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FORSCHUNG/947: Hirntumoren gezielt angreifen (idw)


Deutsches Krebsforschungszentrum - 26.05.2015

Hirntumoren gezielt angreifen


Beim Glioblastom, dem bösartigsten unter den Hirntumoren, suchen Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum nach spezifischen Strukturen, die mit zielgerichteten Medikamenten erfolgreich angegriffen werden können. Dabei entdeckten die Forscher ein Enzym, das das Wachstum der Tumoren antreibt. Wirkstoffe, die das Enzym blockieren und bereits als Medikament zugelassen sind, könnten das Wachstum der Hirntumoren aufhalten.

Zu den vielversprechendsten Zielstrukturen für moderne, maßgeschneiderte Krebsmedikamente zählt die große Enzym-Familie der Kinasen. Sie bilden die Schaltstationen der zellulären Signalwege. Viele der in Krebszellen auftretenden Erbgutveränderungen haben zur Folge, dass diese Signalwege überaktiv sind und dadurch das Wachstum der Zellen anfeuern. Wirkstoffe, die Kinasen hemmen, blockieren die Signalweiterleitung und bremsen so die unkontrollierte Zellteilung. Einige dieser Substanzen sind bereits für die Krebstherapie zugelassen.

"Gerade bei besonders aggressiv wachsenden Krebsarten wie dem Glioblastom sind heute noch keine erfolgversprechenden Angriffspunkte für zielgerichtete Medikamente bekannt", sagt Professor Peter Lichter aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum. "Daher haben wir uns darauf konzentriert, nach Behandlungsmöglichkeiten für diese gefährliche Krankheit zu suchen."

Die Forscher um Peter Lichter wollten herausfinden, wie sich der Verlust dieser Enzyme auf die Zelle auswirkt. Dazu schalteten sie in Glioblastom-Zellen von Patienten mit spezifischen RNA-Sonden jedes der Kinase-Gene einzeln aus. Dabei erwiesen sich ca. 80 der Enzyme als unentbehrlich für die Lebensfähigkeit und für das Wachstum der Glioblastomzellen.

Die Wissenschaftler ordneten die untersuchten Tumoren anhand verschiedener Merkmale zwei verschiedenen molekularen Gruppen zu, den so genannten mesenchymalen und den proneuralen Gliomen. Jeder dieser beiden Tumor-Typen, so zeigte sich, ist für sein Überleben auf ein spezifisches Set von Kinasen angewiesen.

Kennzeichnend für alle zwölf untersuchten Proben der besonders aggressiven mesenchymalen Gruppe war eine starke Überproduktion der Kinase AXL, die die Wissenschaftler bei proneuralen Gliomen oder in gesunden Gehirnzellen nicht beobachteten.

Wird AXL ausgeschaltet, sind Zellen mesenchymaler Glioblastome empfindlicher für den Zelltod Apoptose und bilden weniger Tochterkolonien. Diese Auswirkungen zeigen Krebszellen der proneuralen Gruppe nicht.

Wirkstoffe gegen AXL werden gegen Blutkrebs bereits klinisch erprobt. Das Team um die Studienleiterin Violaine Goidts fand nun heraus, dass mesenchymale Glioblastomzellen in der Kulturschale gut auf die Behandlung mit diesen Substanzen ansprechen.

Die Zellkultur-Versuche führten die Wissenschaftler an so genannten Neurosphären durch. Dazu werden Zellen aus dem Tumor eines Patienten in der Kulturschale mit bestimmten Wachstumsfaktoren gezüchtet. Die in der Zellmischung vorhandenen Krebs-Stammzellen bilden im Nährmedium dreidimensionale gewebeartige Strukturen, die eine vergleichbare Zellzusammensetzung wie der ursprüngliche Tumor besitzen. Sie sind daher besonders geeignet, um die Wirksamkeit von Medikamenten oder Wirkstoffkombinationen ohne den Einsatz von Tieren zu testen.

Mäuse, denen Glioblastome übertragen wurden, lebten länger ohne Tumorsymptome, wenn in den Krebszellen AXL stillgelegt war. Jedoch entwickelten auch diese Tiere später, nach etwa einem Monat, Tumoren - ein Hinweis darauf, dass die Kinase das Krebswachstum, nicht aber die Krebsentstehung reguliert.

Bei Analysen in molekularen Datenbanken entdeckten die Forscher bei anderen Hirntumoren sowie auch bei Bauchspeicheldrüsen-, Darm- und Eierstockkrebs Fälle mit AXL-Überexpression - die in der Regel mit einer ungünstigen Prognose einhergingen.

"Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sich lohnen könnte, den AXL-Inhibitor gegen Gliobastome der mesenchymalen Gruppe klinisch zu erproben", sagt Peter Lichter. "In diesem Fall wäre wahrscheinlich die Kombination mit anderen Wirkstoffen sinnvoll, um Resistenzentwicklungen von vornherein zu vermeiden."


Peng Cheng, Emma Phillips, Sung-Hak Kim, David Taylor, Thomas Hielscher, Laura Puccio, Anita Hjelmeland, Peter Lichter, Ichiro Nakano und Violaine Goidts: Kinome-wide shRNA Screen Identifies the Receptor Tyrosine Kinase AXL as a Key Regulator for Mesenchymal Glioblastoma Stem-like Cells. Stem Cell reports 2015, DOI: 10.1016/j.stemcr.2015.03.005


Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Krebsforschungszentrum, Dr. Stefanie Seltmann, 26.05.2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2015

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