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STUDIE/354: Wartezeiten in Praxen hängen auch vom Versichertenstatus ab (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2012

Studie
Wartezeiten in Praxen hängen auch vom Versichertenstatus ab

Von Dirk Schnack



Der "Mythos 2-Klassenmedizin" lässt sich durch eine Studie von Prof. Jonas Schreyögg von der Uni Hamburg weder be- noch widerlegen.

Schreyögg und seine Ko-Autoren haben in der Studie festgestellt, dass privat Versicherte schneller einen Termin in den Praxen bekommen und mit geringerer Wartezeit rechnen müssen. Zugleich spielen aber auch das Einkommen des Patienten und die Gründe für den Arztbesuch eine Rolle. Für die Unterschiede könnten nach Vermutung der Studienautoren auch monetäre Gründe verantwortlich sein. Neben der besseren PKV-Honorierung führen sie auch die bessere Kostenübernahme für Folgeleistungen an.

Bundesweite Aufmerksamkeit hatte die Studie im vergangenen Monat durch eine Pressemitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erfahren, weil diese darin den "Mythos 2-Klassenmedizin" widerlegt sah. Diese mit Zitat von KBV-Chef Dr. Andreas Köhler versehene Sichtweise hatten verschiedene Medien auch so transportiert. Ein Blick in die Studie macht allerdings deutlich, dass die Autoren diese Interpretation nicht teilen - sie sehen in den Ergebnissen aber auch keinen Beleg für die je nach Interessenlage von der Politik immer wieder behauptete Feststellung einer 2-Klassenmedizin.

Die wichtigsten Ergebnisse der bislang nur auf englisch vorliegenden Studie:

- Auf einen Facharzttermin warten privat Versicherte in Deutschland im Durchschnitt sieben Tage, gesetzlich Versicherte dagegen 16 Tage. Damit reduziert sich die Wartezeit für privat Versicherte immerhin um 56‍ ‍Prozent gegenüber gesetzlich versicherten Patienten. Bei Hausärzten beträgt dieser Unterschied 39 Prozent: Gesetzlich Versicherte warten im Durchschnitt 2,3 Tage auf einen Termin, privat Versicherte 1,4 Tage. Damit gilt der Versichertenstatus als wichtiger Einflusswert für den Arztzugang. "Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Mitgliedschaft in einer privaten Krankenversicherung eine aussagekräftige Rolle für den Zugang zur Versorgung spielt", heißt es in der Studie. Der Unterschied wird mit den knapperen Ressourcen bei den Fachärzten erklärt.

- Im Wartezimmer sind die Unterschiede bei Hausärzten größer als bei Fachärzten. Gesetzlich Versicherte warten in Hausarztpraxen im Durchschnitt 41 Minuten auf den Arzt, privat Versicherte müssen sich im Durchschnitt 31 Minuten lang gedulden. Bei den Fachärzten betragen die Wartezeiten 36 (GKV) bzw. 29 Minuten. Die Studienautoren führen dies in erster Linie auf die bessere Planbarkeit von Behandlungen bei Fachärzten zurück, eine Terminsprechstunde ist nach ihrer Ansicht in Hausarztpraxen schwerer umsetzbar.

- Zum Einkommen stellen die Studienautoren einen moderaten Einfluss für die Terminvergabe in Hausarztpraxen fest, bei den Fachärzten ist dieser Einfluss schwächer. Wer über ein Haushaltseinkommen von über 2.000 Euro im Monat verfügt, bekommt in Hausarztpraxen im Durchschnitt einen Tag früher einen Termin als Patienten mit einem Haushaltseinkommen von unter 500 Euro. In Facharztpraxen schlägt sich der Einfluss des Einkommens erst ab einem Haushaltseinkommen von mehr als 5.000 Euro spürbar in kürzerer Wartezeit nieder. Höheres Einkommen verkürzte übrigens auch die Wartezeit in den Wartezimmern sowohl in Haus- als auch in Facharztpraxen leicht. Die Studienautoren führen als möglichen Grund an, dass besser verdienende Patienten empfänglicher sein könnten für privat zu zahlende Zusatzleistungen.

- Auch die Gründe für den Arztbesuch sind wichtige Einflussgrößen auf die Wartezeit, allerdings spielen sie eine deutlich geringere Rolle als der Versichertenstatus. Patienten mit akuten ernsten Erkrankungen bekommen in Hausarztpraxen schneller einen Termin als Patienten, die nur über akute Beschwerden klagen, chronisch krank sind oder andere Gründe angeben. Der Unterschied beträgt im Durchschnitt einen Tag. Im Wartezimmer gelten dann andere Prioritäten. Mit ernsten akuten Erkrankungen wartet man in Hausarztpraxen vier bis fünf Minuten länger als andere Patienten. Die Studienautoren führen dies darauf zurück, dass die ernsten Akutfälle sich oftmals keinen Termin besorgen konnten.

Insgesamt betonen die Autoren, dass die deutschen Wartezeiten im internationalen Vergleich sehr gering sind. "In anderen Ländern wird die Wartezeit nicht in Tagen, sondern in Monaten gezählt", gab Schreyögg zu bedenken. Nach Aussage der Autoren liegt zudem keinerlei Evidenz vor, dass eine längere Wartezeit von einigen Tagen einen negativen Einfluss auf die Behandlungsqualität haben könnte.

Um die in der Studie festgestellten Ungleichgewichte beim Zugang zur Versorgung auszugleichen, schlagen sie als wichtigstes Mittel eine Angleichung der Vergütung vor. Denn die im Durchschnitt um den Faktor 2,28 höhere Vergütung für privat Versicherte in Deutschland scheint nach ihren Ergebnissen einen großen Einfluss auf den Arztzugang im ambulanten Sektor zu haben. Als weitere Instrumente für eine Angleichung kommen nach ihrer Ansicht Online-Plattformen infrage, über die Patienten freie Arzttermine belegen können. Diese Termine könnten unabhängig vom sozioökonomischen Status vergeben werden. Erste Modelle hierzu laufen derzeit in den USA, Kanada und Großbritannien. Ob sie zu einer spürbaren Angleichung zwischen den Versichertengruppen und zu einem schnelleren Arztzugang führen können, ist aber noch nicht belegt. Erste Erfahrungen mit solchen Online-Plattformen sind in Deutschland noch nicht weit über die Erprobungsphase hinaus. So arbeitet etwa das Hamburger Ärztenetz seit einiger Zeit mit einer Online-Plattform für Termine, die aber nur über die Arztpraxen zugänglich ist.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201203/h12034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt März 2012
65.‍ ‍Jahrgang, Seite 52 - 53
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2012