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ENTWICKLUNG/1162: Hoffnung für Rollstuhlfahrer - Gelähmte steuern Gehroboter mit Nervenimpulsen (DGCH)


Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) - 29. April 2015

Hoffnung für Rollstuhlfahrer
Gelähmte steuern Gehroboter mit Nervenimpulsen

132. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
28. April bis 1. Mai 2015, München/ICM


München - Insekten, Spinnen und Krebse machen vor, dass Außen- oder Exo-Skelette ein erfolgreiches Fortbewegungskonzept sein können. Seit kurzem bieten Hersteller mechanische Exo-Skelette für Querschnittgelähmte an, die sogar Bewegungsimpulse lesen und ausführen können. Vereinzelt kommen die Gehroboter in Reha-Kliniken schon zum Einsatz. Leistungsstärkere Computer und ausgefeiltere Elektromotoren könnten dazu führen, dass sie bald auch im Alltag auftauchen, erklärte ein Experte auf der Eröffnungs-Pressekonferenz des 132. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH).

"Insgesamt vier Exo-Skelette verfügen derzeit über ein CE-Zertifikat", berichtet DGCH Präsident Professor Dr. med. Peter M. Vogt. Die Hersteller dürfen sie damit in Europa vertreiben, auch in Deutschland werden sie angeboten. "Doch keiner der etwa 1,5 Millionen Menschen, die hierzulande nach einem Unfall oder aufgrund eines Schlaganfalls gelähmt sind, konnte deshalb bisher auf den Rollstuhl verzichten", ergänzt Professor Dr. med. Michael Nerlich, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg, zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Die derzeitigen Exo-Skelette sind nach Einschätzung des Experten noch nicht alltagstauglich.

Das Exo-Skelett Rex sei mit knapp 40 Kilo Gewicht zu klobig. "Die Bewegungen, die der Patient mit einem Joystick steuert, sind schwerfällig", erklärt Nerlich. Die Modelle Ekso und Re-Walk seien mit 23 und 20 Kilogramm schon wesentlich leichter. Doch die Steuerung, die durch Bewegungen von Oberkörper oder der Hüfte erfolgt, falle den gelähmten Patienten schwer. "Eine Fortbewegung ohne Rollatoren ist mit diesen beiden Exo-Skeletten nicht möglich", so Nerlich.

Auch für HAL, mit einem Gewicht von 14 bis 17 Kilo das derzeit leichteste Exo-Skelett, benötigt der Patient äußere Hilfsmittel. Dennoch ist HAL - das Kürzel steht für "hybrid assistive limbr" - für Professor Dr. med. Thomas A. Schildhauer zukunftsweisend. "HAL ist das erste Exo-Skelett mit neuronaler Steuerung", erläutert der Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil. "Die Patienten tragen Elektroden auf der Haut, die elektrische Signale der teilweise gelähmten Muskeln auffangen und in die beabsichtigte Bewegung des Exo-Skeletts umsetzen." Während bei den anderen Exo-Skeletten nur fest einprogrammierte Bewegungen gestartet oder gestoppt werden, könne der Patient mit HAL aktiv in die Kontrolle der Bewegungen eingreifen. "Mit HAL kann der Patient erstmals Hindernisse bewältigen und sogar rückwärtsgehen", berichtet Schildhauer, der in Bochum bereits viele Patienten mit Gehrobotern behandelt hat.

Der Einsatz von HAL ist allerdings auf spezielle Patienten beschränkt. "Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass die Patienten noch eine Restaktivität in der Muskulatur zurückbehalten haben, was bei einer kompletten Querschnittlähmung nicht der Fall ist", erläutert Nerlich. HAL ist auch kein Exo-Skelett für den Privatgebrauch. Das Einsatzgebiet ist die Rehabilitation mit dem Ziel, die verbliebene Muskulatur so weit zu stärken, dass der Patient einen Teil seiner Selbständigkeit zurückerhält.

Die technische Entwicklung von Exo-Skeletten ist mit HAL aber längst nicht abgeschlossen. Michael Nerlich rechnet damit, dass die Exo-Skelette durch die Miniaturisierung in der Elektrotechnik immer leichter werden und dank leistungsstärkerer Prozessoren eine immer größere Bewegungsvielfalt erlauben werden. "Ich halte es für möglich, dass die Patienten die Exo-Skelette in nicht allzu ferner Zukunft auch im Alltagsleben einsetzen und dann wenigstens teilweise auf den Rollstuhl verzichten können", sagt der Chirurg voraus.


Weitere Infos zum Kongress:
www.chirurgie2015.de

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Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
Pressestelle DGCH
Anne-Katrin Döbler, Kerstin Ullrich
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-641, Telefax: 0711 8931-167
E-Mail: ullrich@medizinkommunikation.org
www.chirurgie2015.de, www.dgch.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2015

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