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HINTERGRUND/166: Der stille Star hinter dem Grafen (wissen leben - WWU Münster)


wissen leben - Nr. 7, 15. Dezember 2010

Die Zeitung der WWU Münster

Der stille Star hinter dem Grafen

"Unheilig"-Produzent Henning Verlage lehrt an der WWU

Von Christian Strippel


Der Vergleich mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde hinkt. Weder besitzt Henning Verlage eine gespaltene Persönlichkeit, noch hat er irgendwelche Charakterzüge, die an einen der Protagonisten aus der berühmten Novelle von Robert Louis Stevenson erinnern. Henning Verlage ist ein freundlicher und offener Typ: kurze Haare, sportliche Kleidung, zwei Ringe im linken Ohr. Einer von den Unkomplizierten, mit denen man schnell per Du ist. Ihn mit einem verrückten Professor zu vergleichen, der sich ab und an in eine düstere Gestalt verwandelt, trifft es also nicht. Und doch drängt sich dieser Vergleich auf, denn der 32-Jährige lebt zurzeit zwei Leben: das eines Musikdozenten und das eines Popstars. So ist er einerseits der bodenständige Lehrbeauftragte, der an der Musikhochschule Münster im Fach "Keyboards & Musicproduction" unterrichtet. Andererseits ist er ein rastloser Musiker, der als Keyboarder der zurzeit angesagtesten deutschen Band mit dem düsteren Namen "Unheilig" auf den großen Bühnen dieser Republik steht. Eine Konstellation, die dann doch irgendwie an Jekyll und Hyde erinnert.

Um Henning Verlage besser kennen zu lernen, lohnt sich also ein Blick in beide Welten. Die eine findet ihren Anfang im münsterländischen Greven, wo Verlage 1978 geboren wurde, aufwuchs und zur Schule ging. Die Musik war dabei sein ständiger Wegbegleiter. "Schon von Kindesbeinen an hat mich alles interessiert, was Tasten hat", erinnert er sich. Früh bekam er Orgelunterricht an der Städtischen Musikschule, mit acht Jahren seine erste Heimorgel. Mit 14 Jahren spielte er die Kirchenorgel seiner Gemeinde. "Ich hatte immer schon einen Hang zur schwarzen Szene."

Entscheidend für seine weitere Laufbahn war aber, dass er zwei Jahre später die Heimorgel gegen einen Synthesizer und einen Atari-Computer eintauschte. Er begann zu programmieren, zu komponieren und zu produzieren. Dass er die Musik zu seinem Beruf machen möchte, stand für ihn da bereits fest. Nach seinem Abitur schrieb er sich 1998 bei dem ArtEZ Konservatorium in Enschede ein und studierte dort vier Jahre "Music Production & Keyboards" bis zum Diplom. Es folgten ein Aufbaustudium mit einem Stipendium der Messiaen Academie und die künstlerische Reifeprüfung 2004. "Damals war ich der erste akademisch ausgebildete Popmusiker mit dem Schwerpunkt Musikproduktion", bemerkt er nicht ohne Stolz. 2008 holte ihn schließlich Prof. Rob Maas, der ihm zehn Jahre zuvor die Aufnahmeprüfung in Enschede abgenommen hatte, an die Musikhochschule Münster.

Wer Henning Verlage begegnet, merkt schnell, dass es noch ein anderes Leben gibt. Während des Interviews spielt er oft mit einer Hand auf der ausgeschalteten Orgel neben ihm. Es hat den Anschein, als helfe ihm das bei der Konzentration. Während er spricht, reagieren sich seine Finger ab. Die Musik muss raus. Selbstverständlich ist es nicht außergewöhnlich, dass jemand, der Musik studiert hat, auch aktiv Musik macht. Außergewöhnlich ist aber, wie erfolgreich er damit ist: Das Anfang 2010 erschienene Album "Große Freiheit" von "Unheilig" schoss direkt auf Platz eins der deutschen Verkaufscharts. Im Oktober gewann die Band um den Frontsänger "Der Graf" den Bundesvision Song Contest. Und im November folgte der Bambi in der Kategorie "Pop National". Zurzeit ist "Unheilig" auf Deutschland-Tournee.

Doch wie so häufig ist auch dieser Erfolg Ergebnis jahrelanger Arbeit und Erfahrung, die für Verlage mit seinen ersten Bands im Kindes- und Jugendalter begann. Auch während des Studiums und in der Zeit danach spielte er Keyboard, schrieb Texte und produzierte Songs. "Ich war halt der Typ, der sich mit dem Computer auskannte. So war das Produzieren immer meine Aufgabe." Und die ist es bis heute geblieben: Er produzierte Bands und Künstler wie Peter Heppner, Wolfsheim, Rosenstolz und Down Below. Der Musikstil sei dabei nie so wichtig gewesen. "Aber ich hatte schon immer einen Hang zur schwarzen Szene." "Es hat musikalisch und menschlich gepasst."

Da ist es wieder: Schwarze Szene klingt nach Mr. Hyde. Auch "Unheilig" kommt aus dieser Richtung. Über das Techno-Projekt Neuroticfish kam vor acht Jahren der Kontakt zum Grafen zustande. "Es hat musikalisch und menschlich gepasst, ich bin Teil der Band geworden und habe mit der Zeit immer mehr Aufgaben übernommen." Heute ist Henning Verlage nicht nur Keyboarder der Band, er schreibt und produziert auch viele ihrer Songs zusammen mit dem Grafen. "Eigentlich bin ich für alle musikalischen Belange zuständig", sagt er. Dennoch bliebe er lieber im Hintergrund: "Der Erfolg von 'Unheilig' ist in erster Linie der Erfolg des Grafen. Er ist der Künstler."

Und doch nimmt "Unheilig" gerade "99 Prozent" seiner Zeit in Anspruch: Interviews, Fernsehauftritte und die Konzerttermine lassen nur wenig Zeit für andere Dinge. Mit seinen Studierenden trifft er sich trotzdem einmal in der Woche, alles andere läuft über Telefon und E-Mail.

Das Angebot zum Lehrauftrag habe ihm damals sehr geschmeichelt: "Ich hatte zwar einige Bedenken, ob sich das mit dem Musikmachen auch gut verträgt", erinnert er sich. "Aber diese Sorgen waren absolut unbegründet." Jetzt freue er sich, sein Wissen, das er in der Musikbranche gesammelt hat, weiterzugeben. In dieser Hinsicht würden Musikhochschule und Popwelt gut zusammen passen. "Mein Lehrauftrag deckt sich perfekt mit dem, was ich bei 'Unheilig' mache. Davon profitieren alle."

In der Musikszene stoße er mit seinem akademischen Hintergrund vor allem auf Anerkennung und Neugier. "Die meisten Musiker sind Autodidakten. Die finden das super, wenn sie jemanden kennen lernen, der Musik auch studiert hat." Lehrauftrag und Charterfolg. Unterricht und Live-Konzert. Für Henning Verlage sind das zwei Seiten derselben Medaille. Die Unstetigkeit der Karriere als "aufregendes Lotto-Spiel" auf der einen, die Regelmäßigkeit der Hochschule auf der anderen Seite. Dass es dabei zu Engpässen kommt, nimmt er in Kauf. "So ist das halt, wenn man sein Hobby zum Beruf macht", meint er. "Das hat Vor- und Nachteile. Aber ich bin froh, wie es ist. So kann es gerne weitergehen."


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Quelle:
wissen leben - Die Zeitung der WWU Münster, Nr. 7, 15. Dezember 2010, S. 3
Herausgeberin:
Die Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Redaktion: Brigitte Nussbaum (verantw.)
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Die Zeitung ist das offizielle Organ der
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Im freien Verkauf beträgt die Bezugsgebühr ein Euro/Stück.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010