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FORSCHUNG/231: Weicher Milliroboter bahnt sich seinen Weg durch den Körper nach dem Vorbild der Natur (idw)


Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme - 24.01.2018

Weicher Milliroboter bahnt sich seinen Weg durch den Körper nach dem Vorbild der Natur


Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme haben einen magnetisch gesteuerten, vier Millimeter kleinen Roboter entwickelt, der durch unwegsames Terrain laufen, krabbeln und rollen, kleine Lasten tragen sowie auf und in Flüssigkeit schwimmen kann. Inspiration holen sich die Forscher aus der Natur: Käferlarven, Raupen und sogar Quallen standen Modell. Eines Tages, so hoffen die Wissenschaftler, könnte der Milliroboter minimalinvasiv gezielt Medikamente dorthin transportieren, wo sie gebraucht werden. Seine vielfältigen Fortbewegungsmöglichkeiten machen ihn so einzigartig, dass das Fachjournal Nature das Forschungsprojekt in seiner aktuellen Ausgabe veröffentlichen wird.

Stuttgart - Es ist die Beweglichkeit, die diesen Roboter auszeichnet. Mit Leichtigkeit bewegt er sich in seiner komplexen Umwelt - ob auf einer Oberfläche oder in einer Flüssigkeit - fort. Vier Millimeter ist er klein, flach wie ein rechteckiges Blatt Papier und aus weichem, elastischem Polymer geformt. Während bisherige Kleinstroboter nur eingeschränkt von der Stelle kommen, und vor allem auf unwegsamem Terrain an ihre Grenzen stoßen, kann dieser Roboter ganz leicht von einem Fortbewegungsmodus zum anderen wechseln. Zudem ist er in der Lage, kleine Lasten aufzuheben, zu transportieren und anderswo abzulegen. Er kann sich dabei so frei bewegen wie eine Raupe.

"Wir schauen uns beim Bau von Robotern die Mechanik beim Bewegungsablauf zum Beispiel von Insekten an und lassen uns davon inspirieren. Das Ergebnis bei unserem Milliroboter ist eine Mischung aus mehreren weichen Lebewesen wie Käferlarven und Raupen, aber auch ein Spermatozoid und eine Qualle standen Modell", sagt Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Die vielseitige Beweglichkeit dieses weichen Kleinstroboters ist so einzigartig, dass das angesehene Fachjournal Nature das Forschungsprojekt in seiner aktuellen Ausgabe veröffentlichen wird. Online erscheint es bereits spät am Abend des 24. Januars.

Die Fähigkeit, sich auf verschiedene Weise fortbewegen zu können, macht ihn einzigartig

Um den Roboter zu steuern, verwenden die Wissenschaftler ein externes Magnetfeld. In der Polymerschicht des Roboters wiederum sind magnetische Partikel eingebettet, ähnlich wie Rosinen in einen Kuchenteig. So können die Forscher die Form des Roboters von außen verändern und er sich fortbewegen: er kann auf Oberflächen laufen oder rollen, über Hindernisse springen, durch enge Röhren krabbeln und auf oder in einer Flüssigkeit schwimmen. Zudem kann er Objekte greifen, transportieren und zielgerichtet ablegen. "Uns schwebt vor, dass unser Milliroboter eines Tages Medikamente dorthin transportiert, wo sie gebraucht werden - ähnlich einer Paketlieferung an die Haustür", hofft Metin Sitti. "Wir wollen ihn bei minimalinvasiven Eingriffen am Patienten einsetzen: entweder, indem der Patient den Roboter schluckt oder wir ihn durch eine kleine Öffnung in der Haut in den Körper einführen. Von dort kann sich der Roboter dann durch den Verdauungstrakt bewegen oder durch die Blase, oder bis zum Herz - uns schweben viele Möglichkeiten vor."

Die Forschung an mobilen Kleinstrobotern, die in der Zukunft in der Medizin zum Einsatz kommen könnten, nimmt in der Abteilung für Physische Intelligenz eine zentrale Rolle ein. Viele der Forschungsprojekte Sittis und seines Teams befassen sich mit neuartigen und intelligenten Milli- oder gar Mikrorobotern für mögliche medizinische Anwendungen.

Es sind noch große Herausforderungen zu bewältigen, bis solche Systeme in der Medizin geläufig sein könnten. Aktuell testeten die Forscher den Milliroboter nur in einer synthetischen Magenattrappe und in Hühnchenfleischgewebe. Sittis Team, bestehend aus Wenqi Hu, Guo Zhan Lum und Massimo Mastrangeli, gelang es, den Milliroboter durch diese Umgebung zu steuern. Mit Ultraschall überprüften sie, wo genau der Roboter sich seinen Weg bahnte.

Die Hoffnung ist bei allen Forschern groß, dass ihr Roboter eines Tages zum Standard im Gesundheitswesen wird, dass nicht-kabelgebundene, mobile Roboter eine Revolution der Forschung im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie einläuten werden. Mittels solcher Milliroboter hätte ein Chirurg nämlich direkten Zugang und die genaue Kontrolle in schwer zugänglichen Bereichen des Körpers. "Ohne chirurgischen Eingriff ist es in vielen Bereichen des Körpers aktuell nicht möglich, sich Zugang zu verschaffen. Unser Ziel ist es, mit unserem weichen Milliroboter diese Regionen nicht-invasiv erreichbar zu machen, um eine Diagnose erstellen und eine Therapie vornehmen zu können," so Sittis Zukunftsvision.

• Über uns:
Das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme hat sich zum Ziel gesetzt, die Prinzipien von Wahrnehmen, Handeln und Lernen in autonomen Systemen zu verstehen. Aus diesem Verständnis heraus wollen die Wissenschaftler künstliche intelligente Systeme entwickeln. An seinen zwei Standorten in Stuttgart und Tübingen verbindet das Institut Spitzenforschung in Theorie, Software und Hardware.

Der Standort in Stuttgart beherbergt führende Expertise in den Bereichen Mikro- und Nano-Robotik, Haptik, Mensch-Maschine-Interaktion, bio-hybride Systeme sowie Medizinrobotik. Am Standort Tübingen wird mittels Forschung in den Bereichen Maschinelles Lernen, Maschinelles Sehen und Robotik untersucht, wie intelligente Systeme Informationen verarbeiten, um wahrnehmen, handeln und lernen zu können.
www.is.mpg.de

Dr. Metin Sitti is Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und Professor im Department of Mechanical Engineering and Robotics Institute der Carnegie Mellon University in Pittsburgh.

Er hat an der BoĖaziçi Universtät in Istanbul in der Türkei Elektrotechnik studiert. 1999 promovierte er auf diesem Fachgebiet an der Universität von Tokio in Japan. Danach folgte ein Aufenthalt als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Lecturer an der University of California in Berkeley. Seit 2002 ist er Professor im Department of Mechanical Engineering and Robotics Institute der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. Metin Sitti ist ein IEEE Fellow und wurde von 2006 bis 2008 zum Distinguished Lecturer der IEEE Robotics and Automation Society ernannt (IEEE Fellow ist ein besonderer Mitgliederstatus des Institute of Electrical and Electronics Engineers. Diese Ehrenmitgliedschaft wird an Personen mit außergewöhnlichen Leistungen in einem Interessenbereich des IEEE vergeben). Seit April 2014 ist er einer der sieben Direktoren am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme.

Die von Sitti ins Leben gerufene Abteilung für Physische Intelligenz hat sich zum Ziel gesetzt, die Prinzipien des Designs, der Fortbewegung, Wahrnehmung, Lernfähigkeit und Kontrolle von mobilen Milli- und sogar Mikro-Robotern zu ergründen. Die Intelligenz solcher Roboter beruht hauptsächlich auf seinem physischen Aufbau, dem verwendeten Material, seiner Anpassungsfähigkeit und Fähigkeit zur Selbstorganisation - mehr als auf seiner "Computational Intelligence", der eingebauten Rechenleistung wie dies bei größeren Robotern möglich ist. Solch neuartige, kleinformatige Robotersysteme finden möglicherweise eines Tages Anwendung im Gesundheitswesen, der Biotechnik oder Produktion, um nur einige Bereiche zu nennen.

Dr. Wenqi Hu kommt aus dem Südwesten Chinas. Er promovierte an der Universität in Hawaii im Jahr 2014. Gleich im Anschluss wechselte er in die Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart, wo er von Anfang an an dem Milliroboter forschte.

Dr. Guo Zhan Lum kommt aus Singapur. Er machte seinen Doktor an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh sowie an der Technischen Universität Nanyang in Singapur im Jahr 2016. Seitdem forscht er am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart an intelligenten Systemen. Ab Januar 2018 wird er als Assistenzprofessor an der Technischen Universität Nanyang arbeiten.

Dr. Massimo Mastrangeli kommt aus Italien. Er promovierte 2010 an der University of Leuven in Belgien. Seit 2015 ist er in Stuttgart. Im Juli 2017 wurde er Assistenzprofessor an der Delft University of Technology in den Niederlanden.


Weitere Informationen finden Sie unter

Mehr zu der wissenschaftlichen Publikation finden Sie hier:
http://dx.doi.org/10.1038/nature25443

Youtube Link:
https://www.youtube.com/watch?v=4Mqi0rskY4&feature=youtu.be

Zu dieser Mitteilung finden Sie Anhänge unter:
http://idw-online.de/de/attachment64373
Wenqi Hu, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1801

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Linda Behringer, 24.01.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2018

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