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DEMENZ/467: Straßenverkehr - Verwirrtes Fahren (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2019

Straßenverkehr
Verwirrtes Fahren

von Dirk Schnack


Ab wann sollte ein Mensch mit Demenz nicht mehr Auto fahren? Krankenschwester und Erziehungswissenschaftlerin Antje Holst, Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein, über eine schwer zu beantwortende Frage.


Auto fahren verbinden viele Menschen mit Freiheit und Unabhängigkeit. Besonders in ländlichen Regionen ist ein Auto oft unverzichtbar, um am Berufs- und Alltagsleben teilhaben zu können. Auto zu fahren bedeutet aber auch, Verantwortung zu übernehmen: Für sich selbst, die Mitfahrer und die anderen Beteiligten im Straßenverkehr. Was passiert, wenn im Alter das Seh- und Hörvermögen abnimmt, die Reaktionsfähigkeit nachlässt und eine demenzielle Veränderung die Fahrtauglichkeit zusätzlich einschränkt?

Laut Statistik liegt bei Fahrern im Alter zwischen 70 und 75 Jahren kein erhöhtes Unfallrisiko vor, dieses steigt aber deutlich im Alter von 75+ und einer Fahrleistung von weniger als 3000 Kilometern im Jahr an ("Ich fahre nur noch zum Arzt, keine weiten Strecken mehr ..."). Bei der Altersgruppe der über 90-Jährigen liegt das Unfallrisiko pro gefahrenem Kilometer über dem der Fahranfänger und steigt mit Multimorbidität und Demenz nochmals deutlich an.

Typische Fahrfehler bei Demenz sind das Nichteinhalten der Spur bzw. Fehler beim Spurwechsel, fehlende Geschwindigkeitsanpassung, unsicheres und fehlerhaftes Verhalten an Kreuzungen / Kreisverkehren, Vorfahrtsfehler, Fehlinterpretation von Lichtsignalen oder das Übersehen von Verkehrszeichen.

Studien und praktische Fahrtests haben gezeigt, dass bei beginnender Demenz die Fahreignung oft noch in hohem Maße vorhanden ist. In Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung wird daher kein grundsätzliches Fahrverbot bei leichter Demenz gefordert. Die Fahreignung, das heißt die generelle Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs, ist zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch gegeben. Im Verlauf der Erkrankung treten zunehmende Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit auf. Sie betreffen besonders die Bereiche Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Konzentration, Orientierung und Urteilsfähigkeit. Davon wird die Fahreignung unterschiedlich, in der Regel abhängig vom Stadium der Erkrankung, beeinflusst.

Auch wenn die Mehrzahl der Autofahrer mit Demenz die Fahrtätigkeit innerhalb der ersten drei Jahre der Erkrankung einstellt, ist davon auszugehen, dass ein relevanter Anteil der Betroffenen zunächst weiter aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Typische Symptome bei Menschen mit Demenz in Bezug auf die Verkehrssicherheit sind gesteigerte Tagesschläfrigkeit, nachlassende Aufmerksamkeitssteuerung, verlangsamte Entscheidungsfindung, verlangsamte und unsichere Orientierung und räumliche Wahrnehmung, reduziertes Urteilsvermögen sowie reduzierte Selbstreflexion und Affektsteuerung und deutlich verminderte Ressourcen bei komplexen Situationen.

Festzuhalten bleibt aber: In Deutschland gibt es keine gesetzlichen Regelungen, die einem Menschen mit Demenz generell das Autofahren verbieten.

Zur Rolle der behandelnden Ärzte: Im Rahmen der Anamnese sollten Fragen zur Fahrsicherheit regelhaft gestellt werden und zu entsprechender Information und Beratung führen. Schon bei der Diagnosestellung muss darüber aufgeklärt werden, dass die Fahrtauglichkeit bei einer fortschreitenden Demenz nicht mehr gewährleistet ist. Angehörige oder die Straßenverkehrsbehörde darf der Arzt nur dann über eine mögliche Fahruntüchtigkeit in Kenntnis setzen, wenn der Patient sein Einverständnis dazu erteilt und den Arzt von dessen Schweigepflicht entbindet. Der Erhalt der Patientenautonomie und die auf Vertrauen beruhende Arzt-Patienten-Beziehung stehen hierbei im Vordergrund.

Ist der Patient allerdings nicht einsichtig und will trotz schwerwiegender Bedenken und umfassender Aufklärung weiterhin mit dem Auto am Straßenverkehr teilnehmen, kann der Arzt unter bestimmten Voraussetzungen die Schweigepflicht brechen und die Fahrerlaubnisbehörde einschalten.

Unter Beteiligung von Hausärzten, Angehörigen und Patienten sowie eines interdisziplinären Expertengremiums wurde in einem Forschungsprojekt des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf (ifam) eine Vorgehensempfehlung zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit bei Demenz für den hausärztlichen Praxisalltag entwickelt. Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. gefördert.

Fazit: Demenz stellt alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen. Wünschenswert wäre eine offene, frühzeitige und kontinuierliche Kommunikation über die Diagnose und deren Einfluss auf die betroffenen Lebensbereiche.


Info

Die Vorgehensempfehlung des ifam liegt in einer Kurz- und in einer Langfassung vor. Ferner stehen weitere Arbeitshilfen und Vordrucke für die Hausarztpraxis zur Verfügung.
(Download: https://www.familien-medizin.org/familienmedizin/autofahren-und-demenz/).

Weitere Informationen unter
www.demenz-sh.de und das Infoblatt Nr. 19 unter
www.deutsche-alzheimer.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201911/h19114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, November 2019, Seite 10
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2019

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