


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Die eigene Wohnung: Ein sinnvoller Einsatz von Technik kann helfen, weiterhin selbstständig zu leben
  • Ein zusätzlicher Handlauf sorgt für mehr Sicherheit
  • Eine bodengleiche Dusche erleichtert die Körperpflege

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 2/12, S. 1, 3-4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2012