Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin - 19.07.2018
Erwiesen: Mücken können tropisches Chikungunya-Virus auch bei niedrigen Temperaturen verbreiten
Frühwansystem Stechmückenmonitoring
Neue im Hochsicherheits-Insektarium des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) durchgeführte Experimente zeigen, dass sich in der Asiatischen Tigermücke auch bei relativ milden Temperaturen von 18 Grad Celsius Chikungunya-Viren vermehren können. Somit ist eine Ausbreitung des Chikungunya-Virus auch in nicht-tropischen Regionen wie Deutschland denkbar, sollte die Tigermücke flächendeckend heimisch werden. Die Fachzeitschrift Eurosurveillance hat die Arbeiten heute veröffentlicht.
Gewöhnlich benötigen tropische Krankheitserreger, wie Zika-, Dengue- oder auch West-Nil-Viren, sehr warme Temperaturen über mehrere Wochen, um sich in Stechmücken vermehren zu können. "Diese Bedingungen von durchschnittlich 25 bis 27 Grad finden wir hier in Deutschland in der Regel nicht vor. Somit werden Krankheitsausbrüche hier zu Lande doppelt kontrolliert: erstens über relativ niedrige Temperaturen und zweitens über das geringe Vorkommen entsprechender Überträger wie der Asiatischen Tigermücke Aedes albopictus", erklärt Prof. Egbert Tannich, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Tropische Infektionserreger am BNITM.
Eine Ausnahme bildet offenbar das Chikungunya-Virus: Behörden meldeten bereits Ausbrüche in europäischen Ländern mit wesentlich niedrigeren Temperaturen als in den Tropen; so beispielsweise in Italien (2007, 2017) und Frankreich (2010, 2014, 2017). Daher führten BNITM-Wissenschaftlerinnen Stechmücken-Infektionsexperimente bei unterschiedlichen Temperaturen durch. In einem speziellen Hochsicherheitslabor (BSL3-Insektarium) fütterten sie Aedes albopictus-Stechmücken aus Deutschland und Italien mit Chikungunya-Virus-haltigem Blut und setzten die Tiere anschließend für zwei Wochen in Klimakammern mit Durchschnittstemperaturen von 18, 21 oder 24 Grad.
"In Mücken aus der deutschen Population konnte sich das Virus auch bei einer Temperatur von 18 Grad sehr gut vermehren und nach zwei Wochen haben wir in über 50 Prozent der Tiere infektiöse Viren im Speichel nachgewiesen", fasst Tannich die Versuchsergebnisse zusammen. Im Gegensatz zu anderen tropischen Viren werde die Übertragung des Chikungunya-Virus somit weniger durch die Außentemperatur sondern vor allem durch das Vorkommen der Überträgermücke bestimmt.
"Aktuell ist die Gefahr einer Chikungunya-Virus Übertragung auf den Menschen in Deutschland als gering einzuschätzen, da wir Tigermücken bislang nur lokal begrenzt und in geringer Zahl finden", beruhigt Tannich. Zudem müsse die Stechmücke erst einmal einen Menschen stechen, der Chikungunya-Viren im Blut aufweist, um selbst zum Überträger werden zu können.
Tannich und Prof. Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Arbeitsgruppe Arbovirologie am BNITM, empfehlen jedoch eindringlich, für alle europäischen Länder mit etablierten Aedes albopictus-Populationen, ein entsprechendes System für die Stechmücken-Überwachung und Bekämpfung einzurichten. "Eine weitere Ausbreitung der Tigermücke können wir nur durch Reduktion oder Elimination bestehender Mückenpopulation verhindern", so Schmidt-Chanasit.
Hintergrund zur Methode und Übertragbarkeit von Viren durch Stechmücken
In einem speziellen Sicherheitslabor des BNITM (Biosafety Level 3; BSL3)
fütterten Wissenschaftlerinnen Mücken* mit virushaltigem Blut. Nach zwei
Wochen isolieren sie Speichel der Mücken und untersuchen diesen auf
infektiöse Viruspartikel.
Allein das Vorkommen von Viren in einer Mücke reicht für eine Übertragung
nicht aus. Zum einen muss eine Tigermücke in Deutschland einen Menschen
stechen, der gerade tropische Viren im Blut aufweist, zum anderen muss die
Mücke das Virus tatsächlich vermehren und übertragen können. Dies ist bei
tropischen Viren in der Regel nur bei erhöhen Außentemperaturen von über
25 Grad Celsius über einen Zeitraum von mehreren Wochen der Fall
* Die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS
e. V.) fangen Stechmücken zu Versuchszwecken in speziellen Mückenfallen
und stellen die Insekten im BSL3-Instektarium zur Verfügung.
Hintergrund Chikungunya-Virus
Eine Chikungunya-Virusinfektion kann schwere, lähmende und oft chronische
Gelenkschmerzen verursachen. Die beiden Stechmücken Aedes aegypti und
Aedes albopictus gelten als die beiden wichtigsten Überträgermücken
(Vektoren) für Chikungunya-Viren. In Europa ist Aedes albopictus
beispielsweise in Italien sowie entlang der oberen Rhein-Ebene in
Deutschland und Frankreich heimisch; insgesamt aber in über 25
europäischen Ländern.
Über das BNITM
Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) ist Deutschlands
größte Einrichtung für Forschung, Versorgung und Lehre auf dem Gebiet
tropentypischer und neu auftretender Infektionskrankheiten. Aktuelle
Forschungsschwerpunkte bilden Malaria, hämorrhagische Fieberviren,
Immunologie, Epidemiologie und Klinik tropischer Infektionen sowie die
Mechanismen der Übertragung von Viren durch Stechmücken. Für den Umgang
mit hochpathogenen Viren und infizierten Insekten verfügt das Institut
über Laboratorien der höchsten biologischen Sicherheitsstufe (BSL4) und
ein Sicherheits-Insektarium (BSL3). Das BNITM umfasst das nationale
Referenzzentrum für den Nachweis aller tropischen Infektionserreger und
das WHO-Kooperationszentrum für Arboviren und hämorrhagische Fieberviren.
Gemeinsam mit dem ghanaischen Gesundheitsministerium und der Universität
von Kumasi betreibt es ein modernes Forschungs- und Ausbildungszentrum im
westafrikanischen Regenwald, das auch externen Arbeitsgruppen zur
Verfügung steht.
Originalpublikation:
Anna Heitmann, Stephanie Jansen, Renke Lühken, Michelle Helms, Björn
Pluskota, Norbert Becker, Carola Kuhn, Jonas Schmidt-Chanasit, Egbert
Tannich. Experimental risk assessment for chikungunya virus transmission
based on vector competence, distribution and temperature suitability in
Europe, 2018; Eurosurveillance; Volume 23, Issue 29, 19 July 2018 (DOI:
10.2807/1560-7917)
https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2018.23.29.1800033
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1059
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin - 19.07.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2018
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