Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → PHARMA

RECHT/159: Prozessbeginn in Indien - Novartis-Klage gefährdet die "Apotheke der Armen" (Ärzte ohne Grenzen)


Ärzte ohne Grenzen - 11. September 2012

Prozessbeginn in Indien

Novartis-Klage gefährdet die "Apotheke der Armen"



Berlin/Neu-Delhi, 11. September 2012. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert das juristische Vorgehen des Pharmakonzerns Novartis gegen das indische Patentrecht. Ein Erfolg der Klage, die ab heute vor dem Obersten Gerichtshof des Landes verhandelt wird, hätte nach Einschätzung der Organisation verheerende Auswirkungen auf den Zugang von Patienten weltweit zu lebenswichtigen Medikamenten. Indien gilt als "Apotheke der Armen", weil Nachahmermedikamente aus indischer Produktion die Versorgung mit bezahlbaren Arzneimitteln sicherstellen.

"Seit nunmehr sechs Jahren versucht Novartis, Indien unter Druck zu setzen. Der Konzern will eine Bestimmung des Patentrechts ändern, die den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten sichert statt des unternehmerischen Profits", sagt Leena Menghaney von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Indien. "Das gegenwärtige Patentsystem in Indien verhindert, dass Pharmaunternehmen Patentmonopole mit immer neuen Patenten auf das gleiche Medikament künstlich verlängern."

Die Klage ist in einer langen Reihe von erfolglosen Prozessen der letzte Versuch des Konzerns, Abschnitt 3d des indischen Patentrechts anzufechten. Die Klausel besagt im Einklang mit internationalen Welthandelsregeln, dass eine neue Formulierung eines bekannten Medikaments lediglich dann ein Patent verdient, wenn sie eine deutlich erhöhte therapeutische Wirksamkeit gegenüber existierenden Wirkstoffkombinationen zeigt. Die Bestimmung wurde speziell entwickelt, um der gängigen Praxis der Ausweitung von Patentmonopolen für lediglich geringfügige Veränderungen bekannter Wirkstoffkombinationen - "Evergreening" genannt - zu begegnen. Dadurch wird verhindert, dass Pharmafirmen die Preise künstlich hoch halten und somit Patienten in ärmeren Ländern den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten versperren. Auf der Grundlage des Abschnitts 3d wurde im Jahr 2006 einer Patentanmeldung von Novartis für das Krebsmedikament Glivec® nicht stattgegeben. Die Anmeldung bezog sich lediglich auf eine neue Formulierung des zu Grunde liegenden Moleküls, das bereits patentiert war.

"Die Bedeutung des Falles für den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten geht weit über Indien und über ein einzelnes Präparat hinaus", sagt Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne in Deutschland. "Eine zentrale Quelle für bezahlbare Medikamente könnte versiegen, wenn Indien zukünftig gezwungen wäre, deutlich mehr Patente zu gewähren als bislang. Die Ausweitung der Behandlung von HIV/Aids auf inzwischen acht Millionen Menschen ist nur durch generische Medikamente aus Indien möglich geworden. Sie haben den Preis um 99 Prozent gesenkt. Die Klage von Novartis stellt damit eine ernste Gefahr für das Leben von Millionen von Menschen in ärmeren Ländern dar, die auf die bezahlbaren Medikamente aus Indien angewiesen sind."


Hintergrund:

Im Jahr 2006 stellte Novartis die Verfassungsmäßigkeit des Abschnitt 3d in Frage. Als Reaktion initiierte Ärzte ohne Grenzen die Kampagne "Novartis - Drop the Case" mit dem Ziel, den Pharmakonzern dazu zu bewegen, seine Klage zurückzuziehen. Novartis ließ die Klage nicht fallen, verlor den Prozess aber 2007. Im gegenwärtigen Gerichtsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof versucht der Pharmakonzern eine spezifische Auslegung des Abschnitts 3d herbeizuführen, um der Schutzklausel die Substanz zu entziehen. Es wird erwartet, dass das Urteil frühestens in einigen Wochen gefällt wird.

Weitere Informationen:
http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/StopNovartis

*

Quelle:
Ärzte ohne Grenzen
Pressemitteilung vom 11. September 2012
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Pressestelle: Telefon: 030/22 33 77 00
E-Mail: office@berlin.msf.org
Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2012