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INITIATIVE/042: Medizinische Friedensarbeit (4) - Mediziner gegen Waffengewalt (IPPNWforum)


IPPNWforum | 119 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Mediziner gegen Waffengewalt
Die Kampagne "Aiming for prevention"

Von Khoi Duong


Bewaffnete Gewalt ist in Deutschland eher die Ausnahme. Das wird uns spätestens dann bewusst, wenn wir fassungslos vor einer Katastrophen wie der in Winnenden stehen. In anderen Ländern ist Gewalt dagegen Alltag. Darauf sollte in der "Global Week of Action Against Gun Violence" aufmerksam gemacht werden, die auch dieses Jahr wieder im Juni stattfand. Mit über 300 Aktionen in 90 Ländern auf allen Kontinenten sorgten die Teilnehmer für wichtige Impulse. Mit der Kampagne 'Aiming for prevention' und im Netzwerk IANSA bringt die IPPNW dabei den Public Health-Ansatz ein.


Radio for Peace

In Nigeria haben IPPNW-Studierendezum Beispiel ein Radioprojekt für den Frieden gestartet."Wir möchten den Menschen in Nigeria, besonders denen in der Stadt Jos, die Botschaft des Friedens näher bringen. Wir wollen, dass sie die Notwendigkeit von Frieden sehen.", erklärt Ogebe Onazi, Sprecher der IPPNW-Studierendenbewegung Afrika das Ziel des Projekts. Umgesetzt wird die Radiosendung über Frieden und Gewaltprävention von Medizinstudierenden der Society of Nigerian Doctors for the Warfare of Mankind/ IPPNW Nigeria. Sie wollen vor allem Jugendliche erreichen. Denn ob die nächste Generation in die Fänge der Gewaltspirale gerät oder nicht, bestimmt die Zukunft für das ganze Land.

Erst Ende letzten Jahres war eine Welle der Gewalt über das Land geschwappt. In Jos in der zentralnigerianischen Provinz Plataeu war es nach den Wahlen im November 2008 zu religiös-ethnischen Konflikten gekommen, in deren Folge mindestens 700 Menschen starben. Im Norden Nigerias kommt es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Muslimen und Christen. Als im Juli die Sekte 'Boko Haram' versuchte, gewaltsam die islamische 'Scharia' in ganz Nigeria durchzusetzen, kam es in mehreren Regionen zu blutigen Kämpfen zwischen Polizei und Aufständischen. "Hier in Jos sind wir alle sicher", erzählt Homsuk Swomen, Sprecher der IPPNW Nigeria, "die Stadt erholt sich momentan von den Unruhen, die Lage ist realtiv stabil. Trotzdem ist der Waffenbesitz hier besorgniserregend. Die Rebellen haben alle eine AK47. Sie tragen sogar Armeeuniformen. Und man weiß nicht genau, woher sie die Mittel und die Unterstützung bekommen."

Nach etlichen Schwierigkeiten und einiger Überzeugungsarbeit konnten die Studierenden ihre Sendung schließlich als Corporate Social Responsibility-Maßnahme des Radiosenders 'Silverbird Rhythm FM 93.7 Jos, Nigeria' starten.Von Juni bis November läuft nun "Bringing Peace to the People". Zweimal im Monat gibt es abwechselnd eine Info-Sendung und eine interaktive Live-Sendung, bei der Hörer anrufen können. Das Ziel dieses Radioprojekts ist ebenso einfach wie ehrgeizig: informieren, aufklären und mobilisieren. Die Schwerpunktthemen dabei sind Frieden, Kleinwaffen, One Bullet Stories, Jugend, Gewaltkonflikte, Binnenflüchtlinge, Konfliktlösung, Menschenrechte und Gesundheit. Aufgelockert werden diese schweren Themen durch populäre Musik, aber auch durch speziell ausgesuchte Friedenslieder, die die Botschaft der Sendung zugleich über Musik transportieren sollen.


Aiming for prevention

'Radio for Peace' ist ein Beispiel für die vielen Aktivitäten im Rahmen der Kampagne "Aiming for prevention", mit der die IPPNW seit 2001 versucht, der weltweiten Gewalt durch Kleinwaffen vorzubeugen. Dabei werden die gesundheitlichen und humanitären Folgen von Kleinwaffen weiter erforscht und Präventivprogramme erarbeitet. Außerdem sollen Menschen im Gesundheitswesen, Studierende, Medien, die Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger über die Folgen von bewaffneter Gewalt aufgeklärt und sensibilisiert werden - als ein erster, wichtiger Schritt, um ein allumfassendes Bestreben zur Verringerung von Todesfällen und Verletzungen zu entwickeln sowie gemeinsame Richtlinien festlegen zu können. "Aiming for prevention" ruft alle Menschen im Gesundheitswesen dazu auf, sich an der Kampagne aktiv zu beteiligen. Bis jetzt sind Initiativen in El Salvador, Indien, Iran, Kenia, dem Kongo, Nepal, Nigeria, Pakistan, Sambia, Tunesien, den USA und Uganda entstanden.


Medical Voices Against Violence

In diesem Jahr hat die IPPNW zusätzlich die Initiative "Medical Voices Against Violence" ins Leben gerufen, bei der alle Möglichkeiten des Web 2.0 ausgeschöpft werden: IPPNW-Mitglieder, Ärzte, Krankenschwestern, Medizinstudierende oder andere im Gesundheitswesen Tätige können ihre eigene Geschichte im Zusammenhang mit bewaffneter Gewalt als Video, Audio oder Text darstellen. Ziel dabei ist, andere Menschen über die Folgen von Gewalt auf Menschen aufzuklären, insbesondere natürlich die medizinischen, psychischen Auswirkungen. Das menschliche Gesicht der Geschichten soll die oftmals schwer zu fassenden Botschaften der Gewaltprävention verständlicher machen und die Leser-Hörer zu Engagement mobilisieren. Bisher kann man sich auf www.ippnw.org Beiträge aus den USA, Nigeria, Indien und Deutschland ansehen.


IANSA

Die IPPNW ist außerdem Teil des "International Action Network on Small Arms" (IANSA), in dem sich über 800 Organisationen aus 120 Ländern gemeinsam gegen Waffengewalt engagieren. Das IANSA kämpft gegen die Verbreitung und Missbrauch von Kleinwaffen auf der ganzen Welt. Seit 2005 ist die IPPNW zudem internationaler Koordinator des "IANSA Public Health Networks." Das Netzwerk ist eine kritische Ergänzung zu den traditionellen Aktivitäten der Rüstungskontrolle. Es versucht aus der Perspektive der "Public Health" die Ursache der Schusswaffengewalt aufzuklären und damit die Arbeit zur Verringerung von bewaffneter Gewalt effizienter zu machen. Es bietet die Möglichkeit zur Quantifizierung der gesellschaftlichen und humanen Folgen von Verletzungen und Tod durch Kleinwaffen. Ein wichtiger Punkt ist die Vertretung des Gesundheitswesens in nationalen Kommissionen für Kleinwaffen - denn Informationen über Verletzungen und Todesfälle, aber auch der Public Health-Ansatz sollten in der Entwicklung von nationalen Aktionsplänen berücksichtigt werden.

Der Public Health-Ansatz sieht Gewalt als ein gesellschaftliches Phänomen, nicht als staatliches oder individuelles. Ein soziales Problem, dem lieber präventiv statt strafrechtlich begegnet werden sollte. Vier Schritte sollen zu einem besseren Verständnis führen: (1) Identifikation der Risikofaktoren, die Gewalttaten verursachen, (2) Bewertung der erkannten Risiken, (3) Entwicklung präventiver Maßnahmen, die die Risiken verringern können und (4) Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verbesserung der Präventivprogramme. Allerdings ist die bisherige Methode zur Datengewinnung über bewaffnete Gewalt noch unzureichend. Lokale und nationale Datensammlungen sind nötig, um Prävention, Planung und Risikoidentifikation auf der einen Seite sowie Einzelheiten zur Behandlung von Opfern auf der anderen Seite zu erkennen.


Neue Entwicklung in Richtung Waffenhandels-Gesetz

Jeden Tag sterben mehr als 1.000 Menschen durch bewaffnete Gewalt, jährlich etwa 700.000 Menschen. Größter Nutznießer ist die Waffen- und Rüstungsindustrie. Kein anderes Geschäft auf der Welt ist so ertragreich. Fehlender politischer Wille bei Waffentransport/-kontrolle einerseits und egoistische Wirtschafts- und Sicherheitsinteresse der Regierungen andererseits ebnen den Weg für Massenvernichtungswaffen in den Krisengebieten der Welt. Dabei gelangen diese samt Munition und Produktionslizenzen nicht nur in die Hände von potentiellen Menschenrechtsverletzern, allein die Anhäufung von Waffen führt schon zu weiterem Konfliktpotential. Erschreckend ist zudem, dass Waffen als vermeintlicher Schutz, als Statussymbol und als Produktionsmittel in der Gesellschaft zunehmend akzeptiert werden. Auch die Industriestaaten werden mehr und mehr mit Kleinwaffen überschwemmt. Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise 30 Millionen, davon sind nur ungefähr 10 Millionen registriert. Von den ca. 875 Millionen Kleinwaffen auf der Welt sind rund 650 Millionen in zivilem Besitz. Die zivile Feuerkraft ist unheimlich mächtig geworden, trotzdem treibt auch die Bundesregierung das Spiel mit dem Feuer voran.

Die politischen Grundsätze der Bundesregierung im Rüstungsexport sind an den EU-Verhaltenskodex angelehnt. Dennoch liefert Deutschland weiterhin steigend Rüstungsgüter auch in problematische Empfängerländer wie Oman, Ägypten, Angola, Pakistan, Singapur, Indien und Malaysia, die mindestens vier der EU-Kriterien für Rüstungsexportkontrolle nicht erfüllen. Die Grundsätze scheinen unverbindlich, das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie das Außenwirtschaftsgesetz lassen weiten Spielraum. Laut dem Rüstungsexportbericht wurden im Jahr 2008 Kleinwaffen im Wert 48,93 Mio. Euro und Munition im Wert von 31,76 Mio. Euro genehmigt. Die gesamten Rüstungsexporte stiegen seit 2003 um 70% auf 8,7 Mrd. Euro, damit ist Deutschland mit einem Weltmarktanteil von 10 % der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt.

Auf einer Sitzung im Juli 2009 ging es jedoch einen Schritt vorwärts in Richtung eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens zur Kontrolle des internationalen Handels mit konventionellen Rüstungsgütern. Die schon 2006 von 15 Nobelpreisträgern geforderte Entwicklung eines Arms Trade Treaty (ATT) wurde von keinem Staat mehr ernsthaft in Frage gestellt, im Gegenteil, die Mehrheit drängte auf einen schnellen Beginn konkreter Verhandlungen. Auch die USA beteiligte sich nach dem Regierungswechsel konstruktiv an der Debatte. Im Laufe des Jahres 2010 soll es zu weiteren Treffen der OEWG (open-ended working group) kommen. Bleibt zu hoffen, dass 'Aiming for prevention' Stück für Stück unnötig wird.


Kleinwaffendefiniton:

OSZE: Unter Kleinwaffen sind im weitesten Sinn Waffen zu verstehen, die für die Verwendung durch den einzelnen Angehörigen der Streitkräfte oder Sicherheitskräfte gedacht sind. Dazu gehören Revolver und Selbstladepistolen, Gewehre und Karabiner, Maschinenpistolen, Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre.


Khoi Duong war im Sommer Praktikant in der IPPNW Geschäftstelle.


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Quelle:
IPPNWforum | 119 | 09, Oktober 2009, S. 22-23
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2009