Schattenblick →INFOPOOL →MUSIK → FAKTEN

HINTERGRUND/183: Bolivien - Indigene Brüder erlangen Weltruhm als Instrumentenbauer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2013

Bolivien: Indigene Brüder erlangen Weltruhm als Instrumentenbauer

von Anna Infantas


Bild: © Miguel Ángel Souza/IPS

Francisco (links) und Alfonso Ichu Tamo in ihrem Atelier
Bild: © Miguel Ángel Souza/IPS

Santa Cruz, Bolivien, 14. Januar (IPS) - Das Orchester, in dem Alfonso Ichu Tamo Geige spielte, kannte niemanden, der Instrumente reparieren konnte. Als der Bogen des Musikers kaputt ging, reparierte er ihn schließlich selbst. Der Orchesterleiter beobachtete ihn dabei und schlug ihm vor, Instrumentenbauer zu werden. Heute, mit 33 Jahren, leitet er gemeinsam mit seinem Bruder Francisco die Instrumentenwerkstatt 'Amatista' in der südostbolivianischen Stadt Santa Cruz de la Sierra.

Der Moxena-Indigene Ichu Tamo stammt aus einer sechsköpfigen Familie im Amazonas-Regenwald im Nordosten Boliviens. Dort, im Department Beni, spielte er im Orchester 'Hombres Nuevos' (Neue Menschen), das die gleichnamige Stiftung ins Leben gerufen hatte und das von einem katholischen Priester geleitet wurde.

Die Musik war sein Leben, doch vom Beruf des Instrumentenbauers hatte er bis dahin noch nichts gehört. Die Idee gefiel ihm aber, und so versuchte er zunächst auf eigene Faust, das Handwerk zu erlernen. Im Jahr 2001 gab ihm die Stiftung Nuevos Hombres ein Stipendium, um am renommierten Institut für Chor und Orchester in Urubichá in der Nähe seines Heimatdorfes Instrumentenbau zu erlernen.

Urubichá ist eine indigene Gemeinschaft nahe der Grenze zu Paraguay. Das Institut ist in Bolivien berühmt für die Ausbildung in barocker Musik. Klassische Musik hat auch in Bolivien eine lange Tradition - Jesuiten brachten Barockmusik und die Kunst des Geigenbaus bereits im 17. Jahrhunderts in die Region. Das Institut möchte dieses Erbe fortsetzen.


Lernen von französischen Meistern

Nachdem Alfonso die Ausbildung in Urubichá genossen und dort von französischen Meistern gelernt hatte, überzeugte er auch seinen älteren Bruder Francisco davon, Instrumentenbauer zu werden. Unterstützung erhielten sie von der Lateinamerikanischen Entwicklungsbank. Mit Geldern der Finanzorganisation konnten sie schließlich auch ihre eigene Werkstatt in Santa Cruz de la Sierra eröffnen. Mit ihren fast drei Millionen Einwohnern ist die Stadt eines der wichtigsten urbanen Zentren des Landes.

"Unser Vater hat uns beigebracht zu schnitzen. Zu Hause haben wir viele Dinge aus Holz gefertigt: Autos, Flugzeuge und auch Musikinstrumente. Musik war immer ein wichtiger Teil unseres Lebens. Mit ein bisschen Phantasie konnten wir viel machen", erzählt Francisco.

Heute leben die Brüder davon, Instrumente zu bauen und zu reparieren. Wenn es schnell gehen muss, bauen sie eine Geige, eine Bratsche oder ein Cello innerhalb von zwei bis vier Wochen. "Wenn uns ein Teil fehlt, dann bauen wir es einfach selbst", sagt Alfonso, der nach eigenen Angaben sein Herzblut in den Bau der Instrumente legt. "Einem Instrument hört man immer die Gefühle an, die sein Hersteller in die Arbeit gelegt hat." Er selbst denke immer an große Konzerte, während er arbeite.

Neben französischen Instrumentenbauern haben die Brüder Ichu Tamo ihr Handwerk auch von Schweizer, argentinischen, deutschen, venezolanischen und italienischen Meistern gelernt. Mittlerweile wissen sie, dass man sich für ein gutes Instrument nicht nur mit Physik, Mathematik und Chemie auskennen, sondern auch gutes Holz auswählen und die Töne aufeinander abstimmen können muss.


"Ein bisschen eifersüchtig auf andere Spieler"

"Wenn wir ein neues Instrument bauen, dann wollen wir gerne wissen, für wen es sein wird. Als Musiker bin ich auch ein bisschen eifersüchtig auf andere Spieler", sagt Alfonso. Die Brüder arbeiten zusammen, doch beide haben sich auf unterschiedliche Felder spezialisiert. Francisco ist mehr der Handwerker, der das Holz bearbeitet und dabei so viel Ruhe braucht wie nur irgend möglich. Alfonso, der selbst Musiker ist, kümmert sich dagegen hauptsächlich um den Klang der Instrumente. Er kalibriert die Geigen je nach Wunsch und Vorstellung der künftigen Besitzer.

"Wir lieben es, unsere Kunst zu perfektionieren. Geld ist für uns zweitrangig - aber wir müssen uns auch nicht beschweren", sagen die Brüder.

Die Moxeno-Indigenen gehören zur Kultur der Arawac, die sich von der Karibik bis zur Region Gran Chaco erstreckt, in dem die Brüder aufgewachsen sind. Der Gran Chaco ist eine ärmliche Region, die sich über Teile Boliviens, Paraguays und Argentiniens erstreckt. Rund 30.000 Menschen gehören den Moxeno an; viele von ihnen leben noch immer in den Wäldern, doch einige sind auch in die Städte abgewandert. (Ende/IPS/jt/2013)


Links:

http://www.institutodemusicaurubicha.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102211
http://www.ipsnews.net/2013/01/two-luthiers-emerge-from-deep-bolivian-amazon/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2013