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AIDS/790: Harm Reduction - Bann bei Drogenabhängigen gebrochen (DAH)


Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) - Freitag, 16. Juli 2010

Bann gebrochen

Einst waren Drogenabhängige besonders von HIV betroffen. Inzwischen ist bei ihnen die Zahl der HIV-Neudiagnosen so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Eine Erfolgsbilanz der Deutschen AIDS-Hilfe


Harm Reduction hat die Drogenhilfe revolutioniert. Statt auf strikte Abstinenz, setzt sie auf alltagstaugliche Lösungen für Menschen, die Drogen gebrauchen. Erfolgsbilanz der "Schadensminderung": kaum noch HIV-Neuinfektionen durch Drogengebrauch.


Keine drei Jahrzehnte ist es her, da galten Drogenabhängige noch als Gefahr. Erst durch sie, so die Befürchtung, würde das HIV-Virus in die heterosexuelle "Normalbevölkerung" getragen.

Tatsächlich waren Menschen, die Drogen intravenös konsumierten, besonders stark von HIV betroffen. Der Grund: Die schwer erhältlichen Spritzen und Nadeln wurden weitergereicht; so gelangte das HIV-Virus von der einen Blutbahn in die andere.

Doch die Horrorszenarien der 1980er Jahre wurden nicht wahr. Im Gegenteil: Die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Fälle bei Menschen, die Drogen gebrauchen, liegt seit Jahren auf einem konstant niedrigen Niveau. 2008 sank ihre Zahl sogar um 20 Prozent auf nur noch 100 Fälle in ganz Deutschland.



Medikamente statt Drogen

Zu verdanken ist diese erfreuliche Entwicklung - neben der erfolgreichen Präventionsarbeit von Aids- und Drogenhilfen - dem Ausbau niedrigschwelliger Hilfsangebote und der Substitutionsbehandlung. Mit der Zulassung von Medikamenten wie Methadon und Buprenorphin zur Behandlung von Opiatabhängigkeit wurde ein Bann gebrochen.

Für ihre Einführung hat die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) zusammen mit dem Drogenselbsthilfe-Netzwerk JES und weiteren Bündnispartnern wie akzept e.V. jahrelang gestritten - mit Erfolg. Heute befinden sich etwa 74.000 Personen in einer substitutionsgestützten Behandlung. Das sind etwa 30 bis 50 Prozent der Opiatabhängigen.

Dieser Schritt war ebenso überfällig wie die Umgestaltung des Drogenhilfesystems. "Die traditionelle Drogenhilfe, die allein auf Ausstieg und Abstinenz setzte, konnte einen großen Teil der Drogenkonsumenten gar nicht erreichen", kritisiert Dirk Schäffer, DAH-Referent für Drogen und Strafvollzug.



Ärzte als Straftäter

Die größten Probleme liegen nun anderswo: Die hohe Zahl der Behandelten stellt das Versorgungssystem vor Probleme. So gibt es nicht genug Ärzte, die Substitutionsbehandlungen anbieten. Die Ursache für diese Defizite sind die nach wie vor zu strengen Gesetze, die das Erfolgsmodell ausbremsen.

So ist es bis heute eine Straftat, wenn ein Arzt seinem Patienten das Medikament direkt aushändigt. Die Angst, gegen Gesetze zu verstoßen, schreckt viele Mediziner ab. Sie verhindert auch, dass Menschen möglichst individuell und damit erfolgreich behandelt werden.



Größere Spielräume

Eine der großen Herausforderungen für die Drogenarbeit der DAH: Die Verhältnisse zu verändern, in denen Drogenkonsum stattfindet. "Drogenarbeit darf sich nicht darauf beschränken, den Einzelnen dazu zu bringen, sein Verhalten zu ändern", betont Dirk Schäffer. "Sie muss auch die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse verändern, die ein riskantes Verhalten bedingen."

Deshalb kämpft die DAH um größere Spielräume - sowohl für Drogenkonsumenten als auch für die Angebote der Drogenhilfe. Hierzu gehören zum Beispiel der Ausbau von Drogenkonsumräumen und die flächendeckende Verschreibung von Diamorphin (Heroin) als Medikament zur Substitution.

Drogenkonsumenten können sich nur dann wirkungsvoll vor HIV und Hepatitis schützen, wenn sie ihre Drogen legal, stressfrei und mit sauberen Utensilien konsumieren können. Zudem müssen sie genau jene Medikamente zur Substitution erhalten, die für sie den größten Erfolg versprechen.



Umfassende Gesundheitsförderung

"Viele Angebote fokussieren noch immer auf die Defizite und Probleme der Menschen", kritisiert Schäffer, "aber Prävention, die allein von oben aufgesetzt wird, ist nur begrenzt wirksam." Die DAH fördert deshalb seit über 20 Jahren die Selbsthilfe von Drogenkonsumenten, Ex-Usern und Substituierten, die im JES-Bundesverband zusammenarbeiten.

Dabei beschränkt sich die Arbeit der der Deutschen AIDS-Hilfe bei weitem nicht nur auf die Prävention von HIV und Hepatitis. "Wir wollen eine umfassende Gesundheitsförderung betreiben", so Schäffer. Sie stellt sich den drängenden Fragen: Wie lassen sich Drogentodesfälle verhindern? Was fördert die berufliche Integration von Substituierten?

"Themen der Lebenshilfe haben für uns einen zentralen Stellenwert", sagt Schäffer, denn: "Auch Drogen konsumierende Menschen sind mündige Bürger, die Verantwortung tragen wollen und können."



Vier Tage gegen HIV

Vier Thementage prägen das Programm des Deutschen Pavillons auf der Internationalen Aidskonferenz in Wien (18.-23. Juli 2010). Auch die Deutsche AIDS-Hilfe präsentiert passende Beispiele für ihre erfolgreiche HIV-Präventionsarbeit.

Verfolgen kann man zahlreiche Veranstaltungen und Themen unter:
http://globalhealth.kff.org/AIDS2010


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Quelle:
Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH)
Presse- & Öffentlichkeitsarbeit
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Telefon: 030 /69 00 87-16, Fax: 030 / 69 00 87-42
E-Mail: presse@dah.aidshilfe.de
Internet: www.aidshilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2010