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SCHMERZ/693: Komplexes Regionales Schmerzsyndrom - Verzerrtes Körperbild, ein Schlüssel zu neuen Therapien? (idw)


Klinikum der Ruhr-Universität Bochum /
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH - 27.11.2013

Eine Gummihand, die Schmerz empfindet

Dr. Annika Reinersmann erhält renommierten Förderpreis für CRPS-Forschung



Für ihre Forschungsarbeit zum sogenannten Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) wurde Dr. Annika Reinersmann, frühere Mitarbeiterin des Forschungsteams um Prof. Dr. Christoph Maier von der Abteilung für Schmerzmedizin im Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil mit dem renommierten Förderpreis für Schmerzforschung 2013 ausgezeichnet. Ihre Untersuchungen zur sogenannten "Gummihand-Illusion" zeigten, dass die gestörte Körperwahrnehmung von Schmerzpatienten eine wesentliche Rolle für die therapeutische Behandlung des CRPS spielen muss. Bei diesem Testverfahren erleben Probanden eine Gummihand als Teil ihres Körpers und reagieren sogar mit physiologisch nachweisbaren Angstreaktionen, wenn die Gummihand vermeintlich mit einer Nadel verletzt wird. Die Ergebnisse der Studie erlauben Rückschlüsse auf die Funktionalität neurophysiologischer Prozesse bei Patienten, die unter dem seltenen Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) leiden. Der Preis wurde kürzlich im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses in Hamburg von der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. verliehen. Dr. Reinersmann erhielt den ersten Preis in der Kategorie "Klinische Forschung".

Wenn die eigene Hand fremd wird

Seit längerem ist bekannt, dass Veränderungen im Gehirn bei Patienten mit CRPS eine wesentliche Rolle in der Schmerzaufrechterhaltung spielen. Immer bekannter wird auch, dass diese Patienten unter einer Störung der Körperrepräsentation leiden. Sie berichten beispielsweise von dem Gefühl, die betroffene Hand gehöre nicht zum eigenen Körper, wirke fremd oder wie abgestorben. "Wir wollen verstehen, auf welcher Ebene im Gehirn die Körperrepräsentation konstruiert wird und wie diese Konstruktion beim CRPS erfolgt", erläutert Dr. Reinersmann. "Denn dann können wir bereits existierende Therapieinterventionen hinsichtlich ihrer Effektivität verbessern oder weiterentwickeln und möglicherweise neue, nicht- medikamentöse Verfahren entwickeln." Im Rahmen ihrer Studie, die sie in Kooperation mit der Biopsychologie in Bochum sowie dem Forscherteam des Bergmannsheils Bochum durchgeführt hat, ging es darum, die sogenannte "Gummihand-Illusion" auf ihre klinische Anwendbarkeit beim CRPS zu prüfen, um die Entstehungsursachen der gestörten Körperrepräsentation besser nachvollziehen zu können.

Gummihand löst Schmerzempfindung aus

In die Studie wurden Probanden mit CRPS (Typ 1) an der oberen Extremität, Patienten mit anderen Schmerzen an der Hand und gesunde Probanden einbezogen. Die Wissenschaftler stimulierten die Hand des jeweiligen Probanden und eine passend platzierte Gummihand mit einem Pinsel. Immer mehr empfand der Proband die Gummihand als einen Teil des eigenen Körpers. Wurde die Gummihand dann mit einer Spritze bedroht, erschrak er sogar. Die Illusionsstärke wurde einerseits erfasst durch standardisierte Fragebögen, andererseits durch die Messung des Hautwiderstandes der Probanden - denn dieser verändert sich häufig in Schreck- und Bedrohungssituationen, wie sie durch die Spritze herbeigeführt wurden.

Verzerrtes Körperbild: Ein Schlüssel zu neuen Therapien?

"Völlig überraschend für uns war, dass Patienten mit CRPS die Illusion genauso intensiv erlebten wie gesunde Probanden oder Patienten mit anderen Schmerzen an der Hand", beschreibt Dr. Reinersmann die Ergebnisse. Dabei erlebten die Probanden die Illusion an der linken Hand stärker als an der rechten. "Das ist vermutlich ein Hinweis darauf, dass die rechte Gehirnhälfte an der Konstruktion der Körperrepräsentation maßgeblich beteiligt ist." Auch konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Patienten, die unter einer starken Verzerrung des Körperbildes litten, die Illusion an der betroffenen Hand weniger stark erlebten. Das intakte Erleben der "Gummihand-Illusion" lege nahe, dass die komplexen, höheren Prozesse der Integration visueller und taktiler Reize beim CRPS intakt ist: "Daraus können wir wichtige Rückschlüsse ziehen hinsichtlich der kortikalen, also auf die Großhirnrinde bezogenen Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems", so die Psychologin. "Offensichtlich sind nicht alle Hirnregionen von den pathophysiologischen Veränderungen beim CRPS betroffen und das bietet neue Ansätze zur Entwicklung und Verbesserung nicht-medikamentöser Therapieoptionen."

Dr. Reinersmann sieht auch konkrete Anwendungszwecke der "Gummihand- Illusion" für die klinische Diagnostik bei Patienten, die von einem CRPS betroffen sind. Mit diesem Verfahren könnten beispielsweise die Funktionalität multisensorischer Prozesse bei Schmerzpatienten, also die Verarbeitung und Integration verschiedener Reize in bestimmten Hirnregionen geprüft werden. Auch zur Überprüfung möglicher Verzerrungen des Körperbildes ließe sich dieses Diagnostik-Instrument nutzen. Dabei scheinen die Studienergebnisse darauf hinzudeuten, dass das Körperbild für die therapeutische Behandlung des CRPS von großer Bedeutung ist.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christoph Maier
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH
Abteilung für Schmerzmedizin
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
44789 Bochum
Tel.: 0234/302-6366 (Sekretariat)
E-Mail: anja.grote@bergmannsheil.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dgss.org
Website der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/de/image220611
Die Collage verdeutlicht das Prinzip der "Gummihand-Illusion".


Über den Förderpreis für Schmerzforschung
Der Förderpreis für Schmerzforschung wird jährlich von der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Grünenthal GmbH vergeben. Mit dem Förderpreis für Schmerzforschung werden Ärzte und Wissenschaftler gefördert, deren Arbeiten im Bereich der anwendungsbezogenen Forschung und umgesetzten Grundlagenforschung einen wesentlichen Beitrag zur interdisziplinären praxisbezogenen Therapie akuter und chronischer Schmerzen geleistet haben.

Über das Bergmannsheil
Das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil repräsentiert den Strukturwandel im Ruhrgebiet wie kein anderes Krankenhaus: 1890 als erste Unfallklinik der Welt zur Versorgung von verunglückten Bergleuten gegründet, zählt es heute zu den modernsten und leistungsfähigsten Akutkliniken der Maximalversorgung und gehört zum Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum (UK RUB). In 23 Kliniken und Fachabteilungen mit insgesamt 622 Betten werden jährlich rund 20.000 Patienten stationär und 63.000 Patienten ambulant behandelt. Mehr als die Hälfte der Patienten kommen aus dem überregionalen Einzugsbereich. Weitere Informationen im Internet unter:
www.bergmannsheil.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1409

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum -
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH
Robin Jopp, 27.11.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013