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FORSCHUNG/599: Neue Wege der Impfung gegen Hepatitis B (Spiegel der Forschung)


Spiegel der Forschung Nr. 2/Dezember 2009
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen

Neue Wege der Impfung gegen Hepatitis B
Trilaterale DFG-Studie in Zusammenarbeit mit Medizinern in Israel und Palästina

Von Dieter Glebe und Wolfram H. Gerlich


Zusammen mit Ärzten aus Palästina und Israel wollen Gießener Virologen den üblichen Hepatitis B-Impfstoff mit einem kürzlich in Israel und Palästina zugelassenen, verbesserten Impfstoff vergleichen. Nahziel ist es, Neugeborene von Hepatitis B-Virus (HBV)-infizierten Müttern zukünftig wirkungsvoller gegen HBV zu schützen. Im Erfolgsfall könnte das gesamte weltweite Impfkonzept gegen Hepatitis B umgestellt werden. Gefördert wird die ungewöhnliche trilaterale Studie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit über 912.000 Euro für drei Jahre. Koordinatoren sind Privatdozent Dr. Dieter Glebe und der Leiter des Instituts für Medizinische Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Wolfram H. Gerlich.


Eine Infektion mit dem Hepatitis B-Virus (HBV) erzeugt akute und chronische Entzündungen der Leber. Sie macht sich anfänglich oft nur als Gelbsucht, dem äußerlich sichtbaren Ikterus, bemerkbar. Langfristig kann diese Erkrankung unbehandelt zu komplettem Leberversagen oder Leberkrebs führen. Weltweit sind 370 Millionen Menschen chronisch mit diesem tückischen Virus infiziert, eine Million verstirbt jährlich an den Spätfolgen.

Historisch ist die epidemische Gelbsucht, die aus einer Entzündung der Leber resultiert, schon seit der Antike bekannt und wurde bereits von Hippokrates ausführlich beschrieben. Die infektiöse Natur der Erkrankung erkannte Lürmann 1885, als nach einer Impfaktion gegen Pocken in Bremen gehäuft Fälle von Gelbsucht auftraten. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden zwei Formen von Hepatitis-Erregern postuliert. Dabei wurde Typ A faekal-oral über verschmutztes Trinkwasser oder Lebensmittel, Typ B dagegen vorwiegend parenteral, z. B. über Blut oder Blutprodukte, übertragen und deshalb auch "Serumhepatitis" genannt.

Die Entdeckung des Erregers der Serumhepatitis, das Hepatitis B-Virus, begann 1963, als der Anthropologe und Genetiker Baruch S. Blumberg (Nobelpreis 1976) nach genetischen Unterscheidungsmerkmalen in menschlichen Seren suchte. Im Blut eines australischen Ureinwohners fand er ein neues Antigen, das er zunächst für einen genetischen Marker hielt und Australia-Antigen nannte. Die Assoziation dieses Antigens mit dem Erreger der Hepatitis B erkannte Alfred Prince vom Blutspendedienst des Amerikanischen Roten Kreuzes im Jahr 1968. Die Natur dieses Antigens blieb jedoch zunächst rätselhaft. Wenngleich bekannt war, dass das Australia-Antigen 20 nm große, entfernt virus-ähnliche Strukturen bildet (Abb. 1), sprach gegen die Virusnatur das Fehlen von Nukleinsäure. Erst der Londoner Virologe David Dane entdeckte zwei Jahre später im Elektronenmikroskop neben den sehr zahlreichen 20 nm großen Teilchen auch 45 nm große virusartige Strukturen, die auf ihrer Oberfläche das Australia-Antigen tragen und heute als Hepatitis B-Virus bekannt sind (Abb. 2). Bald darauf gelang es dem amerikanischen Virologen William S. Robinson innerhalb der "Dane-Partikel" die Virus-Nukleinsäure nachzuweisen und den Weg für deren molekularbiologische Untersuchung zu eröffnen.


Impfstoffentwickung gegen HBV

Schon 1969 erkannte Blumberg, dass das in großen Mengen im Blut von Hepatitis-Patienten zirkulierende Australia-Antigen als Basis für einen schützenden Impfstoff dienen könnte. Der Kinderarzt Saul Krugman testete in den USA im Jahr 1970 auf 100°C erhitztes Australia-Antigen-haltiges Serum von HBV-infizierten Patienten als Impfstoff an mental beeinträchtigten Kindern, indem er diese nach der Impfung - in ethisch abzulehnender Weise - wissentlich mit HBV infizierte. Erst John Gerin und Robert Purcell gelang es mit gereinigtem und sicher virus-inaktiviertem Australia-Antigen aus dem Plasma von HBV-infizierten Patienten, Schimpansen, das einzige geeignete Versuchstier, in einem wissenschaftlich überzeugenden und ethisch vertretbaren Experiment wirkungsvoll gegen eine HBV-Infektion zu schützen. Im Jahr 1980 erreichte Wolf Szmuness schließlich mit einer Placebo-kontrollierten Feldstudie unter 1.000 männlichen Homosexuellen in New York (einer klassischen Risikogruppe für Hepatitis B) mit einem ähnlichen Impfstoff eine hohe Schutzrate. Es folgte eine weltweite Impfempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Risikogruppen und Neugeborene in HBV-Hochendemiegebieten.

Basis der HBV-Impfung ist eine Infektiositäts-neutralisierende, schützende Wirkung von Antikörpern gegen spezifische Oberflächenstrukturen der Virushülle. Obwohl die HBV-Impfstoffe der 1. Generation aus dem Plasma HBV-infizierter Spender sicher und sehr effizient waren, wurde mit dem Beginn des gentechnischen Zeitalters in den 1980er Jahren versucht, einen gentechnischen HBV-Impfstoff herzustellen und sich so unabhängig von dem hoch-infektiösen Patienten-Plasma zu machen. Durch die Isolierung des HBV-DNA-Genoms und seiner 1978 gelungenen Klonierung war der Grundbaustein des Australia-Antigens einer molekularbiologischen Analyse zugänglich. Es handelt sich um das kleine (small) Hepatitis B-Virus-Oberflächen-Protein (SHBs), das die Hauptkomponente der viralen Hüllproteine, das Hepatitis B-Virus-Oberflächen-Antigen (HBsAg) ausmacht. Dieses Protein wird innerhalb der Zelle zu kleinen, kugelartigen Strukturen zusammengelagert (Abb. 1). 1982 gelang es zwei Firmen (heutige Bezeichnung MSD und GSK), erstmals erfolgreich HBsAg mit gentechnischen Methoden in Hefezellen (Saccharomyces cerevisiae) herzustellen. Im Schimpansen-Versuch zeigte das so hergestellte und gereinigte HBsAg einen zuverlässigen Schutz gegen eine HBV-Infektion. Es folgte die großtechnische Herstellung der jetzt 2. Generation der HBV-Impfstoffe. Der Impfstoff, der letztlich nur aus kugelartigen Strukturen eines einzigen viralen Proteins besteht, ist damit der erste amtlich zugelassene, gentechnisch hergestellte Impfstoff mit weltweiter Anwendung. Bedenkt man, dass eine chronische HBV-Infektion gehäuft zu Leberkrebs führen kann, ist eine erfolgreiche Impfung gegen HBV immer auch eine Impfung gegen diese Form der Krebsentstehung.

Im Jahr 1992 beschloss die WHO, HBV durch ein weltweites Impfprogramm für die gesamte Bevölkerung schrittweise auszurotten. Mehr als 171 Länder haben die Impfung gegen HBV in ihre nationalen Impfempfehlungen aufgenommen. Der Impfstoff wird intramuskulär verabreicht und enthält die vielfach erprobten Adjuvantien (Wirkverstärker) Aluminium-Hydroxid oder -Phosphat. Die beste Schutzwirkung wird mit drei Dosen im Abstand von 0, 1 und sechs Monaten erzielt. Mehrere hundert Millionen Dosen wurden bislang weltweit verabreicht, ohne dass es nachweislich zu ernsten Nebenwirkungen kam. Bei einem kleinen Teil der Geimpften wurden lokale und leichte allgemeine Nebenwirkungen im Sinne einer normalen Entzündungsreaktion beobachtet. Entgegen vereinzelter kritischer Berichte sind die momentan verfügbaren Impfstoffe aus gentechnischer Herstellung nach heutigem Kenntnisstand sicher.


Schutzwirkung des Impfstoffs

Die Schutzwirkung des HBV-Impfstoffes der 2. Generation ist bei gesunden Erwachsenen insgesamt gesehen sehr gut. Entscheidend ist, dass in den Wochen nach der dritten Dosis ein ausreichender Antikörperspiegel gegen die Oberflächenproteine, das HBsAg, erreicht wird. Dennoch gibt es auch unter der Normalbevölkerung einige Prozent Geimpfter, die keine oder sehr wenige Antikörper bilden. Als Faktoren dafür gelten zum einen vermeidbare Risiken, wie Übergewicht und Rauchen, zum anderen aber auch unbeeinflussbare Faktoren, wie männliches Geschlecht, fortgeschrittenes Alter und genetische Veranlagung. Ein wesentlicher Nachteil des Impfstoffs ist, dass schon eine moderate Schwächung des Immunsystems die Schutzwirkung erheblich vermindert und, z.B. bei HIV-Infizierten und Dialysepatienten, zum völligen Versagen der Impfung führen kann. Für diesen Personenkreis, der besonders auf den Schutz vor einer HBV-Infektion angewiesen ist, stehen bislang keine in Deutschland zugelassenen, wirksamen HBV-Impfstoffe zur Verfügung.

Erst seit jüngster Zeit weiß man, dass es bei geringer Antikörpermenge nach einer Impfung zu so genannten "okkulten" HBV-Infektionen kommen kann, die sehr schwer diagnostizierbar sind, da nur eine sehr geringe Viruslast im Blut vorkommt und andere Infektionsmarker zum Teil gar nicht nachweisbar sind. Sehr problematisch in diesem Zusammenhang erscheint die hohe genetische Variabilität des HBV. Bedingt durch fehlende Reparaturmechanismen bei der Vervielfältigung der viralen Genome (durch reverse Transkription) kommt es während einer HBV-Infektion laufend zum Auftreten von Veränderungen (Mutationen) im viralen Genom, die sich dementsprechend auch in den viralen Proteinen wiederfinden. Normalerweise werden diese Virusmutanten durch den viralen Wildtyp verdrängt, da Veränderungen in den viralen Proteinen meist mit Einschränkungen in der Infektiosität oder Vermehrungsfähigkeit innerhalb der infizierten Zelle einhergehen. Eine Chance auf Vermehrung haben diese Virusmutanten dann, wenn ein Selektionsdruck auf den vorherrschenden, angepassten Wildtyp vorliegt, wie z.B. während einer antiviralen Therapie mit Inhibitoren der viralen Genomvermehrung (Inhibitoren der viralen reversen Transkriptase) bei chronischer Hepatitis B. Unglücklicherweise werden bei manchen antiviralen Therapieformen virale Resistenzen gegen das Medikament selektiert, die nicht nur zum Versagen der Therapie führen, sondern auch Auswirkungen auf das HBV-Impfstoffkonzept haben.

Das HBV zeigt die Besonderheit, dass ein Genom-Abschnitt gleichzeitig für zwei unterschiedliche virale Proteine kodiert. Dadurch erzeugen Mutationen im kodierenden Gen-Bereich der HBV reversen Transkriptase oft auch Mutationen im Genbereich für die viralen Oberflächenproteine (HBsAg). Experimentell konnte kürzlich gezeigt werden, dass mit dem kommerziellen Impfstoff erfolgreich geimpfte Schimpansen nicht sicher vor einer Infektion mit diesen speziellen Virus-Varianten geschützt waren. Diese Mutanten sind gut vermehrungsfähig und könnten sich daher auch in einer Population mit hohem Impfschutz, wie z.B. in Deutschland, recht problemlos verbreiten.


Weitere Entwicklungen des HBV-Impfstoffs

Schon lange vor dieser jüngsten, besorgniserregenden Beobachtung war bekannt, dass der zurzeit verfügbare Impfstoff der 2. Generation suboptimal und stark verbesserungsbedürftig ist. Die seit Mitte der 1980er Jahren begonnenen Entwicklung der HBV-Impfstoffe der 3. Generation, gingen mit einem besseren Verständnis der Molekularbiologie dieses Virus einher. Insbesondere durch die Arbeiten von Wolfram Gerlich am damaligen Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Göttingen wurde rasch klar, dass das kleine Oberflächenprotein des HBV (SHBs) nur eines von drei Oberflächenproteinen des HBV ist, welche die Hülle dieses Virus bilden. Das so genannte mittlere (MHBs) und das große (large) Oberflächenprotein (LHBs) bestehen ebenfalls aus dem Genabschnitt des kleinen Hüllproteins (SHBs), enthalten aber jeweils unterschiedlich große Verlängerungen, die so genannten PräS-Domänen. Dass diese PräS-Domänen der viralen Oberflächenproteine tatsächlich schützende Antikörper gegen eine HBV-Infektion induzieren konnten, zeigten Impfversuche mit chemisch synthetisierten PräS-Peptiden Ende der 1980er Jahre an Schimpansen.

Als alleiniger Impfstoff sind chemisch synthetisierte Peptide jedoch ungeeignet, da sie selbst bei guter Wirksamkeit viel zu teuer sind in der Herstellung von Millionen weltweit benötigter Impfstoffdosen. Die logische Konsequenz war, alle drei HBV-Oberflächenproteine in den bereits bestehenden Impfstoff gentechnisch zu integrieren und wiederum in Hefe-Zellen zu produzieren. Dies gelang jedoch wegen technischer Schwierigkeiten bei der Synthese der Proteine und der oft geringen Ausbeute in Hefezellen nur in wenigen Fällen. Erfolgreicher war hingegen die Produktion in Säugerzell-Linien. Hier erreichten verschiedene kleinere Hersteller einen Durchbruch. Die zunächst in geringer Menge hergestellten PräS-Impfstoffe der 3. Generation zeigten sich in vielen Studien gegenüber den HBV-Impfstoffen der 2. Generation rundum eindeutig überlegen. Bislang haben sich jedoch die großen Impfstoffhersteller dieser positiven Entwicklung leider noch nicht angeschlossen, und sie vertreiben weiterhin nur sub-optimale HBV-Impfstoffe der 2. Generation. Ein Umdenken wäre auch im Hinblick auf die von der WHO angestrebte weltweite Ausrottung dieses Virus von Nöten.


Experimenteller Nachweissysteme

Der eigentliche Schutzmechanismus durch die Impfung lag lange Zeit im Dunkeln. Dies lag daran, dass es in der Vergangenheit kein einfach verfügbares Zellkultursystem gab, an dem der Infektionsvorgang des HBV im Labor untersucht werden konnte. Es gab ebenfalls kein einfaches, kleines Tiermodell (z.B. Labor-Mäuse, Ratten), da das HBV nur den Menschen und einige wenige Primaten, wie z.B. den Schimpansen, infiziert. Dies erschwerte über Jahrzehnte hinweg die wissenschaftliche Erforschung des viralen Infektionsvorgangs und damit zwangsweise auch die Entwicklung und Testung von HBV-Impfstoffkonzepten, die eine optimale Verhinderung einer HBV-Infektion zum Ziel haben. Einzige Möglichkeit bestand in der Verwendung von primären Leberzellkulturen aus humanem Lebergewebe, das nach notwenigen Leberoperationen mit Einwilligung der Patienten zur Verfügung stand. Diese Kulturen sind jedoch aus verständlichen Gründen sehr schwer zu erhalten und oft für Infektionsversuche mit HBV im Labor ungeeignet.

Eine Lösung des Problems war erst Anfang der 1990er Jahre absehbar. Durch einen Zufallsbefund entdeckten chinesische Forscher, dass sich die in China beheimateten "Südost-Asiatischen Spitzhörnchen" (Tupaia belangeri, Ordnung Scandentia) mit menschlichem HBV infizieren ließen. Die Infektion dieser Tiere, die evolutionär als eine Vorstufe der Primaten betrachtet werden können, war jedoch sehr ineffizient. Weiterführende Studien von Josef Köck und Kollegen (Freiburg) zeigten, dass sich frisch isolierte primäre Hepatozytenkulturen dieser Tiere mit HBV erstaunlich gut infizieren lassen. Diese Befunde wurden am Institut für Medizinische Virologie von Dieter Glebe und Wolfram Gerlich im Rahmen des Ende 2008 ausgelaufenen Sonderforschungsbereichs "Infektionsmechanismen und Replikationsstrategien von Krankheitserregern" (SFB535) aufgenommen und über mehrere SFB-Antragsperioden erfolgreich weiterverfolgt. Möglich wurde dies, da an der Universität Gießen eine kleine Tupaiazucht bereits vorhanden war, die im Tierstall der Physiologie beherbergt ist und früher für Stressforschungen verwendet wurde. Mit Hilfe von Priv.-Doz. Dr. Klaus-Peter Valerius (Institut für Anatomie und Zellbiologie) und Priv.-Doz. Dr. Thomas Noll (Institut für Physiologie) konnte diese wertvolle Zucht aufrechterhalten werden und steht nun für diesen wichtigen Teil der HBV-Forschung zur Verfügung.

Mit Hilfe der Leberzellkulturen von Tupaias gelang es Dieter Glebe in den letzten Jahren, wesentliche virale und zelluläre Strukturen zu identifizieren, die für die Bindung und Aufnahme des HBV verantwortlich sind. Insbesondere konnte er zusammen mit seinem Heidelberger Kollegen Stephan Urban zeigen, dass ein Abschnitt der PräS1-Domäne auf der HBV-Oberfläche für die erste Kontaktaufnahme des Virus mit seiner Zielzelle wesentlich ist. Mit Hilfe dieser Befunde ist es den Gießener Virologen nun gelungen, die zentralen Bereiche der HBV-Oberflächenproteine zu kartieren, die in einem zukünftigen HBV-Impfstoff der 4. Generation eine optimale Wirksamkeit und einen verbesserten Schutz gegen HBV bieten können. Die Bedeutung dieses international anerkannten HBV-Infektionssystems geht weit über die Grundlagenforschung hinaus und erlaubt neben der Charakterisierung von HBV-Impfdurchbrüchen ebenso die Testung und Validierung von Desinfektionsmitteln und Inaktivierungsverfahren für HBV und die Entwicklung neuartiger antiviraler Medikamente für eine Verbesserung der Therapie von chronisch HBV-infizierten Patienten. Unter Vermittlung der Patentverwertungsagentur der mittelhessischen Hochschulen, TransMIT GmbH (web-link: http://www.transmit.de/zentren/zentrum.cfm?N=126) werden zurzeit in Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Pharmafirmen neue antivirale Therapiekonzepte für Hepatitis B an diesem Infektionssystem in Gießen erforscht.


Impfstudie in Palästina und Israel

Die Bedeutung eines optimal wirksamen HBV-Impfstoffs ist besonders vor dem Hintergrund eines hohen Prozentsatzes an chronisch-infizierten Patienten wesentlich. Während in Deutschland nur 0,5% der Bevölkerung chronisch mit HBV infiziert sind, liegt in Palästina die Häufigkeit bei 8%. HBV wird vor allem während der Geburt von der infizierten Mutter auf ihr Neugeborenes übertragen, das dann fast immer auch eine chronische Infektion entwickelt und ein sehr hohes Risiko hat, im mittleren Lebensalter an Leberversagen oder Leberkrebs zu versterben. Die momentan verfügbaren HBV-Impfstoffe der 2. Generation versagen jedoch in Palästina bei bis zu 25% der Neugeborenen von infizierten Müttern. In der jetzt begonnenen Studie wird daher im direkten Vergleich mit dem Impfstoff der 2. Generation bei der Hälfte der Neugeborenen ein in Israel und Palästina zugelassener Impfstoff der 3. Generation verwendet, der Antikörper gegen alle drei HBV-Oberflächenproteine erzeugt und bei Kleinkindern eine erwiesenermaßen sehr gute Schutzwirkung gezeigt hat.

Auf palästinensischer Seite wird die Studie von Frau Dr. Maysa Azzeh an der Al-Quds Universität, Ost-Jerusalem-Abu Dies, geleitet und in sechs Geburtszentren in der Westbank durchgeführt. Dr. Rifaat Safadi (Hadassah Universität, Jerusalem) leitet den israelischen Teil der Studie in vier Geburtszentren in Jerusalem und Nazareth. Bei einem Teil der geimpften Neugeborenen ist trotz der Impfung eine Hepatitis B-Infektion zu erwarten. Die dabei auftretenden Virusstämme sollen dann am Institut für Medizinische Virologie der Universität Gießen charakterisiert werden, um so Rückschlüsse auf das Impfversagen zu erhalten und gezielte Verbesserungen zu ermöglichen. Finanziert wird die Studie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der "Trilateralen Projekte", die laut DFG unter Beteiligung von deutschen, israelischen und palästinensischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch der Unterstützung einer friedlichen Entwicklung im Nahen Osten dienen sollen.


Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfram H. Gerlich
Priv.-Doz. Dr. Dieter Glebe

Justus-Liebig-Universität
Institut für Medizinische Virologie
Frankfurter Straße 107 - 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-41246
E-Mail: Dieter.Glebe@viro.med.uni-giessen.de

Dieter Glebe, Jahrgang 1968, studierte Biologie in Gießen und habilitierte sich nach seiner Promotion im Jahr 2007 im Fach Virologie am Fachbereich Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einer Arbeit zum Thema: "Struktur und Infektiosität des Hepatitis B-Virus". Im Jahr 2003 wurde er für seine Arbeiten am Tupaia-Infektionsmodell für Hepatitis B-Virus (HBV) mit dem Akademiepreis für Biologie der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ausgezeichnet. Seit 2005 widmet er sich mit seiner Arbeitsgruppe am Institut für Medizinische Virologie in Drittmittel-finanzierten Projekten u.a. der Aufklärung des Infektionsvorgangs des Hepatitis B-Virus.

Wolfram H. Gerlich, Jahrgang 1944, war nach Studium und Promotion im Fach Chemie in Frankfurt/Main ab 1973 in der Abteilung für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Göttingen tätig, seit 1988 als Professor für Molekulare Medizinische Mikrobiologie. Im Jahr 1982 entwickelte er dort zusammen mit Prof. Rainer Thomssen einen wirksamen HBV-Impfstoff der 1. Generation, der erfolgreich an über 3.000 Probanden getestet wurde. Seit 1991 ist er Direktor des Instituts für medizinische Virologie des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen und leitet seit 1995 das Nationale Konsiliarlabor für Hepatitis B und D des Robert-Koch Instituts.

Maysa Azzeh, Jahrgang 1971, studierte Biologie in Frankfurt/Main und wurde bei dem früher in Gießen tätigen Molekularbiologen und Virologen Prof. Dr. Gerd Hobom promoviert. Anschließend arbeitete sie noch zwei Jahre am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Gießen bei Prof. Dr. Trinad Chakraborty, bevor sie nach Palästina zurückkehrte.

Rifaat Safadi, Jahrgang 1965, ist ein international anerkannter klinischer Hepatologe an der Hadassah Universität, Jerusalem, Israel.


Literatur:

1) Glebe, D., Aliakbari, M., Krass, P., Knoop, E., Valerius, K.P., Gerlich, W.H. (2003). PreS1 antigen dependent infection of Tupaia hepatocyte cultures with human hepatitis B Virus. Journal of Virology. 77(17):9511-21.

2) Glebe, D., Urban, S., Knoop, E.V., Çag, N., Krass, P., Grün, S., Bulavaite, A., Sasnauskas, K., Gerlich, W.H. (2005) Mapping of the heaptitis B virus attachment site by infection-inhibiting preS1 lipopeptides using Tupaia hepatocytes. Gastroenterology 2005; 129:234-245.

3) Bremer, CM., Sominskaya, I., Skrastina, D., Pumpens, P., Abd El Wahed, A., Beutling, U., Frank, R., Fritz, HJ., Hunsmann, G., Gerlich, WH., Glebe, D. N-terminal myristoylation blocks accessibility of neutralizing epitopes in the preS1 attachment site of hepatitis B virus. (eingereicht)

4) Schaefer, S., Glebe, D., Gerlich, WH., Hepatitis B Virus. In: Doerr/Gerlich. Medizinische Virologie, Thieme Verlag, im Druck.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Fotos: Priv.-Doz. Dr. Glebe / Prof. Dr. Gerlich / Dr. Azzeh / Dr. Safadi

Abb. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme von isoliertem Australia-Antigen (HBsAg), das nicht-infektiöse, virus-ähnliche, 20 nm große Sphären bildet. Es besteht aus den drei Oberflächenproteinen des HBV (Größenmaßstab: 100 nm).

Abb. 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme der Hepatitis B-Viren (Durchmesser: 45 nm, Größenmaßstab: 100 nm).


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Quelle:
Spiegel der Forschung Nr. 2/Dezember 2009, 26. Jahrgang, S. 50-55
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen
Herausgeber: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2010