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REISEMEDIZIN/035: Reisethrombose - Prophylaxe nötig? (GTH / Schattauer)


Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung e.V. (GTH) - 16. Juli 2012

Reisethrombose: Prophylaxe nötig?

Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung informiert



Die Ferienzeit rückt näher. Viele Urlauber nehmen auf dem Weg zum Ferienort mehrstündige Flüge oder Busfahrten auf sich - doch die Angst vor einer Reisethrombose trübt die Urlaubsfreude. Inwieweit ist diese Furcht begründet? Ist Prophylaxe nötig? Die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) informiert in einem Interview mit Professor Dr. med. Sebastian Schellong, Chefarzt der 2. Medizinischen Klinik am Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt.


Als "economy-class-syndrome" geistert die reiseassoziierte venöse Thromboembolie (RTE) jährlich zur Sommerzeit durch die Medien. Der 1977 geprägte Terminus spielt auf die eingeschränkte Beinfreiheit bei kostengünstigen Flugplätzen an. Doch ein Zusammenhang zwischen der RTE und den verschiedenen Sitzklassen ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Selbst der ehemalige US-Präsident Richard Nixon soll an Bord der Air Force One seinerzeit eine RTE erlitten haben.

Unter einer RTE ist eine Thrombose des tiefen Venensystems der unteren Extremitäten zu verstehen, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer vielstündigen Reise in sitzender Position auftreten kann. Verschiedene Reiseportale und Fluglinien geben Tipps zur Vorbeugung. Reißerische Berichterstattungen schüren die Angst vor der RTE und den Wunsch nach Prophylaxe. In den letzten 10 Jahren lässt sich daher eine kontinuierliche Tendenz zur übermäßigen Prophylaxe beobachten. Die GTH und Gerinnungsexperte Professor Dr. Schellong warnen vor unnötiger Hysterie und nicht indizierten Vorbeugungsmaßnahmen.

Wie oft tritt die RTE auf und wie hoch ist das Risiko daran zu erkranken?

"Das ist unbekannt. Die einzig verlässliche Zahl ist, dass das Risiko, im Zeitraum eines Urlaubs mit Hin- und Rückflug von mindestens 8 Stunden ununterbrochenen Fluges eine Beinvenenthrombose zu erleiden, zirka 2 bis 3 Mal so hoch ist wie ohne diese Flugreisen. Dieses natürliche Risiko ist aber ohnedies extrem gering, so dass auch eine Verdreifachung kein echtes Risiko darstellt."

Wo bilden sich Thrombosen während Reisen am häufigsten und warum?

"Die typische Reisethrombose beginnt in den sogenannten Wadenmuskelvenen. Wegen der langen Ruhigstellung und dem durch die Sitzhaltung behinderten Blutabstrom aus den Beinen, bleibt das Blut dort stehen und beginnt zu gerinnen. Es bilden sich wenige Millimeter große Thrombosekeimlinge. Diese werden nach dem Ende des Fluges in der übergroßen Mehrzahl der Fälle vom Körper selbst wieder beseitigt. Nämlich genau dann, wenn man die Wadenmuskulatur wieder betätigt, z.B. durch Gehen. Nur in wenigen Ausnahmefällen wächst nach dem Flug ein Keimling weiter und macht sich nach einigen Tagen als echte Thrombose bemerkbar."

Wer zählt zur Gruppe der "Risikoreisenden"?

"Die gibt es wahrscheinlich gar nicht. Die spektakulären Fälle von tödlicher Lungenembolie am Ende eines Langstreckenfluges betreffen nur solche Menschen, die bereits mit einer - allerdings bis dahin nicht bekannten und daher unbehandelten - Beinvenenthrombose ins Flugzeug einsteigen."

Inwieweit sind prophylaktische Maßnahmen sinnvoll?

"Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Maßnahmen gar nicht sinnvoll, da keine Prophylaxemaßnahme in seriösen Studien auf ihre Wirksamkeit hin überprüft wurde. Man kann das auch gar nicht prüfen, weil das Ereignis viel zu selten ist. Man müsste 100.000 Reisende in eine solche Studie einschließen. Die bereits vorliegenden Studien zur angeblichen Wirksamkeit von Strümpfen oder Medikamenten haben alle so schwere methodische Mängel, dass sie nicht verwertbar sind."

Besteht eine Gefahr durch übermäßige Prophylaxe (Über-Compliance)?

"Bewiesen ist, dass nicht perfekt angemessene Kompressionsstrümpfe bei Menschen mit Krampfadern zu Venenentzündungen führen. Theoretisch gesprochen kann die Verwendung von gerinnungshemmenden Substanzen zu Blutungen führen."

Was sollte man vor diesem Hintergrund tun, wenn eine längere Reise ansteht?

"Wer sich wirklich Sorgen macht wegen der Reisethrombose, kann von Zeit zu Zeit unter dem Sitz des Vordermanns Paddelbewegungen mit den Füßen machen. Auf diese Weise werden die Muskelvenen ausgemolken, so dass die kleinen Thrombosekeimlinge keine Chance haben."


Über die GTH
Die Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung e.V. (GTH) wurde 1956 gegründet und hat derzeit rund 820 Mitglieder. Der interdisziplinäre gemeinnützige Verein vereint Forscher aus dem deutschsprachigen Raum und fördert die Forschung und die Verbreitung der Kenntnisse auf dem Gebiet der Hämostase und Thrombose. Die Gesellschaft veranstaltet interdisziplinäre Kongresse und spezielle Symposien auf dem Gebiet der Hämostase und Thrombose. Sie unterhält Arbeitsgruppen und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs auf ihrem Fachgebiet.

GTH - Geschäftsstelle
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Internet: www.gth-online.org

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Quelle:
Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung e.V. (GTH)
Pressemitteilung vom 16.07.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2012