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INITIATIVE/055: Es geht um Recht, nicht um Barmherzigkeit (medico international)


medico international - rundschreiben 03/10

Es geht um Recht, nicht um Barmherzigkeit

Von Prof. Dr. Lawrence Gostin, Georgetown-University, Washington


Ich werde über eine soziale Bewegung von Unten sprechen, die "Joint Learning Initiative on National and Global Responsibility for Health". Die Initiative wird im Oktober im WHO Bulletin im Editorial vorgestellt und den World Health Report am 20.11. mitgestalten. Viele Menschen weltweit haben sich als Partner der Initiative angeschlossen, worüber ich sehr glücklich bin.

Die Motivation ist die Tatsache, dass in letzter Zeit vermehrt vermeidbare Krankheiten im subsaharischen Afrika, auf dem indischen Subkontinent und in anderen verarmte Regionen der Welt überhand nehmen. Jedes Jahr sterben 8 Millionen Kinder vor ihrem 5. Lebensjahr. Jedes Jahr sterben eine halbe Million Frauen während der Schwangerschaft oder der Geburt. Und jedes Jahr sterben mehr als 4 Millionen Menschen an Aids, Malaria und Tuberkulose. Im Jahr 2020 werden 70 % der nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs, Herzleiden oder Diabetes in den Entwicklungsländern auftreten. Und im Jahr 2011 wird die UN erst ihren 2. hochrangigen Gipfel zum Thema Gesundheit abhalten.

Der erste Gipfel behandelte Aids, der zweite wird nichtübertragbare Krankheiten und deren verheerenden Auswirkungen weltweit behandeln. Die Lebenserwartung in Afrika liegt bei 45 Jahren, ein viertel Jahrhundert kürzer als in den reichen Industrienationen. Viele, wenn nicht die meisten, der Ursachen für solch einen frühen Tod sind vermeidbar. Vermeidbares Leiden, das all diese Leben auslöscht. Warum treffen diese Krankheiten die Ärmsten der Welt, obwohl die internationale Entwicklungshilfe für Gesundheit in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt wurde?

Der Grund ist, dass wir unsere Gelder nicht effektiv und effizient einsetzen. Aus diesem Grund haben wir die "Joint Learning Initiative on National and Global Responsibility for Health" ins Leben gerufen. Wir wollen einen übergreifenden, gemeinsamen Rahmen schaffen, um gemeinsam Verantwortung für Gesundheit zu übernehmen. Einen Rahmen, der über die Millenium-Entwicklungsziele hinausgeht. Das soll das nächste große Projekt der Weltgemeinschaft werden.

Die Initiative versucht einen internationalen Konsens zu schaffen, mit dem Ziel innovative Lösungen zu erarbeiten für die vier zentralen, die Zukunft prägenden Probleme, denen die Welt gegenübersteht.

1. Was ist ein Paket von Gesundheitsleistungen und Gütern auf das, im Sinne des Menschenrechts auf Gesundheit, jeder Mensch ein Recht hat?

2. Was sind, laut dem Menschenrecht auf Gesundheit, die Pflichten des Staates gegenüber seinen Bürgern?

3. Welche Verpflichtungen haben alle Staaten und insbesondere die reichen Industrieländer, im Sinne von sozialer Gerechtigkeit und Verantwortung, gegenüber den Armen der Welt?

4. Wie können wir eine neue globale Gesundheitsarchitektur schaffen, um Gesundheit als Teil sozialer Gerechtigkeit zu verbessern?

Ich möchte im weiteren Verlauf auf die einzelnen Punkte noch einmal genauer eingehen:

zu 1: Die wichtigste Frage für die Initiative ist eine Definition dessen, wie das Paket von Gesundheitsleistungen und Gütern, auf das jeder Mensch nach dem Menschenrecht auf Gesundheit ein Recht hat, auszusehen hat.

Dieses Paket wird zum einen enthalten: Die WHO-Bausteine zur Gesundheitsleistung. Diese Bausteine berücksichtigen Gesundheitsdienstleitungen sowie Beschäftigungsentwicklung, Information und Finanzierung.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten und Technologien.

Und der dritte, meiner Meinung nach wichtigste Bestandteil: elementare Überlebensbedürfnisse sichern.

Überall wo ich hinkomme sprechen Menschen über Entwicklung, als wüssten sie nicht was Gesundheit ist. Es wird sich heute sehr auf medizinische Versorgung konzentriert. Das ist jedoch nur ein kleiner Teil dessen, was Menschen gesund macht. Wir wissen, was Menschen brauchen um gesund zu bleiben: sanitäre Anlagen, Hygiene, Ernährung, Trinkwasser, Ungezieferkontrolle, wie Moskitonetze, und die Kontrolle von Rauchwaren.

Das Recht auf Gesundheit erfordert, dass dies universell zugänglich, annehmbar, bezahlbar und von guter Qualität ist.

zu 2: Was sind die Pflichten des Staates gegenüber der Bevölkerung in Bezug auf Gesundheitsversorgung?

Viel zu oft konzentrieren wir uns nur darauf was die internationale Gemeinschaft tun sollte. Aber die Hauptverantwortung, das Menschenrecht auf Gesundheit zu gewährleisten, liegt bei den Regierungen der einzelnen Länder. So schätzt die WHO die Kosten eines Gesundheitspaketes minimalen Standards, ohne Gewährleistung der Überlebensvoraussetzungen, auf 40 US-Dollars pro Person im Jahr. Das ist ein lächerlich geringer Betrag, den wir uns leisten können, überall auf der Welt.

In Nigeria versprachen die afrikanischen Staatschefs 15% ihres nationalen Budgets dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen. Doch 10 Jahre später liegen die pro Kopf Ausgaben für die Gesundheitsversorgung in Afrika unter dem WHO-Minimum bei knapp 10 Dollar, das ist ein sehr niedriges Minimum. Sie versprachen 15%, aber es sind weniger als 10%. Das ist sehr schwach verglichen mit dem was in anderen Regionen der Welt passiert.

Staaten haben auch die Verpflichtung gut zu regieren, wir nennen das Good Governance: ehrlich, transparent, verantwortlich und unter voller Mitwirkung der Zivilgesellschaft.

zu 3: Was müssen alle Staaten und besonders reiche Staaten für die, am meisten von Krankheiten heimgesuchten Menschen, tun?

Globale Gesundheit als Hilfe zu bezeichnen, wie wir das alle tun, ist grundlegend falsch, denn das zeugt von absolut ungleichen, auf Abhängigkeit basierenden Beziehungen. Wir müssen Entwicklungshilfe als globale Kooperation begreifen, die eine gemeinsame Bereitschaft verlangt Risiken und Grundrechte zu teilen. Alle Staaten haben gegenseitige Verantwortung. Wenn Hilfe nur aus Barmherzigkeit geleistet wird, bedeutet dies, dass finanzielle Hilfe vom guten Willen der Geber abhängig ist, seien es die USA, die EU oder die Gates-Foundation. Die Geber entscheiden dann wie viel, wofür und an wen gegeben wird. Damit ist die Hilfe weder vorhersehbar noch nachhaltig. Und es unterminiert die Verantwortlichkeit armer Länder für die Gesundheit ihrer eigenen Bevölkerung zu sorgen. Ein internationaler Beitrag zur Weltgesundheit muss durch internationale Gesetzgebung auf der Basis der Menschenrechte, globaler sozialer Gerechtigkeit und Solidarität festgelegt werden. Der Beitrag der Staaten ist eine Frage der Gerechtigkeit. Doch die Länder mit hohem Einkommen sind weit davon entfernt haben ihr Versprechen von 1970 einzuhalten 0,7% ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben. Vier Jahrzehnte später belaufen sich ihre Beiträge auf weniger als die Hälfte, sie liegen bei 0,31%.

Innovative Wege zu finden adäquate und anhaltende Finanzierung zu gewährleisten, mit dem Schwerpunkt die elementaren Überlebensbedürfnisse sicherzustellen, wird zentral sein um die armen Länder in die Lage zu versetzen ihrer Verpflichtung, die Gesundheit ihrer Bevölkerung sicherzustellen, selbst wahr zu nehmen.

zu 4: Welche Form globaler Steuerung im Gesundheitswesen ist nötig, damit alle Staaten ihrer gegenseitigen Verantwortung nachkommen?

Wir hatten heute morgen im Bundestag ein sehr wichtiges Treffen, bei dem wir diskutierten, dass es nicht nur darum geht wie viel Geld gegeben wird sondern darum, dass die vorhandenen Mittel effektiv eingesetzt werden, um die Gesundheit der Weltbevölkerung wirklich zu verbessern. Es gibt jedoch fundamentale Probleme, die schwerwiegendsten unter ihnen sind Zersplitterung, Duplizierung und auch Konfusion unter den verschiedenen globalen Hilfsorganisationen.

Kürzlich luden wir afrikanische Gesundheitsminister an die Universität von Oxford ein und baten sie frei vom Herzen zu sprechen. Es waren keine Vertreter von Staaten oder internationalen Fonds im Raum. Sie sprachen von Verzweiflung, sie hatten keine Ideen für Programme in ihren Ländern, keine Möglichkeit zu planen, die Situation sei geprägt von totaler Zersplitterung, Konfusion und einer Menge Bürokratie, daher seien sie nicht in der Lage sie die Dinge in die Hand nehmen. Es ist sehr wichtig, dass die globale Gesundheitsarchitektur der Zukunft die Führungsrolle der WHO als Teil der UN stärkt, die die Legitimität, die Autorität und die Ressourcen haben muss alle Länder zu unterstützen, ihr Recht auf Gesundheit wahrzunehmen.

Die Joint Learning Initiative verspricht eine Bewegung von unten, ähnlich der Bewegung gegen Landminen oder den Ärzten ohne Grenzen und der Kampagne gegen Aids. Die Zivilgesellschaft bewegt sich rasant in Richtung einer breiten Agenda für das Recht auf Gesundheit und soziale Gerechtigkeit.

Abschließend möchte ich meinen guten Freund Thomas Pogge zitieren, der heute morgen, wie schon oft zuvor, sagte, dass die "Joint Learning Initiative on National and Global Responsibility for Health" eine Bewegung ist, die einfach nicht gestoppt werden kann. Denn ihre Grundlage ist der ethische Imperativ und das internationale Menschenrecht auf Gesundheit, das seinerseits auf internationalem Recht und globaler sozialer Gerechtigkeit basiert.


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Quelle:
medico international - rundschreiben 03/10, Seite 28-39
Originalfassung aus www.medico.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2010