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DEMENZ/213: Alzheimerkrankheit - Immer mehr Erkenntnisse über die Krankheitsentstehung (idw)


Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft - 17.09.2015

Welt-Alzheimertag - Prof. Willnow: Immer mehr Erkenntnisse über die Entstehung der Krankheit

Zum Welt-Alzheimertag am 21. September 2015


Weltweit sind etwa 35 Millionen Menschen an Alzheimer erkrankt, in Deutschland wird die Zahl auf eine Million Betroffene geschätzt. Mit steigender Lebenserwartung der Menschen befürchten Wissenschaftler, dass sich die Zahl der Demenz- und Alzheimer-Patienten in den kommenden 25 Jahren verdoppelt, wenn es nicht gelingt, die Erkrankung zu behandeln, oder ihre Entstehung zu verhindern. "Wir verstehen mehr und mehr, wie die Alzheimer-Krankheit entsteht", erklärt Prof. Thomas Willnow vom Max-Delbrück-Centrum (MDC) anlässlich des Welt-Alzheimertages. Er verbindet damit die Hoffnung, dass es künftig gelingt, Therapien gegen Alzheimer zu entwickeln.

Die Alzheimer-Forschung am MDC verfolgt verschiedene Ansätze, um die Krankheit besser diagnostizieren und in Zukunft besser behandeln zu können. Prof. Willnow sucht nach den genetischen Ursachen der Erkrankung. Der Proteinforscher Prof. Erich Wanker sucht nach neuen Wegen, die Krankheit zu diagnostizieren und nach Wirkstoffen, die ihren Ausbruch verhindern. Dipl.-Ing. Marion Bimmler (MDC; Biotechfirma E.R.D.E-AAK-Diagnostik GmbH, Campus Berlin-Buch) nimmt bestimmte Autoantikörper unter die Lupe, die die Blutgefäße im Gehirn schädigen und dadurch zur Demenz und Alzheimer-Erkrankung beitragen.

Basis der Forschung von Prof. Willnow sind sogenannte genomweite Assoziationsstudien. Dabei vergleichen Forscher die Genome von rund 50.000 Gesunden mit den Genomen von etwa 10.000 Menschen, die an der sporadischen (zufälligen) Form von Alzheimer erkrankt sind. Die sporadische Form macht etwa 95 Prozent der Alzheimer-Patienten aus und ist eine Erkrankung des Alters. Ihre Auslöser sind meist noch unbekannt, weshalb Forscher nach genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen für diese Form von Alzheimer fahnden.

Bei dem Vergleich der Genome von Gesunden und Kranken können Genetiker erkennen, welche Gene bei den Erkrankten verändert sind. Das heißt, meist wird dann zu viel oder zu wenig von dem jeweiligen Genprodukt (Protein) gebildet oder das Protein arbeitet nicht richtig. "Die Funktion solcher Gene erforschen wir an Mäusen. Derzeit untersuchen wir vier bis fünf verschiedene Gene", sagt Prof. Willnow. "Auch Zwillingstudien", so der Zellbiologe weiter, "weisen darauf hin, dass die sporadische Form von Alzheimer eine starke genetische Komponente haben muss."

Bei der familiären Form von Alzheimer, die nur etwa fünf Prozent der Alzheimer-Erkrankungen ausmacht und bereits in jungen Jahren ausbricht, haben Forscher in den vergangenen Jahren verschiedene Mutationen in drei Genen identifiziert. Eine Mutation in einem der drei Gene reicht bereits völlig aus, dass diese frühe Form von Alzheimer zum Ausbruch kommt. Diese familiäre Form von Alzheimer ist im Gegensatz zur sporadischen Form sehr aggressiv.

Nervenzellen selbst produzieren Schutzfaktor

Vor wenigen Jahren hatte Prof. Willnows Forschungsgruppe im Zuge der vergleichenden Genomforschung entdeckt, dass gesunde Nervenzellen einen Schutzfaktor, das Transportprotein SORLA (engl. für: sorting protein-related receptor) bilden, der die Produktion des Hauptbeschuldigten für Alzheimer, des A-beta Peptids, vermindert. A-beta ist ein kleines Eiweißbruchstück, das aus einem größeren Vorläuferprotein, dem APP, entsteht. Zwei verschiedene molekulare Scheren (Sekretasen) zerstückeln APP zu A-beta. Dieser Vorgang läuft bei jedem gesunden Menschen im Gehirn ab und sorgt dafür, dass die Nervenzellen miteinander kommunizieren können.

Gefährlich wird es erst dann, wenn zu viel A-beta gebildet wird, das der Körper nicht mehr entsorgen kann. Dann sterben die Nervenzellen ab und die Kommunikation untereinander ist gestört. Kognitive Defekte sind die Folge. Zuviel A-beta führt außerdem zur Entstehung der gefürchteten Eiweißablagerungen (Plaques) im Gehirn, welche die Nervenzellen zusätzlich schädigen. "Da mit zunehmendem Lebensalter die Menge an A-beta im Gehirn immer weiter ansteigt, nimmt das Risiko, im Alter an Alzheimer zu erkranken, dramatisch zu", erläutert Prof. Willnow. Er konnte zeigen, dass ein Verlust des Schutzfaktors SORLA bei Mäusen zu vermehrter A-beta Bildung führt. Das gleiche Phänomen konnte er auch im Gehirn von Alzheimer-Kranken sehen. Einige Patienten bilden weniger SORLA, sodass vermehrt giftiges A-beta entsteht und sich im Gehirn ablagert. In Mäusen erbrachte er den Nachweis, dass die erhöhte Produktion des Schutzfaktors SORLA die Menge an A-beta im Gehirn drastisch reduziert.

• Prof. Wanker: Entwicklung neuer Werkzeuge für Diagnose und Therapie Im Fokus der Forschungen von Prof. Wanker stehen die Proteine, die für Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen wie Chorea Huntington und Parkinson identifiziert worden sind. Den Biochemiker interessiert vor allem, weshalb das gesunde Peptid A-beta sich in krankmachendes Peptid umwandelt. "Vor wenigen Jahren haben Forscher gezeigt, dass krankmachendes A-beta im Gehirn sich selbst vermehrt und im Gehirn ausbreitet. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang davon, dass A-beta im Gehirn regelrechte 'seeds', also Keime, bildet" erläutert er. Prof. Wanker untersucht diese Keime, die unter anderem von an Alzheimer Verstorbenen stammen, im Labor in der Petrischale. "Wir haben eine neue Methode entwickelt, mit der wir die Ausbreitung dieser Keime quantifizieren, also messen können. Unser Ziel ist es darüber hinaus Wirkstoffe zu finden, die diese Keime daran hindern, sich auszubreiten, um damit den Ausbruch der Krankheit zu hemmen", sagt Prof. Wanker.

• Dipl.-Ing. Bimmler: Autoantikörper im Gehirn schädigen Blutgefäße Blutgefäßschädigungen im Gehirn sind eine weitere Komponente der komplexen Alzheimer-Krankheit sowie von Demenzen. Dipl.-Ing. Marion Bimmler (MDC), Dr. Peter Karczewski und Petra Hempel (E.R.D.E.-AAK-Diagnostik GmbH) erbrachten vor wenigen Jahren in Untersuchungen an Nagern den Nachweis, dass eine Gruppe von Antikörpern des Immunsystems Blutgefäße im Gehirn schädigen kann. Sind diese Antikörper fehlreguliert, greifen sie den eigenen Körper an, weshalb sie als Autoantikörper bezeichnet werden.

Die sogenannten agonistisch wirkenden Autoantikörper (kurz AAK) binden an bestimmte Oberflächenproteine (Rezeptoren; alpha1 adrenerge Rezeptoren) von Blutgefäßzellen und lösen dort eine Dauerstimulation des Rezeptors aus. Dadurch erhöht sich die Konzentration von Kalziumionen in der Zelle. Die AAK aktivieren das Wachstum glatter Gefäßmuskelzellen und bewirken damit, dass sich die Gefäßwände verdicken, wodurch die Durchblutung des Gehirns gestört ist. In Untersuchungen an Nagern konnten die Biotechnologen mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomographie (MRT) diese Verringerung des Blutflusses zeigen.

Außerdem konnten sie mit Hilfe der Immunfluoreszenzmikroskopie eine signifikante Abnahme der Gefäßdichte in Schnitten der Großhirnrinde (Kortex) nachweisen. Zudem waren die sogenannten Virchow-Robinschen Räume der Tiere - sie umschließen die Blutgefäße im Gehirn - stark aufgeweitet. Eine übermäßige Aufweitung (Dilatation) dieser Räume gilt als Zeichen für das Vorhandensein von Schädigungen kleinster Blutgefäße (Mikroangiopathien). Die Forscher hatten damit den Nachweis erbracht, dass Antikörper gegen den alpha-1-adrenergen Rezeptor Schäden an größeren als auch kleineren Blutgefäßen im Gehirn von Nagern verursachen.

In vorausgegangenen Arbeiten hatten Marion Bimmler und ihre Mitarbeiter das Blut von Patienten mit Alzheimer / vaskulärer Demenz untersucht und es zeigte sich, dass die Hälfte von ihnen derartige Autoantikörper haben. In Zusammenarbeit mit der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Universitätsklinik Jena sind darauf hin bei einer kleinen Zahl von Patienten mit Alzheimer / vaskulärer Demenz diese Autoantikörper aus dem Blut entfernt worden. "Die mit der Blutwäsche behandelten Patienten profitierten von der Behandlung. Sowohl ihre Gedächtnisleistungen als auch ihre Fähigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen, verbesserten sich oder blieben konstant, verschlechterten sich also nicht, innerhalb eines Beobachtungszeitraums von 12 - 24 Monaten. "Damit haben wir eine therapeutische Option aufgezeigt (proof of concept)", betont Marion Bimmler. "Denn im Gegensatz zu den behandelten Patienten hatte sich der Zustand der nicht behandelten Patienten, die weiterhin Autoantikörper im Blut hatten, im gleichen Zeitraum verschlechtert." Eine weitere Studie wird gegenwärtig geplant.

Hauptrisikofaktoren für Alzheimer

Stoffwechselkrankheiten wie Typ-2 Diabetes, erhöhte Cholesterinwerte und Fettleibigkeit (Adipositas) zählen zu den Hauptrisikofaktoren für Alzheimer. Der größte genetische Risikofaktor ist dabei nach Aussage von Prof. Willnow das Apolipoprotein E, ein Regulator des Cholesterinspiegels. Träger einer bestimmten Variante dieses Gens haben ein viermal höheres Risiko an Alzheimer zu erkranken als andere Genträger. Wie es durch Fehlregulationen im Zucker- und Fettstoffwechselhaushalt zu Schäden im Gehirn kommt, ist allerdings noch unklar. Seit einiger Zeit erforscht Prof. Willnow die molekularen Mechanismen, die dieser Wechselwirkung zugrunde liegen. Schwerpunkt dabei ist eine neue Klasse von Signalrezeptoren.

Auch bei Diabetikern Typ 2 konnten Marion Bimmler und ihre Mitarbeiter agonistisch wirkende Autoantikörper nachweisen. "Möglicherweise", so die Forscherin, "sind sie eine der Ursachen, warum Diabetiker häufiger an Demenz und Alzheimer erkranken als Nichtdiabetiker."

Hinauszögern

Vor diesem Hintergrund sind die Forscher davon überzeugt, dass es möglich ist, das Auftreten von Alzheimer hinauszuzögern. Dazu gehöre, auf die Gesundheit zu achten, Sport zu treiben und sich vernünftig zu ernähren.


Kontakt:
Barbara Bachtler
Pressestelle
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Robert-Rössle-Straße 10, 13125 Berlin
e-mail: presse@mdc-berlin.de
http://www.mdc-berlin.de/de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution672

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft, Barbara Bachtler, 17.09.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2015

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