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HINTERGRUND/199: Willkommen in der neuen Weltordnung! Bruce Springsteen hält dagegen mit "High Hopes" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 7 vom 14. Februar 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Willkommen in der neuen Weltordnung!
Bruce Springsteen hält dagegen mit "High Hopes"

von Randolph Oechslein



Der schönste Verriss des neuen Springsteen-Albums "High Hopes" war unzweifelhaft in der online-Ausgabe der "Zeit" zu lesen: "Bruce Springsteen kann doch nur lieben, wer sozialpolitisch naiv und musikalisch geschmacklos ist ... Es ficht einen Boss nicht an, dass die Arbeiterklasse längst an Burgern erstickt ist." Eine solche Anerkennung durch das Zentralorgan des politisch korrekten Geschmacks will redlich erspielt sein. Kritiken von anderen Medien laufen meist auf die Formel "Resterampe auf hörbarem Niveau" hinaus. Springsteen selbst äußert im Booklet, das er während der Welttournee an einer Platte mit dem besten unveröffentlichten Material der letzten zehn Jahre arbeitete, "Musik, von der ich fühlte, dass es nötig sei sie zu veröffentlichen". Neu ist das alles nicht, aber die Kontinuität, mit der Springsteen immer wieder klare Zeilen gegen rassistische Morde, gegen Polizeiwillkür findet, die ist beeindruckend.

Auf diesem nunmehr 18. Studioalbum befinden sich zwölf Songs aus unterschiedlichen Zeiten und einige Coverversionen. Unveröffentlichtes aus "The Rising" (2002) und "Magic" (2007), sowie Songs, die zu Zeiten von "Working on a dream" und "Wrecking Ball" entstanden und bei Live-Konzerten gelegentlich gespielt wurden. Tom Morello von "Rage against the machine" erweitert das Klangspektrum bei acht Liedern durch stellenweise heftiges Metall.

Es war auch Morello, der beim letzten Teil der Tour in Australien für Stevie van Zandt einsprang und vorschlug, den Song "High Hopes" ins Live-Programm der Tournee aufzunehmen. Es ist ein Song des Folkmusikers Tim Scott McConell, den Springsteen in den Neunzigern schon einmal veröffentlicht hatte. "High hopes" bedeutet: Der Wunsch nach einer Familie, nach Kindern, "ich möchte in ihre Augen schauen und wissen, dass sie eine Chance haben". Der Boss schlägt eine andere Tonart als zu der Zeit an, da die Abrissbirne ("Wrecking Ball") der Weltwirtschaftskrise wütete. Elementare Wünsche nach Liebe und Frieden werden artikuliert, aber verknüpft mit dem deutlichen Hinweis, dass man "in diesen Tagen für alles zahlen muss". Das mag der Schreiberling der "Zeit" banal finden, jedoch: für wie viele Menschen sind Frieden und ein gutes Leben eigentlich selbstverständlich?

Zu den eher schwächeren Stücken der CD zählen das durchaus verzichtbare "Heavens wall" und "Harry's Place", auf dem die beiden verstorbenen E-Street-Musiker Danny Federici und Clarence (The Big Man) Clemons zu hören sind. In "Frankie fell in Love", einem augenzwinkenden, äußerst dynamischen Ohrwurm, treffen sich Einstein und Shakespeare bei einem Bier. Während Einstein versucht herauszufinden was zur Glückseligkeit führt, entgegnet Shakespeare trocken: Mann, es beginnt alles mit einem Kuss! Eine Coverversion ist das träumerische "Dream baby dream", mit dem die Platte ausklingt. Springsteen übernahm es vom New Yorker Duo "Suicide". Bei häufigerem Durchhören entsteht ein intensiver Eindruck, der Song hat das Zeug zu einer von Springsteens Hymnen zu werden.

"American skin (41 shots)" wurde von Springsteen bereits im Jahre 2000 geschrieben und er behandelt die Ermordung des Liberianers Amadou Diallo 1999 in New York durch Polizisten. Sie hatten ihn verwechselt. Als er nach seinen Papieren griff, wurden 41 Schüsse auf ihn abgefeuert, die Polizisten wurden freigesprochen. 2012 widmete Springsteen den Song dem afroamerikanischen Jugendlichen Trayvon Martin. Er wurde, ähnlich wie Diallo, von einem Angehörigen einer weißen "Bürgerwehr" abgeknallt. In der CD-Fassung beginnt der Song eher nachdenklich und entwickelt sich zu einer kraftvollen Anklage gegen den alltäglichen Rassismus ("You can get killed just for living in your american skin").

"The Wall" geht zurück auf ein ähnliches Lied von Joe Grushecky aus dem Jahr 2002. Es ist eines der ruhigen, melancholischen Lieder. Springsteen widmet den Song dem Musiker Walter Cichon aus New Jersey, einem Jugendfreund. Cichon wurde 1968 nach Vietnam eingezogen und bereits im März 1968 als vermisst gemeldet. "And apology and forgiveness have no place here at all at the wall (Entschuldigung und Vergebung haben hier keinen Sinn ...)". Bei der Veröffentlichung von "Wrecking Ball", dem Vorgängeralbum von "High Hopes" erklärt Springsteen: "Meine Musik war immer patriotisch, aber das ist ein kritischer, wütender Patriotismus." Schließlich "The Ghost of Tom Joad". Ein Lied mit einem unglaublichen Hintergrund. Tom Joad, 1939 von John Steinbeck in "Früchte des Zorns" als Romanfigur erschaffen, 1941 in der Verfilmung von Zsolnay mit Henry Fonda ein Riesenerfolg. 1941 sieht Woody Guthrie den Film in New York und komponiert in der gleichen Nacht noch sein Lied "Tom Joad". 1995 veröffentlicht Springsteen sein Album "The Ghost of Tom Joad" und überträgt die Geschichte ins Heute. 2009 tritt Springsteen zusammen mit Tom Morello mit diesem Song beim 90. Geburtstag von Pete Seeger vor zwanzigtausend begeisterten Zuhören in New York auf. In der CD-Version streut Morello zwei atemberaubende Soli in den Song ein. Soozie Tyrell leitet das Lied mit ihrer Violine langsam ein, Morello und Springsteen singen die Strophen abwechselnd. "Welcome to the new world order ... no home, no job, no peace, no rest" (Willkommen in der neuen Weltordnung ... kein Zuhause, keine Arbeit, keinen Frieden, keine Ruhe). Springsteen bleibt sich treu und zitiert im Song die Worte Tom Joads aus Steinbecks Roman: "Mutter, wo immer ein Polizist einen Menschen schlägt, wo immer ein neugeborenes Baby hungrig schreit, wo gegen das Blutvergießen und den Hass gekämpft wird ... oder um einen anständigen Job, wo auch immer sich jemand abmüht frei zu sein, da wirst du mich sehen". Springsteens Patriotismus und seine Ideale sind an den Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten der kleinen Leute, der arbeitenden Menschen orientiert. Das imponiert Millionen, nicht umsonst füllt er die größten Stadien. Springsteens Credo passt in diese Zeit, aber eben nicht in die online-Ausgabe der "Zeit".

"High Hopes" gibt es in zwei Versionen: Einmal als sehr günstige CD-Version und als Limited Edition mit einer Bonus-DVD mit dem 62-minütigen London-Konzert von 2013, auf der das komplette "Born in the USA"-Album gespielt wird.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 7 vom 14. Februar 2014, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2014