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SUCHT/718: Computersucht - Wenn das Gaming aus dem Ruder läuft (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 12, Dezember 2022

Wenn das Gaming aus dem Ruder läuft

von Martin Geist


COMPUTERSUCHT. Die krankhafte Nutzung von Computerspielen oder Sozialen Medien nimmt auch in Schleswig-Holstein zu. Die Veranstaltung "DAK im Dialog" in Kiel zeigte u. a., was dagegen unternommen wird.


Als "teilweise erschreckend" bezeichnete Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK, das Ausmaß, in dem junge Leute ihre Zeit mit virtuellen Medien verbringen. Bei der fünften Auflage der Reihe "DAK im Dialog" wies Storm auf die erheblichen gesundheitlichen Folgen von Gaming und anderen ausufernden Nutzungsformen hin - in einem Konferenzraum einer Kieler Arena, die ausgerechnet nach einem Online-Casino benannt ist.

Storms Angaben bestätigte Suchtforscher Prof. Rainer Thomasius. Nach seinen Angaben sind Kinder und Jugendliche, die es mit Computerspielen wie FIFA, Fortnite, Minecraft und Co. übertreiben, oft zu dick oder zu dünn, hinken oftmals motorisch hinterher, fühlen sich dauergestresst, haben Schlafstörungen und andere Leiden.

Thomasius ist ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und verantwortlich für eine in Zusammenarbeit mit der DAK vorgenommenen Studie, die zwischen den Jahren 2019 und 2021 mehr als 1.200 Zehn- bis 17-Jährigen auf die Bildschirme geschaut hat. Heraus kam, dass die Quote der pathologischen Nutzung digitaler Spiele von 2,7 auf 4,1 % und damit um fast 52 % gestiegen ist. Das entspricht laut Thomasius knapp 220.000 überwiegend männlichen Betroffenen. Ähnlich sieht es beim Umgang mit Sozialen Medien aus, sodass nach Einschätzung des Experten von etwa 500.000 jungen Leuten mit ernsthaften Problemen ausgegangen werden muss.

Gefährdet ist nach den Erfahrungen aus der ambulanten und stationären Praxis, wer eher ängstlich ist und soziale Kontakte vergleichsweise unbeholfen aufbaut oder pflegt. Auch Familien, in denen die Kommunikation schlecht läuft, fördern offenbar das Risiko krankhafter Zockerei. Die Corona-Zeit scheint dabei die Online-Nutzung deutlich gesteigert zu haben, ein entsprechender Rückgang ist aber trotz der inzwischen fast vollständigen Lockerungen von Kontaktbeschränkungen nicht zu verzeichnen.

Was den Umgang mit dem Problem betrifft, sieht Gesundheits- und Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) das Land Schleswig-Holstein "relativ gut aufgestellt". Immerhin verfüge man über elf Fachberatungsstellen, an die sich Betroffene oder Angehörige wenden können, wenn es um Abhängigkeit von Glücksspielen oder Medien geht.

An Kapazitäten für die ambulante oder auch stationäre Psychotherapie mangelt es hingegen durchaus. "Es ist manchmal schwer zu ertragen, dass junge Leute monatelang auf ein Erstgespräch warten müssen", beschrieb Anna Schwitzer von der Stadtmission, die in Kiel für die Fachberatungsstelle zuständig ist. Auch Thomasius sprach von "enormen Defiziten" im nördlichen Bundesland.

Man sei sich "sehr bewusst", dass es im Gegensatz zu den Bemühungen um Prävention in diesem Bereich weniger gut aussieht, räumte daraufhin die Ministerin ein. "Wir sind dran", versicherte sie und bat zugleich um Verständnis dafür, dass aus finanziellen Gründen und mindestens ebenso wegen des Fachkräftemangels die Bäume nicht so schnell in den Himmel wachsen.

Ihre These, dass Medienkompetenz gefordert sei, wenn der Umgang mit Online-Angeboten nicht aus dem Ruder laufen soll, teilte Henning Fietze vom Offenen Kanal Schleswig-Holstein ( OKS-H) voll und ganz. "Wir sind lange vor den echten tiefen Problemen da", verwies er auf landesweit jährlich mehr als 1.100 Veranstaltungen mit überwiegend medienpädagogischem Charakter.

Als Beispiel verwies Fietze auf das zusammen mit der DAK etablierte Projekt SMARD (Spiel und Medien aber richtig dosiert), das unter anderem mit Schülermedienlotsen erreichen soll, dass digitale Spiele nicht sauertöpfisch an den Pranger gestellt werden, sondern ein vernünftiger Umgang damit eingeübt wird.

Nicht bloß zufällig ist mit diesem Projekt ein separater Elternabend verbunden, denn auch die haben offensichtlich vielfach eine ordentliche Portion Nachhilfe nötig. Laut Studie machen 50 % der Mütter und Väter ihrem Nachwuchs keine Vorgaben zum zeitlichen Umfang der Bildschirmpräsenz, ein Drittel verzichtet sogar auf jegliche inhaltliche Festlegungen.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 12, Dezember 2022
75. Jahrgang, Seite 24
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. Januar 2023

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