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BERICHT/025: E-CARDstopp - taktische Versprechen ... (SB)


Ein Trojanisches Pferd

Vortrag von Dr. med. Klaus Günterberg zum Notfalldatensatz auf der eGK

Treffen der Aktion "Stoppt die e-Card!" am 10. April 2015 in Hamburg


Dr. Günterberg hält gelbe Arztbücher in Händen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Alternativen zum Notfalldatensatz - Klaus Günterberg präsentiert Arztbücher
Foto: © 2015 by Schattenblick

Kampf den Blockierern! Auf diesen kurzen Nenner läßt sich die Stoßrichtung eines Gesetzentwurfs für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (e-Health-Gesetz) [1] bringen, der am 27. Mai vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Dieses Gesetzesvorhaben ist seit Bekanntgabe des Entwurfs im Januar genauso umstritten wie das 2003 beschlossene e-Card-Projekt und die mit ihm untrennbar verknüpfte telematische Großinfrastruktur. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe wie auch die gesamte Bundesregierung scheinen nicht gewillt zu sein, sich bei diesem Projekt einer breitangelegten, die zahlreichen Argumente und Einwände seiner Kritiker ausführlich berücksichtigenden öffentlichen Debatte zu stellen, wie es bei einer so tief in die persönlichen und gesundheitlichen Belange jedes einzelnen Bundesbürgers eingreifenden Veränderung nach Ansicht vieler Menschen angemessen wäre.


Mobilmachung gegen Kritiker - Kabinett beschließt e-Health-Gesetzentwurf

Einem in aller Öffentlichkeit geführten Streit-, Meinungsbildungs- und Diskussionsprozeß soll sogar aktiv entgegengewirkt werden, ist doch das soeben vom Kabinett beschlossene e-Health-Gesetz allem Anschein nach als Kampfansage an die sogenannten Verweigerer und Blockierer zu verstehen, wie all die Menschen bezeichnet werden, die nicht bereit sind, sich am e-Card-Projekt wegen der damit aus ihrer Sicht für sie verbundenen Gefährdungen und möglichen Nachteile zu beteiligen. In einer am Tag des Kabinettsbeschlusses veröffentlichten Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe [2]:

Viel zu lang wurde schon gestritten. Jetzt gehört endlich der Patient und der konkrete Nutzen der elektronischen Gesundheitskarte für den Patienten in den Mittelpunkt. Deshalb machen wir Tempo durch klare gesetzliche Vorgaben, Fristen und Anreize, aber auch Sanktionen, wenn blockiert wird. Es gibt also viele gute Gründe, künftig Termine einzuhalten, aber keine Ausreden mehr - weder für die Selbstverwaltung noch für die Industrie.

Die mutmaßlichen Blockierer werden demnach nicht nur in den Reihen der Versicherten bzw. Patienten verortet. Auch den Selbstverwaltungskörperschaften im Gesundheitswesen sowie den beteiligten Unternehmen drohen Sanktionen, wenn sie ihre Leistungspflichten nicht fristgerecht erfüllen (können). Wo die Peitsche finanzieller Einbußen gegen die Mehrheit der am e-Card-Projekt beteiligten oder von ihm betroffenen Menschen, Organisationen, Unternehmen und Verbände geschwungen wird, darf das Zuckerbrot nicht fehlen. Neben finanziellen Anreizen wird der konkrete Nutzen, den die elektronische Gesundheitskarte den Patientinnen und Patienten angeblich bieten würde, immer wieder in den Mittelpunkt gestellt. Bundesgesundheitsminister Gröhe zufolge ist er "enorm" [2]:

Wenn es nach einem Unfall schnell gehen muss, soll der Arzt überlebenswichtige Notfalldaten sofort von der Gesundheitskarte abrufen können. Und wir wollen, dass ein Arzt direkt sehen kann, welche Medikamente sein Patient gerade einnimmt. So können gefährliche Wechselwirkungen verhindert werden.

Wer möchte nicht, daß den Notfallhelfern, wenn es hart auf hart kommt, alle überlebenswichtigen Informationen sofort zur Verfügung stehen? Sollten, ja müßten Datenschutzbedenken nicht zurückstehen, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht? Kaum jemand wird sich einer solchen Argumentation entziehen können, wird hier doch tief in die Kiste propagandistischer Mittel gegriffen, indem starke Gefühle - Todesängste etc. - angesprochen werden, wo nüchterne und sachbezogene Auseinandersetzungen und fachliche Diskussionen angezeigt wären.

Angesichts der aktuellen Zuspitzung der auf die rigorose Durchsetzung dieses umstrittenen Großprojekts gerichteten Maßnahmen wird die Aufklärungsarbeit kritischer Ärzte und Ärztinnen, engagierter Datenschutz- und IT-Spezialisten sowie betroffener Patientinnen und Patienten, die sich schon seit Jahren in Bündnissen und Initiativen zusammengeschlossen haben, nur um so wichtiger. Auf dem Treffen der "Aktion Stoppt die e-Card", das am 10. April in Hamburg im Hotel Barceló stattfand, wurde unter anderem auch der behauptete Nutzen, den die e-Card und insbesondere der auf ihr geplante Notfalldatensatz haben soll, einer kritischen Prüfung unterzogen - mit gegenüber den Behauptungen der Betreiber vernichtenden bzw. entlarvenden Ergebnissen.


S. Lüder in Großaufnahme - Foto: © 2015 by Schattenblick

Silke Lüder warnt vor dem Abbruch reanimierender Maßnahmen
Foto: © 2015 by Schattenblick


Notfalldatensatz? Fragen Sie nach Alternativen!

Der Notfalldatensatz gehört zu den Teilen des e-Card-Projekts, die nach dem nun vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf mit besonderem Druck durchgesetzt werden sollen. Ab 2018 soll es - auf Wunsch der Patienten - möglich sein, diese Daten auf der Gesundheitskarte zu speichern. Der Gesellschaft für Telematik (Gematik), die für die technischen Voraussetzungen der digitalen medizinischen Infrastruktur, den Aufbau eines (angeblich) sicheren Datenaustauschs sowie die Anwendungen der e-Card zuständig ist, werden gesetzliche Fristen gesetzt, bei deren Nicht-Einhaltung ihr finanzielle Kürzungen drohen.

Die Gematik ist als GmbH organisiert, ihre Gesellschafter sind die Spitzenverbände des deutschen Gesundheitswesens - also der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen, die Bundesärztekammer, die Bundeszahnärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, der Deutsche Apothekerverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Die Rechtsaufsicht über die Gematik liegt beim Bundesministerium für Gesundheit, also dem federführenden Ministerium bei dem neuen Gesetzesvorhaben, durch das unter anderem auch die Gematik - durch Fristen und Sanktionsandrohungen - unter Druck gesetzt werden soll. Im Interesse der Patientinnen und Patienten, wie Gröhe nahelegt?

Silke Lüder, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Hamburg und Mitorganisatorin des Aktionsbündnisses Stoppt-die-e-Card, ist da anderer Meinung. Sie wies auf dem Aktionstreffen darauf hin, daß der Notfalldatensatz, würde er wie geplant auf der e-Card realisiert werden, sogar verheerende Folgen haben könnte. Wenn auf der Karte steht, daß der Patient eine Patientenverfügung abgegeben und er darin erklärt hat, daß er, wenn er schwer krank ist, nicht lange beatmet werden möchte oder ähnliches, soll das unter Umständen auf rettungsärztliche Einsätze im Verlauf eines Notfalleinsatzes einen Einfluß haben können.

So sei ein Szenario denkbar, daß während einer Reanimation eine dementsprechende Willenserklärung des Patienten auf der eGK aufgefunden und gelesen wird. Reanimationsmaßnahmen in einer derartigen Akutsituation unter solchen Umständen abzubrechen, sei in ihren Augen, so Silke Lüder, "völlig absurd und völlig unethisch". Eine solche Entscheidung könne niemals von einem fremden Notarzt im Rettungsdienst, sondern frühestens im Krankenhaus unter Einbeziehung der Angehörigen getroffen werden. Daß dieses Konzept von der Bundesärztekammer entwickelt wurde, sei absolut katastrophal.

Auf dem Aktionstreffen präsentierte sie den interessierten Anwesenden eine Alternative, wenn es, wie bei der elektronischen Gesundheitskarte behauptet, um die Zurverfügungstellung wichtiger medizinischer Daten im Notfall geht. Der Europäische Notfall-Ausweis (ENA) ist ein auf Handgröße faltbarer gelber Ausweis in allen wichtigen europäischen Sprachen, in den notfallrelevante medizinische Daten eingetragen werden können. Dabei handelt es sich, wie Silke Lüder erläuterte, um ein Projekt der Europäischen Union aus dem Jahre 1987, das auf Initiative des EU-Parlaments in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsministerien der Mitgliedsländer - also auch des Bundesgesundheitsministeriums - eingeführt wurde.

Der ENA wurde nicht als amtlicher Ausweis konzipiert, sondern stellt ein von den Bürgerinnen und Bürgern freiwillig ausgefülltes Dokument dar, das alle Angaben enthält, die im Falle einer plötzlichen schweren Krankheit oder eines Unfalls überlebenswichtig sein könnten. Im Gesundheitswesen wird der gelbe Ausweis längst nicht mehr ausgelegt oder verbreitet, das Aktionsbündnis hingegen bewirbt ihn stark. Sie habe ein solches Dokument schon für viele ihrer Patientinnen und Patienten ausgefüllt, berichtete Silke Lüder, was nicht allzu lange dauert und den Effekt habe, daß im Notfall jedem Arzt in allen EU-Staaten die Informationen vorliegen.

Beim Notfalldatensatz der e-Card handele es sich um etwas anderes, er sei "praktisch eine Patientenakte im Kleinformat". Dem e-Health-Gesetzentwurf zufolge wird er für Ärztinnen und Ärzte auch juristische Folgen haben. Wie die Referentin darlegte, müsse jeder Arzt, der Kenntnis über notfallrelevante Informationen erhalte, den Notfalldatensatz entsprechend aktualisieren. Ärzte sollen eine Qualitätssicherung und Plausibilitätskontrolle durchführen und prüfen, ob die auf der Karte vorhandenen, von anderen Personen oder Kliniken eingegebenen Daten korrekt sind. Das könne ein schönes Beschäftigungsfeld für Medizinrechtsanwälte werden, so Lüders Einschätzung, weil das nicht so einfach, genaugenommen gar nicht durchzuführen sei.


K. Günterberg in Großaufnahme - Foto: © 2015 by Schattenblick

Unerfüllbare Erwartungen an den Notfalldatensatz
Foto: © 2015 by Schattenblick


Der Notfalldatensatz - ein Aushängeschild der Betreiber

Auch Dr. Klaus Günterberg, Facharzt für Frauenheilkunde in Berlin, sprach auf dem Aktionstreffen über - oder vielmehr gegen - den Notfalldatensatz, den er als Aushängeschild der Betreiber des e-Card-Projekts bezeichnete. Die Botschaft sei einfach: Wollt ihr bessere Hilfe im Notfall, müßt ihr auch die e-Card und die bundesweite Vernetzung akzeptieren. Der Notfalldatensatz sei ein Trojanisches Pferd, ist er doch überhaupt nicht in der Lage, die mit ihm geweckten Erwartungen zu erfüllen.

Die Entwickler dieses Konzeptes hätten sich zu Notfällen drei Szenarien vorgestellt: die Behandlung durch den Rettungsdienst, die Rettungsstelle im Krankenhaus oder in der Arztpraxis. Es sei geplant, daß der Notfalldatensatz im Klartext alle Informationen zu den Krankheiten und Medikamenten, die der Betreffende eingenommen hat oder derzeit einnimmt, und alle Einzelheiten zu Unverträglichkeiten bei Arzneimitteln enthält. Auch sollen, was nach Auffassung Dr. Günterbergs in einem Notfalldatensatz gar nichts zu suchen habe, Angaben zu Schwangerschaften gemacht werden. Informationen über Implantate, Herzschrittmacher und dergleichen sollen ebenfalls eingetragen werden, desweiteren Angaben zu Kommunikations- und Sprachstörungen, Schwerhörigkeit und ähnlichem, und natürlich werden auch die behandelnden Ärzte, im Notfall zu benachrichtigende Personen und die letzte Aktualisierung vermerkt.

All das soll - eines gar nicht so fernen Tages, nämlich, wie im e-Health-Gesetz vorgesehen, ab 2018 - auf dem kleinen Chip der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können. Um zu veranschaulichen, daß die Datenträger immer kleiner und leistungsstärker werden, präsentierte der Referent verschiedene Disketten und einen USB-Stick. Eine 8-Zoll-Diskette, wie sie ab 1987 gebräuchlich war, habe eine Speicherkapazität von 180 KB, ein heutiger USB-Stick von bis zu 128 GB. Auf die Frage nach der Leistungsstärke des e-Card-Chips habe der Referent nur ausweichende Antworten erhalten: Die Gematik habe an die Krankenkassen verwiesen, die an den Hersteller, der wiederum an die Krankenkassen und so weiter.

Im Internet sei er dann auf die Zahl 32 KB gestoßen und weitere 2,44 KB, die für den Notfalldatensatz vorgesehen seien. Wenn man bedenkt, daß man für eine einzige Schreibmaschinenseite 28 KB bräuchte, werde schnell klar, daß auf den im vergangenen Jahr ausgegebenen Karten die Versichertenstammdaten (Name, Adresse, Telefonnummer usw.) untergebracht werden können, nicht jedoch die wesentlich umfangreicheren medizinischen Daten, die für den Notfalldatensatz vorgesehen sind. Den Fachleuten bei der Gematik sei natürlich bewußt, daß die geplanten Anwendungen mit den gegenwärtigen Chips nicht funktionieren werden, weshalb neue Karten mit 1 oder sogar 100 MB bereits in Vorbereitung seien. Bei 60 Millionen Versicherten würde das abermals hohe Kosten verursachen, da jede Kartenausgabe mindestens 720 Millionen Euro koste.

Weitere Kosten entstünden bei der Dateneingabe, die durch die Hausärzte erfolgen soll. Dazu stellte der Referent folgende Rechnung auf: Es gäbe ungefähr 146.000 ambulant tätige Ärzte, unter ihnen 50.000 Hausärzte. Die für den Notfalldatensatz erforderlichen Eintragungen entsprächen ungefähr dem, was er in seiner Praxis heute schon für zumeist ältere Patienten, die dies bräuchten, in einem Arztbuch ausfülle, nämlich alle notfallrelevanten Informationen (frühere Krankheiten, Krankenhausaufenthalte, Operationen, Medikamente, Unverträglichkeiten, Impfungen etc.). Dies würde, unabhängig davon, ob man es direkt in ein solches Buch oder elektronisch über die Tastatur eintrage, etwa eine Viertelstunde Zeit kosten.

Wenn von 80 Millionen Bundesbürgern schätzungsweise die Hälfte einen Notfalldatensatz bräuchte, wären das 10 Millionen zusätzlich zu leistende Arztstunden. Auf alle ambulant tätigen Ärzte verteilt, hätte jeder 69 Stunden zu arbeiten, kämen nur die Hausärzte in Betracht, wären dies 202 Stunden pro Kopf. Da laut Ärztlicher Gebührenordnung (GOÄ) eine Arztstunde 120,66 Euro kostet, würden allein durch die Eingabe der Notfalldaten Kosten in Höhe von 1,207 Milliarden Euro entstehen. Niemand könne von einem Arzt erwarten, 200 Stunden unbezahlte Arbeit zu leisten. Die tatsächlichen Kosten des Notfalldatensatzes werden natürlich noch weitaus höher ausfallen, da in dieser Zahl weder die Projektplanung, an der viele Programmierer jahrelang arbeiteten, noch die Erprobungskosten oder die Lesegeräte etc. enthalten sind.


K. Günterberg während seines Vortrags, neben ihm Kai-Uwe Steffens und Manfred Lotze - Foto: © 2015 by Schattenblick

Unbeugsames Engagement - Klaus Günterberg, Kai-Uwe Steffens (l.) und Manfred Lotze (r.)
Foto: © 2015 by Schattenblick


Das e-Card-Projekt ein weiteres Milliardengrab?

Wenn beim Notfalldatensatz als einer von vielen geplanten Anwendungen der e-Card schon so hohe Kosten entstehen, wie hoch sind dann wohl die Kosten des gesamten Projektes? Ursprünglich sei von 700 Millionen Euro die Rede gewesen, was schnell auf 1,6 Milliarden Euro korrigiert worden sei. Der Dachverband der Gesetzlichen Krankenkassen habe diese Frage mit der Angabe, die e-Card habe ihn bislang eine Milliarde Euro gekostet, nach Auffassung des Referenten heruntergespielt. Demgegenüber sei die Aussage eines Sprechers der Gematik, im ungünstigsten Fall würden sich die Kosten der e-Card seit 2003 - ohne den Notfalldatensatz - auf 14,1 Milliarden Euro belaufen, schon realistischer. In einer Zehnjahresstudie würden die Patienten, um die es Gröhe zufolge angeblich geht, und der Nutzen, den die e-Card für sie haben soll, schon überhaupt nicht mehr erwähnt. Ärzte, Apotheker und Krankenhäuser werden der Studie zufolge mit Zusatzkosten belastet, den Krankenkassen kämen ungeheure Einsparungen zugute. Für das seit 12 Jahren laufende e-Card-Projekt werden hier die bisher aufgelaufenen Kosten auf 14,5 Milliarden Euro beziffert (ohne Notfalldatensatz).

Zu den immensen Kosten und dem mehr als fraglichen Nutzen komme jedoch noch ein weiteres Problem hinzu. Die e-Card bzw. der auf ihr hinterlegte Notfalldatensatz könne für die Patientinnen und Patienten sogar gefährlich werden. Der Notfalldatensatz wird - wie auch das elektronische Rezept - für die Patienten nicht lesbar sein. Dadurch falle jedoch die Eigenkontrolle durch die Patienten weg, die beim Rezept wie beim Notfalldatensatz enorm wichtig sei. Es gäbe Medikamente, die sehr ähnlich klingende Namen haben. Wie leicht könnte es da zu Verwechslungen kommen? Bei Aspirin beispielsweise gäbe es sehr unterschiedliche Dosierungen. Falsche Angaben könnten hier sogar lebensgefährlich werden, weil eine zu hohe Dosierung zu inneren Blutungen führen könne.


Helfen Notfalldaten im Notfall?

Nach Ansicht Dr. Günterbergs ist jedoch auch der unmittelbare Nutzen der Daten in Notfällen äußerst begrenzt. Wozu wird bei einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder einem Trauma der Notfalldatensatz gebraucht? In Notfällen, wie er sie jede Woche erlebe, müsse er selbst dann, wenn ein Arztbuch oder Notfallheft vorliege, den Patienten fragen, welche Medikamente er nimmt, was gewesen ist etc. Da würde er einen solchen Datensatz kaum vermissen, der würde vielleicht in einem von tausend Fällen helfen. Und was könne der Notfalldatensatz bei Verbrennungen, Vergiftungen oder Verkehrsunfällen, bei denen es vor allem auf den schnellstmöglichen Transport ins Krankenhaus ankomme, schon ausrichten? Die Rettungsdienste müssen Menschen bergen, die hätten gar nicht die Zeit, den Notfalldatensatz zu lesen.

Aufwand und Nutzen stünden also in einem sehr ungünstigen Verhältnis. Der Referent schloß seinen Vortrag mit der Frage, wie denn nun mit einem solchen Projekt umzugehen sei. Solle man weiterhin gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen oder endlich damit aufhören, wie es in anderen Projekten wie beispielsweise dem Berliner Flughafen Schönefeld bereits geschehen sei?

Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt dürfe darüber nicht vergessen werden. Die Notfalldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte sollen gegen den Verlust der Karte durch eine zentrale Speicherung der Daten geschützt werden, was die Vernetzung aller am Gesundheitswesen beteiligten Einrichtungen erfordert. Spätestens über den Notfalldatensatz werde dann also genau das erreicht, wogegen die Kritikerinnen und Kritiker heute schon Sturm laufen: die bundesweite Vernetzung und Erfassung der Gesundheitsdaten über jeden Bürger.


Plakate mit den Aufschriften 'Wer darf alles über uns wissen?', 'Gesundheitsdaten in der e-Card-Cloud so 'sicher' wie in Asse-Fässern' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Aufklärung und Agitation - in Wort, Schrift und Bild dem e-Card-Projekt entgegentreten
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe auch unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN → REPORT:
BERICHT/024: E-CARDstopp - Alternativen human und wirtschaftlich ... (SB)

[2] http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2015/meldung-e-health-gesetz.html


Bisherige Beiträge zum Treffen der "Aktion Stoppt die e-Card" am 10. April 2015 im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN → REPORT:

BERICHT/024: E-CARDstopp - Alternativen human und wirtschaftlich ... (SB)
INTERVIEW/037: E-CARDstopp - Verwaltungs- und Wirtschaftsforschung ...    Wolfgang Linder im Gespräch (SB)

30. Mai 2015


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