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ENTWICKLUNG/650: Intelligente Kleidung alarmiert den Arzt (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2009

Intelligente Kleidung alarmiert den Arzt
Tragbare IT-Assistenten sollen chronisch Kranken ein sicheres Leben zuhause ermöglichen

Von Michael Lawo


Die medizinische Versorgung chronisch Kranker hat sich durch den Einsatz der Informationstechnologie in den letzten Jahren stetig verbessert. Damit sich diese Menschen auch in ihrem häuslichen Umfeld mit einem sicheren Gefühl bewegen können, entwickelt das Technologiezentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen jetzt im EU-Projekt Chronius einen IT-Assistenten, der die Gesundheit des Patienten überwacht und der in die Kleidung integriert ist.


Den IT-Assistenten zieht man einfach an wie ein T-Shirt. Smart Textiles, so heißen die intelligenten Anzüge, überwachen kontinuierlich die Körperfunktionen und Aktivitäten der chronisch Kranken. Nimmt der Patient nicht rechtzeitig seine Medikamente ein oder nicht genug Flüssigkeit zu sich, erhält er eine Warnung - etwa über die drahtlose Verbindung zu einem digitalen Fernseher. Der IT-Assistent passt immer auf, stört nicht und irgendwann nehmen die Menschen ihn im Alltag gar nicht mehr wahr. Eben nur dann, wenn sie ihn brauchen. Er nimmt beiläufig die relevanten Informationen auf, kann diese verstehen und schlägt Alarm, wenn es Probleme gibt. Und dann verfügt der behandelnde Arzt über kontinuierliche Daten, wie sie sonst nur bei einer stationären Behandlung gesammelt werden.

Natürlich ist das alles noch ein Szenario. Das Projekt Chronius entwickelt derzeit Lösungen, wie dieses Szenario verwirklicht werden kann. Dabei liegt der Fokus zum einen auf Nierenleiden und zum anderen auf Lungenerkrankungen, wie etwa der sogenannten Raucherlunge. Das System ist jedoch so konzipiert, das es später auch für andere chronische Krankheiten genutzt werden kann. Das TZI arbeitet im Projekt am Kommunikationsmodul für die intelligente Kleidung und daran, dass der IT-Assistent die gesammelten Daten verstehen und daraus eine Diagnose generieren kann.

Im Vordergrund steht nicht die technologische Entwicklung, sondern die Anwendung. 19 Partner aus Krankenhäusern, Forschungs- und Beratungsorganisationen sowie Industrieunternehmen aus zwölf Ländern arbeiten in dem Projekt zusammen, das noch bis Juli 2011 läuft. Das Budget beträgt 10,4 Millionen Euro inklusive einer EU-Förderung von 7,3 Millionen Euro. Zentrales Element für einen funktionierenden IT-Anzug ist die Systemplattform. Informiert wird der Patient über den persönlichen Begleiter in Form eines Mobiltelefons, das einerseits mit der intelligenten Kleidung und dem digitalen Fernseher und andererseits mit dem Systemserver und dem Pflegepersonal vernetzt ist.


Weniger Arztbesuche, weniger Aufenthalte im Krankenhaus

Durch ein Kommunikationsmodul wird das Handy drahtlos unterstützt. Die intelligente Kleidung ist permanent in Interaktion mit dem Menschen, um Aktionen zu identifizieren und dem Chronius System situationsbedingt geeignete Informationen bereitzustellen. Hiermit unterscheidet sich das System erheblich von dem, was wir aus der stationären oder ambulanten Versorgung kennen. Im Gegensatz zu stationären Systemen ist es nicht an den Aufenthalt im Bett gebunden und im Gegensatz zur ambulanten Versorgung erlaubt es eine kontinuierliche Erfassung von Informationen.

Im zentralen wissensbasierten System werden die vom persönlichen Assistenten aufgenommenen Daten gesammelt und für Diagnose und Behandlung ausgewertet. Das Expertensystem verwendet dafür sogenannte Ontologien. Es handelt sich um eine Form der Wissensrepräsentation, eine Systematik grundlegender Eigenschaften, und ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. Ziel ist es, die Bedeutung von Informationen für Computer verwertbar zu machen. Der Computer soll eigenständig die erfassten Daten miteinander in Beziehung setzen und interpretieren.

Bei einer Diagnose etwa würden Ernährungs-, Medikations- und Sensordaten, wie Blutdruck, Puls oder Lungenvolumen, in Bezug zu Informationen über mögliche Therapieformen und Behandlungsstrategien des behandelnden Arztes gesetzt. So können im besten Fall neue Zusammenhänge entdeckt werden. Alle erfassten Informationen münden in ein Überwachungssystem, das Entscheidungsoptionen aufarbeitet und unterbreitet und aufgrund der Therapieauswertung wichtige statistisch verwertbare Daten zur übergeordneten Diagnose und Therapiefortentwicklung bereitstellt.

Der erwartete Nutzen ist offensichtlich. Ein niedergelassener Arzt hat wesentlich mehr Daten verfügbar mit angestrebt hoher Qualität. Fast wie bei der stationären Versorgung kann er seine Behandlung auf kontinuierlich gesammelte und vorab ausgewertete Daten abstützen. Der Patient muss weniger häufig zum Arzt, da die Datenqualität verbessert ist. Er kann mit einem sicheren Gefühl zuhause leben, da sein Gesundheitszustand laufend überwacht wird. Für den Pfleger bietet das System eine weitere Professionalisierung und entlastet bei der wenig geliebten Dokumentationsarbeit. Und im regelmäßigen Umgang mit dem chronisch Kranken liefert das System ebenfalls eine sichere Datenbasis.


Michael Lawo koordiniert seit 2004 am Technologiezentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen zahlreiche Forschungsprojekte in den Bereichen Wearable Computing und Smart Textiles. Der 57-Jährige hat hier eine Professur für Praktische Informatik. Nach dem Studium an der Ruhr-Universität Bochum sowie Promotion, Habilitation und einer ersten Professur an der Universität Essen arbeitete Lawo 15 Jahre als Manager in der Industrie, etwa beim Bremer Vulkan Konzern und bei Atlas Datensysteme.

Weitere Informationen:
www.chronious.eu


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2009, Seite 22-25
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009