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MELDUNG/412: Lieferengpässe bei Medikamenten gefährden Patientenwohl (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - 7. April 2017

Lieferengpässe bei Medikamenten gefährden Patientenwohl


fzm, Stuttgart, April 2017 - In deutschen Krankenhäusern fehlen immer wieder wichtige Medikamente. Weil Hersteller plötzlich ein Präparat nicht mehr liefern können, müssen Krankenhausapotheker auf andere Mittel ausweichen. Eine prospektive Studie in der Fachzeitschrift "Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2017) zeigt, wie häufig die ungeplanten Arzneimittelumstellungen inzwischen geworden sind. Sie belasten zunehmend das Personal und könnten somit ein Risiko für die Arzneimitteltherapiesicherheit darstellen.

Lieferengpässe gehören seit einigen Jahren zum Alltag von Krankenhausapotheken. Die Ursache hierfür sind laut Professor Rainer Riedel von der Rheinischen Fachhochschule in Köln der zunehmende Preis- und Rabattdruck. Darunter litten vor allem die Hersteller von Generika. Generika sind Nachahmerprodukte von Markenpräparaten, die von den Krankenhäusern aus Kostengründen oft bevorzugt werden.

Neben Preis- und Rabattdruck unterliegen Arzneimittel besonders hohen Qualitätsanforderungen und einem komplexen Herstellungsprozess. "Bereits ein kleiner Fehler kann schon einen kompletten Produktionsstopp auslösen", erklärt Professor Riedel. Darüber hinaus benennt Anita Kellermann, die in der Krankenhausapotheke im Klinikum der rechts der Isar der Technischen Universität München (MRI) tätig ist, einen weiteren kritischen Punkt. Die Tatsache, dass die Herstellung der Arzneimittel auf wenige, manchmal weltweit nur eine einzige Produktionsstätte konzentriert ist, die zeitgleich unterschiedliche Pharmaunternehmen bedienen müsse, sei problematisch. Den Krankenhausapotheken fällt es deshalb zunehmend schwer, bei einem Lieferengpass auf Präparate anderer Hersteller auszuweichen.

Der Umfrage zufolge, die Professor Riedel gemeinsam mit Anita Kellermann unter 13 Apotheken, die wiederum von 59 Kliniken versorgen, durchgeführt hat, waren 2013 insgesamt 239 Medikamente vorübergehend nicht lieferbar. Die Apotheker waren zu 331 Arzneimittelumstellungen gezwungen. In 139 Fällen mussten sie auf einen anderen Wirkstoff oder eine andere Applikationsform, etwa von Tablette auf Infusion, wechseln oder waren mit veränderten Lagerbedingungen konfrontiert. In den anderen Fällen fanden sie ein Präparat eines anderen Herstellers, das sich jedoch im Produktnamen unterschied.

Betroffen waren 143 Wirkstoffe aus 55 verschiedenen ATC-Gruppen, darunter auch lebensrettende Antibiotika. Die häufigsten Wirkstoffe waren Aciclovir (ein Mittel gegen Herpesinfektionen), Heparin (zur Vorbeugung von Thrombosen) und Acetylcystein (als Schleimlöser bei Husten oder als Gegenmittel bei Paracetamol-Vergiftung), gefolgt von Triamcinolon (ein Kortison-Präparat), Salbutamol (ein Asthmamittel) und Cefixim (ein Antibiotikum).

Die Lieferengpässe betrafen laut Professor Riedel 69 Pharmafirmen. Den ersten und zweiten Platz unter den säumigen Lieferanten belegten zwei Generika-Hersteller. Zwei Drittel der Lieferengpässe traten im zweiten Halbjahr 2013 auf. Professor Riedel deutet dies als deutliche Verschärfung der Lieferengpasssituation im Jahresverlauf.

Die Arzneimittelumstellungen belasten jedoch nicht nur die Apotheker, die innerhalb kurzer Zeit ein Ersatzmittel finden müssen, so Kellermann. Auch das Personal auf den Stationen muss sich ständig an neue Packungen und andere Produktnamen gewöhnen. Das erhöht nicht nur den Arbeitsaufwand. Professor Riedel befürchtet zudem, dass mit den zunehmenden Lieferengpässen auch das Risiko für Behandlungsfehler zunehmen wird.


A. Kellermann, M. Fischer, R. Bernard, G. Berndt, J. Brüggmann, M. Müller, E. Tydecks, M. Gnadt, C. Lipowsky, W. Dombert, J. Reh, K. Mitzner, E. Nusser-Rothermundt, B. Krammer, K. Friedrich, R. Riedel:
Evaluation von lieferengpassinduzierten Arzneimittelumstellungen in 59 deutschen Krankenhäusern - eine Multicenterstudie Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2017; eFirst erschienen am 15.2.2017
DOI: 10.1055/s-0042-120477

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Quelle:
FZMedNews - Freitag, 7. April 2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2017

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