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SCHLAGANFALL/171: Schlaganfall bei Kindern (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2009

Schlaganfall bei Kindern
Therapien sollen besser und Kinder bestmöglich gefördert werden

Von Monika Daseking, Wiebke Schlagheck und Franz Petermann


Schlaganfälle bei Kindern haben die verschiedensten Symptome und Ursachen. Sie können als Komplikation auftreten, wenn die Kinder bereits von anderen Erkrankungen betroffen sind. Herzerkrankungen, Infektionen, Stoffwechselerkrankungen oder Gerinnungsstörungen sind mögliche Einflüsse. Auch eine Diabetes der Mutter oder Nikotin- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft erhöhen das Risiko für einen Schlaganfall beim Kind.

Dabei ist selten ein einzelner Faktor bestimmend. Bei einem Drittel der Kinder lassen sich trotz umfangreicher medizinischer Diagnostik erst gar keine Ursachen finden. Die Diagnose wird zusätzlich erschwert, weil die Symptome eines Schlaganfalls oft nicht dem klassischen Krankheitsbild, das aus dem Erwachsenenalter bekannt ist, entsprechen.

Bei einem Schlaganfall wird Hirngewebe zerstört. Die in diesem Areal liegenden Fähigkeiten können dabei verloren gehen. Ist beispielsweise die linke Gehirnhälfte geschädigt, tauchen in vielen Fällen Probleme im Umgang mit Sprache auf. Da viele Nervenbahnen die Seiten kreuzen, kommt es bei einem Schlaganfall der linken Gehirnhälfte normalerweise auch zu Bewegungsstörungen in der rechten Körperhälfte und umgekehrt.

Für Art und Umfang der Folgen spielt nicht nur das Alter zum Zeitpunkt des Schlaganfalls oder die Größe der Läsion eine Rolle. Es können auch epileptische Anfälle auftreten, die dann medikamentös behandelt werden müssen. Eventuell beeinträchtigen Lähmungen den weiteren Entwicklungsverlauf des Kindes. In vielen Fällen verändert sich der Bildungs- und Lebensweg der Kinder und Jugendlichen "auf einen Schlag".


Das Gehirn organisiert sich neu

Auch im Kindes- und Jugendalter lässt sich ein Schlaganfall nicht einfach "heilen". Doch ist das junge Gehirn in der Lage Schäden zu kompensieren und seine Hirnareale zu reorganisieren. Die beeinträchtigten Funktionen werden in gesunde Bereiche verlagert und somit erhalten oder neu erlernt. Therapie und Rehabilitation können diesen Prozess gezielt unterstützen. Die neuronale Plastizität des kindlichen Gehirns bestimmt, in wie weit es in der Lage ist, die Zerstörung des Hirngewebes aufzufangen.

Die meisten Kinder etwa, bei denen der Schlaganfall die eigentlichen Sprachareale der linken Hemisphäre geschädigt hat, lernen dennoch sprechen. Hier geht man davon aus, dass andere Areale der linken oder der rechten Hemisphäre diese Leistung übernehmen. Dieser Effekt wird auch für den Wechsel der Händigkeit angenommen, wenn nach dem Schlaganfall die ursprünglich dominante Hand gelähmt bleibt.

Die Kompensation ist nicht ohne Makel: Werden Funktionen in andere Hirnareale verlagert, kann dies Konsequenzen für die Effektivität des Gesamtsystems haben und sekundär zu Leistungseinbußen in anderen kognitiven Fähigkeiten führen. Gedächtnis- und Sprachdefizite nach einem Schlaganfall können Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben nach sich ziehen. Oft sind visuell-räumliche Funktionen beeinträchtigt, was schlechte schulische Leistungen im mathematischen Bereich nach sich ziehen kann. Viele Kinder haben zudem große Schwierigkeiten sich zu konzentrieren oder länger mit einer Aufgabe zu beschäftigen.

Das Muster der Funktionsdefizite kann sich mit der Zeit verändern. Auch lange nach dem Schlaganfall können neue kognitive Beeinträchtigungen hinzukommen. Mehr noch, nach zunächst unauffälliger Entwicklung im frühen Kindesalter zeigen sich manche Folgen überhaupt erst später, wenn die Anforderungen an das Kind deutlich steigen. Dies kann bei der Einschulung oder beim Schulwechsel sein, wenn neue Fertigkeiten erlernt werden sollen.


Wichtig ist eine langfristige Beobachtung

Bei den Kindern können die motorischen und kognitiven Schwächen komplexe emotionale und psychosoziale Probleme verursachen, die auch ein breites Spektrum an möglichen Verhaltensstörungen einschließen. In den meisten Fällen sind diese als direkte Folge des Schlaganfalls zu interpretieren, sie beruhen also auf einer Schädigung von Hirnarealen, die für die Steuerung von Verhalten verantwortlich sind.

Auch für die (neuro-)psychologische Diagnostik gilt: Es ist wichtig, kognitive Defizite möglichst früh zu erkennen und gezielt zu behandeln. Frühe Therapien und Fördermaßnahmen wie Krankengymnastik, Logopädie oder Ergotherapie, erhöhen die Chancen, dass dauerhafte Beeinträchtigungen für das Leben der Kinder gering gehalten werden. Eine langfristige (neuro-)psychologische Begleitung der Kinder ist sinnvoll, da ihre Leistungsprofile sich mit der Reife des Gehirns verändern.

Am ZKPR werden Kinder und Jugendliche mit Schlaganfällen aus ganz Deutschland (neuro-)psychologisch begleitet, um ihnen und ihren Eltern eine bestmögliche Hilfestellung für die Planung von Therapien oder bei der Entscheidung für die richtige Schulform zu geben. Das Projekt wird unterstützt durch den Förderverein Schlaganfall und Thrombosen im Kindesalter e.V., Münster, und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, Gütersloh. Die Forscher suchen gezielt nach kognitiven und verhaltensbezogenen Folgen, aber auch nach Stärken des betroffenen Kindes. Sie prüfen grundlegende Fähigkeiten und solche, die für die Schulleistung wichtig sind. Zusätzlich beobachten sie die Kinder bei der Bearbeitung der Aufgaben. Ein Ziel ist es, typische Entwicklungsverläufe zu beschreiben, um daraus effektive Therapiestrategien abzuleiten und das Therapiemanagement zu verbessern.


Monika Daseking ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen. Die Diplom-Psychologin promovierte 2005 mit dem Thema "Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter" und leitet auch das Projekt zu Langzeitfolgen kindlicher Schlaganfälle.

Wiebke Schlagheck arbeitet als Diplom-Psychologin in der Psychologischen Kinderambulanz der Universität Bremen. Sie betreut dort die Familien der schlaganfallerkrankten Kinder. Zu ihren Aufgaben gehören die psychologische Untersuchung der Kinder und die Beratung der Eltern.

Franz Petermann ist Professor für Klinische Psychologie und Diagnostik an der Universität Bremen. In seiner Funktion als Direktor des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation unterstützt und leitet er das Projekt.

Weitere Informationen:
www.zrf.uni-bremen.de


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2009, Seite 28-31
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2009