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HERZ/468: Immer mehr ältere Menschen profitieren von Herzoperationen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2010

Medizinische Entwicklung
Immer mehr ältere Menschen profitieren von Herzoperationen

Von Uwe Groenewold


Jeder zweite OP-Patient ist heute über 70 Jahre alt. Die Herzchirurgie ist ein gutes Beispiel, wie sich die Medizin auf das steigende Lebensalter einstellt.


122.000 Eingriffe am Herzen wurden 2008 in Deutschland durchgeführt; jeder zweite Patient war älter als 70 Jahre. "Der Anteil ist doppelt so hoch wie vor 15 Jahren", erklärt Prof. Friedhelm Beyersdorf aus Freiburg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG).

Das Durchschnittsalter der herzchirurgischen Patienten lag 1990 bei 55,8 Jahren und ist inzwischen auf 68,8 Jahre angestiegen. Heute seien 90-Jährige auf dem OP-Tisch keine Ausnahme mehr, so Beyersdorf. "Demnächst haben wir es auch mit 100-jährigen Patienten zu tun", mutmaßt der leitende Herzchirurg der Uniklinik Freiburg. Er begrüßt die Entwicklung, gelingt es doch trotz des deutlich höheren Operationsrisikos bei den meisten älteren Menschen, die Beschwerden zu lindern: "Sie bekommen endlich wieder Luft, haben keine Angina Pectoris-Schmerzen mehr und können selbständig die Treppen steigen oder einkaufen gehen." Studien zufolge erlangen 80 bis 90 Prozent der über 75-jährigen Patienten nach der Operation wieder eine gute bis sehr gute Lebensqualität.

Das Phänomen der gestiegenen OP-Zahlen im Alter hat nur zum Teil mit dem demografischen Wandel zu tun: Die Zahl älterer Menschen nimmt ebenso wie die Lebenserwartung beständig zu - eine 80-jährige Frau kann heute statistisch noch mit 8,9, ein Mann mit 7,6 Lebensjahren rechnen. Die Alten von heute sind nicht weniger krank als die von vor 20 Jahren. Ganz im Gegenteil, sagt PD Dr. Ivar Friedrich von der Uniklinik Halle: "Mit zunehmendem Alter steigt auch die Zahl weiterer Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz und damit auch die Gefahr, dass während und nach der Operation Komplikationen auftreten." Vielmehr profitieren ältere Menschen von neuen, schonenden Operations- und Narkosetechniken, die die Behandlungsrisiken reduzieren. "Den Erfolg der modernen Herzchirurgie kann man daran sehen, dass die Sterblichkeit in den vergangenen 20 Jahren trotz der massiven Zunahme älterer Patienten nicht gestiegen ist und in der Bypasschirurgie bei unter drei Prozent liegt", erläutert Friedrich. Wer auch im hohen Alter Nutzen von einer Herzoperation hat, darüber herrscht unter Experten noch keine Klarheit. Denn die Gefahr, dass nach dem Eingriff Komplikationen auftreten, ist allein durch das Lebensalter deutlich erhöht: Ältere Patienten liegen länger auf der Intensivstation, müssen länger künstlich beatmet werden und sind häufiger postoperativ auf eine Dialyse angewiesen als jüngere Patienten. Rein rechnerisch ist das Risiko, an den Folgen einer Bypassoperation zu sterben, bei über 75-Jährigen mehr als drei Mal und bei über 85-Jährigen fast sechs Mal so hoch wie bei unter 65-Jährigen. "Gerade für Patienten im hohen Lebensalter gilt: Die Indikation zur Operation sollte daran orientiert sein, ob eine gute Chance besteht, dass es dem Patienten nach der Operation besser geht als vor der Operation", erklärt Dr. Friedrich." Patienten mit stark reduzierter Pumpfunktion des Herzens, Niereninsuffizienz, peripherer Gefäßerkrankung, und vor allem Patienten nach Schlaganfall, mit Demenz oder schweren Depressionen sollte die Belastung eines herzchirurgischen Eingriffes nur nach sehr sorgfältiger Abwägung der Chancen und Risiken zugemutet werden." Die Fachgesellschaft der Herzchirurgen hat eine Arbeitsgruppe gegründet, die wissenschaftlich hinterfragt, von welchen Behandlungsmethoden ältere Herzpatienten besonderen Nutzen haben. Auch gibt es Risiko-Scores, die aufgrund des Alters und der Begleiterkrankungen das OP-Risiko errechnen. Unverzichtbar, so Beyersdorf, bleiben zwei Dinge: Die Erfahrung des Operateurs, der anhand der Krankengeschichte sehr schnell die Erfolgsaussichten einschätzen kann, sowie der Wille des Patienten: "Der Kranke muss überzeugt sein, dass ihm geholfen werden kann. Wenn er große Angst hat und sich von Angehörigen oder Ärzten zu dem Eingriff gedrängt fühlt, macht es keinen Sinn."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201005/h105034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Mai 2010
63. Jahrgang, Seite 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010