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DIABETES/1929: Das Präventionsprogramm aha! - Initialzündung für Neubeginn (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2016

Diabeteskongress
Initialzündung für Neubeginn

von Uwe Groenewold


Bei der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) standen neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf der Agenda. Auch das aha!-Projekt wurde vorgestellt.


Diabetes zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit. Derzeit sind 6,7 Millionen Menschen hierzulande an Diabetes erkrankt, über 95 Prozent an Diabetes Typ 2. Jährlich kommen etwa 270.000 Neuerkrankungen hinzu. "Der größte Teil der Patienten wird vom Hausarzt betreut. Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Diabetologen ist daher unverzichtbar", sagte DDG-Präsident Prof. Baptist Gallwitz aus Tübingen.

Dr. Carsten Petersen aus Schleswig stellte in Berlin erste aktuelle Ergebnisse des von ihm initiierten Präventionsprogramms aha! (www.ab-heute-anders.de) vor. Ziel von aha! ist es, Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren und mit hausärztlicher Unterstützung und angeleiteten Lebensstilinterventionen eine Krankheitsmanifestation zu verzögern oder gar zu vermeiden. Aufgenommen werden in das Programm insbesondere Versicherte mit erkennbarer abdomineller Adipositas, familiärer Disposition und bewegungsarmem Lebensstil. Mithilfe des schnell durchführbaren, acht Fragen umfassenden FINDRISK-Tests (Finnish Diabetes Risk Score) lässt sich das 10-Jahres-Risiko für eine Diabeteserkrankung ermitteln. "Seit Juli 2014 haben wir den Test bei 812 Versicherten durchgeführt, von denen 805 in das aha!-Programm aufgenommen wurden. Bis April 2016 haben 52 Versicherte das vollständige Programm - drei Monate Intervention, zwölf Monate Follow-up - durchlaufen", erläuterte Petersen in Berlin.

Die Interventionsstrategie verfolgt fünf Ziele: Körpergewicht um fünf bis sieben Prozent abbauen; an mindestens fünf Tagen in der Woche jeweils 3o Minuten so bewegen, dass man etwas ins Schwitzen kommt; die tägliche Nahrung sollte zu maximal 30 Prozent aus Fett bestehen; davon sollten höchstens zehn Prozent gesättigte Fettsäuren sein, die zum Beispiel in Butter, Käse, Wurst, Fleisch und Kuchen enthalten sind; täglich 30 Gramm Ballaststoffe essen, also Vollkornbrot, Beerenfrüchte, viel Gemüse. Zusätzlich wird empfohlen, weniger zuckerhaltige Getränke zu sich zu nehmen. Unterstützend erhalten die Teilnehmer ein sogenanntes aha!-Startset, unter anderem mit Theraband, Ernährungs- und Bewegungstagebuch.

"Im Mittel konnten die Teilnehmer ihr Gewicht um 5,8 kg reduzieren, der Taillenumfang verringerte sich um 6,7 cm", erklärte Petersen. 40 Prozent - die Frauen wogen initial bei 1,66 m durchschnittlich 100 kg, die Männer bei 1,81 m 118 kg, das Diabetes-Manifestationsrisiko lag bei 33 Prozent - konnten ihr Gewicht reduzieren, 60 Prozent den Bauchumfang verringern. 79 Prozent der Teilnehmer sind auch weiterhin mindestens 30 Minuten pro Tag körperlich aktiv. "Die ersten Auswertungen deuten daraufhin, dass aha! eine effektive Intervention darstellt, um Risikofaktoren bei Versicherten mit hohem Diabetesrisiko zu reduzieren", bilanzierte Petersen. Viele Patienten seien froh, von ihrem Arzt angesprochen worden zu sein, so Petersen. "Die aha!-Teilnahme ist für viele Versicherte eine Initialzündung zur Lebensstilveränderung; sie hilft ihnen, sich bewusster zu ernähren und im Alltag mehr zu bewegen. Viele streben an, in 100 Tagen 'Schritte-Millionär' zu werden, also täglich mindestens 100.000 Schritte zu absolvieren. Diese Rückmeldungen sind ein toller Erfolg!"

Getrübt wird dieser allerdings durch eher geringes Engagement der Ärzte in Schleswig-Holstein, so Petersen. "Seit Juli 2014 ist das Modellprojekt eine vertragsärztliche Leistung, die vergütet wird. Die Zahl der teilnehmenden Ärzte in Schleswig-Holstein beträgt 330. Leider sind sie sehr unterschiedlich aktiv; einzelne Kollegen haben das Screening bei bis zu 40 Versicherten durchgeführt. Mindestens die Hälfte der eingeschriebenen Ärzte hat aber bisher keinen einzigen FINDRISK-Test durchgeführt."

Aktuelle Forschungen aus dem Bereich der Fettgewebshormone stellte Prof. Hendrik Lehnert von der Universität Lübeck und dem UKSH, Campus Lübeck, in Berlin vor. Fettgewebe ist eines der endokrin aktivsten Gewebe des Menschen, insbesondere im weißen Fettgewebe werden zahlreiche sogenannte Adipokine - also Fettzellprodukte mit hormonähnlicher Wirkung - gebildet und sezerniert. Adipokine verfügen über metabolische Effekte, insbesondere was Nahrungsaufnahme, Thermogenese und Insulinsensitivität angeht. "Während die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Adipokine weit fortgeschritten sind, sind die klinischen Anwendungsbereiche noch sehr spärlich und weit davon entfernt, Eingang in tägliches ärztliches Handeln zu finden", erläutert Lehnert.

Am besten belegt seien die Effekte des Fettgewebshormons Leptin bei Patienten mit defektem Leptin-Gen, die zum Teil massiv an Gewicht zunehmen, weil die nahrungssupprimierende Wirkung des Hormons fehle. Der Einsatz von Leptin führe bei diesen Patienten - ähnlich wie die Insulinwirkung bei Diabetes Typ 1 - zu einer teils dramatischen Gewichtsabnahme und Verbesserung aller metabolischen Parameter. Dagegen hat sich der Einsatz von Leptin bei der nicht leptindefizienten Adipositas nicht bewährt. Ähnlich wie bei der Insulinresistenz bei Diabetes Typ 2 liege bei diesen Patienten eine Leptinresistenz vor, so Lehnert.

Derzeit untersuche eine Arbeitsgruppe von UKSH-Wissenschaftlern in Lübeck die Wirkung einer intranasalen Leptingabe; im Tiermodell habe sich eine deutliche Gewichtsreduktion gezeigt. Ausblick von Lehnert: "Langfristig hoffen wir, dass die intranasale Gabe von Adipokinen wie Leptin oder Nesfatin 1 zu nachweisbaren und langanhaltenden positiven Effekten auch beim Menschen führt."


info

aha! steht für das Präventionsprojekt "ab heute anders?

Ziel
Risikopatienten sollen früher identifiziert und mit hausärztlicher Unterstützung zu Lebensstiländerungen bewegt werden.

Ergebnis
40 Prozent der Teilnehmer konnten ihr Gewicht und ihren Taillenumfang reduzieren und sind dauerhaft körperlich aktiv.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201606/h16054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Juni 2016, Seite 39
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2016

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