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INTERVIEW/018: Zuerst einmal Spaß und Freude - die Tüdelband im Gespräch (SB)


Bock auf Plattdeutsch

Interview mit der Hamburger Tüdelband am 20. Februar 2013 im Harburger Kulturcafé "Komm du"



Die Hamburger Tüdelband ist eine der jüngsten deutschen Bands, die sich mit eigenen Songs ganz dem heimischen Dialekt verschrieben hat. Die vier MusikerInnen, Mire (Gesang, Gitarre, Akkordeon und Klavier), Malte (Schlagzeug), Tim (Gitarre) und Jakob (Bass) verbindet die Liebe zum Plattdeutschen mit engagierter musikalischer Professionalität. Welch mitreißende, witzige, aber auch melancholische Mischung dabei herauskommen kann, bewiesen die vier am Abend des 20. Februar bei ihrem Auftritt im Kulturcafe "Komm du". Danach nahmen sie sich die Zeit für ein entspanntes Gespräch mit dem Schattenblick über ihre Geschichte, über Wünsche und Visionen und die Chancen einer Band, die auf Platt setzt.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Gemütliche Gesprächsrunde mit der Tüdelband: Jacob, SB-Redakteurin, Malte, Tim und Mire (v. lks.)
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Schattenblick (SB): Seit wann macht ihr zusammen Musik und was ist eure Geschichte?

Mire: Die Tüdelband gibt es jetzt seit gut drei Jahren. Seitdem sind wir zusammen unterwegs und spielen ganz viele Konzerte, überwiegend in Norddeutschland. Den Bandnamen haben wir in dem alten Hamburger Lied "Anne Eck steit'n Jung mit'n Tüdelband" gefunden. Seitdem sind wir auch mit dem Namen "Die Tüdelband" unterwegs.

SB: Wie habt ihr euch kennengelernt?

Tim: Ganz verschieden. Einige von uns kennen sich schon ganz lange, auch außerhalb vom Musikerleben, einfach als Freunde. Und andere hat Mire auf der Suche nach Bandkollegen im Laufe ihrer Musikausbildung in Hamburg kennengelernt.

SB: Was macht ihr sonst so, wenn ihr keine Musik macht?

Mire: Wir sind eigentlich alle Berufsmusiker. Wenn wir nicht mit der Band unterwegs sind, machen wir andere Jobs, aber alles hat mit Musik zu tun.

SB: Gibt es die Perspektive oder Hoffnung, irgendwann einmal von der Band leben zu können?

Tim: Die Hoffnung gibt 's auf jeden Fall, die Perspektive hoffentlich auch, mal gucken, was daraus wird. Wir arbeiten daran.

SB: Und wie ist es dazu gekommen, daß ihr plattdeutsch singt?

Mire: Ich habe einen Sommer lang auf Fehmarn gearbeitet und da auch ein paar Songs geschrieben. Dabei habe ich einfach mal einen Text ins Plattdeutsche übersetzt. Das hat so viel Spaß gemacht, daß ich das mit mehreren Texten gemacht habe. Dann habe ich angefangen, auch auf plattdeutsch zu texten und mich noch mehr mit der Sprache zu beschäftigen. Schließlich habe ich Leute gesucht, die in einer Band spielen wollen, in der wir nur auf plattdeutsch singen.

SB: Was bedeutet "platt" für euch? Ist es eher der Spaß an der Andersartigkeit oder ist Platt auch eine Sprache, die Besonderheiten hat, die man im Hochdeutschen oder auch im Englischen nicht findet?

Malte: Für mich bedeutet "Platt" Identität und Geschichte - Geschichte, die hier und jetzt geschieht, denn alles, was jetzt ist, wird irgendwann Geschichte sein. Plattdeutsch ist schon von daher für uns im Norden eine Art Identität.

Tim: Viele verbinden plattdeutsch ja mit einer Sache, die einen Tick weiter zurückliegt, als das, was jetzt passiert. Was ich daran so super finde und was mir viel bedeutet, ist, daß wir mit der Band versuchen, diese Identität neu ins Hier und Jetzt zu setzen, mit Themen, die jetzt relevant und interessant sind und die junge Leute wie uns bewegen.

SB: Seht ihr das auch ein wenig im Zusammenhang mit einer Antiglobalisierungstendenz, daß man wieder mehr aufs Regionale geht?

Tim: So wie nationale Grenzen aufweichen, gibt es auch eine Tendenz, die ins Lokale zurückführt. Eigentlich ist das nichts Anti-Globalistisches, sondern ein Inbegriff von Globalisierung, denn in dem Moment, wo Länder, Hautfarbe oder was auch immer unwichtig sind oder sein sollten, ist es für einen selbst total cool, auf andere Identitäten zurückgreifen zu können.

SB: Das heißt in dem Sinne nicht deutsch und national, sondern eher norddeutsch oder noch kleiner?

Foto: © 2013 by Schattenblick

Gründete vor drei Jahren die Hamburger Tüdelband: Mire alias Miriam Buthmann
Foto: © 2013 by Schattenblick

Mire: Ich glaube, das hat gar nichts mit groß oder klein zu tun. Unsere Band ist nicht unbedingt auf den norddeutschen Raum beschränkt. Das Plattdeutsche wird natürlich überwiegend in Norddeutschland gesprochen, aber wir sind zum Beispiel auch in den Niederlanden, in Mittel- oder Süddeutschland auf Tour. Wir hatten auch schon ein Filmteam aus Baden-Württemberg da, das schließt sich nicht aus.

SB: Verstehen euch die Leute, die nicht plattdeutsch sprechen?

Malte: Ja und nein. Wenn sie selber platt schnacken, verstehen sie es besser. Aber gesungen ist es natürlich noch schwieriger. Dafür gibt es die Texte im Booklet der CD.

SB: Ihr streut ja auch während eures Konzerts einige
Übersetzungshilfen ganz gut dazwischen.

Tim: Ja, es hilft natürlich schon, wenn man grob weiß, worum es in dem Song geht oder was da passieren könnte, so daß sich die Leute, die plattdeutsch gar nicht oder nicht hundertprozentig verstehen, das selbst "zurechtreimen" können.

SB: Ist - was die Verbreitung über den norddeutschen Raum hinaus betrifft - eine Band wie BAP in Köln, die ja auch überregional spielt, ein Vorbild für euch?

Malte: Ja, da sieht man, daß es funktioniert.

Tim: Es gibt ja auch viele bayerische Songwriter oder Liedermacher, die das Bayerische songmäßig kultivieren - es geht also.

Malte: Ganz aktuell die LaBrassBanda, die bayerische Volksmusik mit Popmusik verbinden und die beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest 2013 auf dem zweiten Platz waren.

SB: Von Leuten, die fließend platt sprechen, praktisch als Muttersprache, habe ich erfahren, für sie sei das Besondere am Platt, daß man Dinge in einer großen Klarheit und Direktheit sagen kann, ohne daß sie verschärft überkommen. Würdet ihr das auch so sehen?

Mire: Ja.

Malte: Das macht genau das Klischee vom typisch kommunikations- unfreudigen Norddeutschen aus, was aber einfach damit zusammenhängt, daß man relativ schnell und relativ klar Sachen sagen kann und nicht, so wie ich jetzt gerade, einfach einen Satz immer weiterführt, mit tausend Kommas.

SB: Ich habe auch mal gefragt, was die Leute im Dorf machen, die sich nicht mögen, wie die denn miteinander reden? Und da kam die Antwort: Gar nicht. (Alle lachen)

SB: Woher nehmt ihr eure Themen?

Mire: Es sind aktuelle Themen, die mich entweder gerade beschäftigen oder zur Zeit gesellschaftlich dran sind, oder irgendwelche Geschichten aus Zeitungen, eben alles, was einen auch sonst so umgibt und was Inspiration für Texte bieten kann.

SB: Du hast also ein Thema und das macht Musik in deinem Kopf, oder wie funktioniert das?

Mire: Meistens habe ich die Themen erst in dem Moment, wenn ich mich ans Instrument setze. Das passiert gleichzeitig, daß Text und Musik entstehen.

SB: Und wie geht es dann weiter? Wie arbeitet ihr zusammen?

Tim: Das ist ein bißchen wie beim Hausbau. Das Fundament legt Mire, Text, Akkorde...

Mire: ... und die Melodie...

Tim: ... und dann setzen wir uns alle zusammen und bauen gemeinsam den Rest vom Haus.

SB: Und es kommt durchaus noch ein Balkon oder eine Terrasse dazu?

Jacob: Ja genau, und dann zanken wir uns über die Farbe der Wände und so ... (alle lachen)

Tim: Ein ziemlich gutes Bild.

Jacob: Und am Ende machen wir es wie hier, unten blau und oben weiß.

Jacob, Malte, Tim und Mire mit SB-Redakteurin (v. lks.) - Foto: © 2013 by Schattenblick

Interessante Fragen
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Ihr habt auch erzählt, daß ihr vorwiegend in kleinen Locations spielt. Ist das Not oder Programm?

Mire: Ich will ergänzen, es sind schon gerne, aber nicht vorwiegend kleinere Locations - wir spielen auch auf großen Bühnen. Toll ist, daß mit dieser Bandbesetzung und den Songs beides funktioniert. Wir können auch voll akustisch spielen. Im Dezember waren wir auf Wohnzimmer-Tour, das heißt, wir haben in privaten Wohnzimmern ohne jegliche Verstärkung gespielt, alles voll akustisch. Wir spielen aber auch auf großen Open-Air-Bühnen, es gibt beides.

SB: Ist mit der Wahl eurer Auftrittsorte auch eine bestimmte Botschaft verbunden, ein bestimmtes Engagement sozialer Natur, wenn ihr zum Beispiel im Knast spielt, so daß ihr sagt: Wo die Leute sonst nicht hingehen, gerade da spielen wir? Oder ist es eher der Reiz, neue Leute, neue Umgebungen kennenzulernen?

Malte: Für mich ist es beides. Im Knast zu spielen hat natürlich auch irgendwie eine soziale Komponente, aber an sich spielen wir hauptsächlich, weil wir total Bock darauf haben.

SB: Das merkt man.

Tim: Und dadurch ergeben sich dann verschiedene, auch ungewöhnliche Locations.

Malte: Ich würde aber schon sagen, daß eine soziale Komponente dabei ist.

Tim: Ja, auf jeden Fall.

Mire: Beim Sehbehinderten-Verein ...

Tim: ... in einem Bioladen ...

Mire: ... unter Nachbarn.

SB: Es hat mich überrascht, daß es inzwischen erstaunlich viele Bands gibt, die auf Plattdeutsch singen. Habt ihr dafür eine Erklärung?

Mire: Es gibt ein paar, die aber entweder überwiegend aus der Liedermacherszene kommen oder irgendwelche Rock- und Coversongs spielen. Von den Bands, die viel spielen und die das beruflich machen, sind wir mit Abstand die Jüngsten. Es gibt allerdings jetzt einen Wettbewerb in Niedersachsen, bei dem auch Schülerbands mit Hilfestellung einen Liedtext auf plattdeutsch machen können. [1] Aber das sind keine Bands, die unbedingt viel unterwegs oder sogar auf Tour sind.

Malte: Seit Plattdeutsch in die Charta der Regionalsprachen der EU aufgenommen wurde, gibt es Programme und Initiativen, junge Leute - mit mehr oder weniger gutem Erfolg - da heranzuführen. Es gilt, so wie Sorbisch und Gälisch, als förderungswürdig und bedarf aus dieser Sicht auch der Förderung.

SB: Habt ihr eine Vision - und sei es musikalischer Art -, einen Traum?

Malte: Ich glaube, man muß Visionen haben, als Mensch und als Musiker noch viel mehr. Man braucht ja irgendetwas, worauf man zuarbeitet. Natürlich haben wir eine Vision, aber die jetzt auszubreiten ...

Mire: Wir wollen weiter ganz viele Konzerte spielen und es schaffen, immer wieder CDs aufzunehmen und immer mehr Leute damit zu erreichen. Das wäre schon gut, wenn das klappt.

Tim: Man sieht ja, die Bühnen, auf denen wir spielen, werden größer. Wir haben letztes Jahr das erste Mal vor 1000 Leuten gespielt, nächstes Jahr spielt man das erste Mal vor 2000 Leuten, das Jahr darauf sind das dann 10.000. Also meine Vision oder mein Wunsch ist, immer noch so dicht bei den Leuten zu bleiben, und daß wir immer noch Wohnzimmer-Konzerte spielen. Das ist ein ganz anderes Gefühl, da hat man einen ganz anderen Kontakt, was nicht besser oder schlechter heißen soll. Aber es ist etwas komplett anderes, für die Zuschauer und auch für die Band. Und das möchte ich gern erhalten.

Tim und Mire - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Habt Ihr irgendwelche musikalischen Vorbilder?

Malte: Das ist wie mit den Visionen: Natürlich hat man Leute, von denen man etwas nimmt. Aber das ist verschieden, auch instrumentenspezifisch. Ich könnte jetzt Namen von Schlagzeugern nennen, aber ich mag natürlich alle tollen großen Schlagzeuger wie alle tollen, guten, kleinen Schlagzeuger da draußen. Alles, was uns inspiriert, ist ein Supervorbild, auf welche Art auch immer.

SB: Keine besondere Stilrichtung wie Blues oder Soul?

Mire: Nein. Das ist es, glaube ich, was die Band ausmacht, daß jeder musikalisch aus unterschiedlichen Ecken kommt. Wir können deswegen eine ganz schön große Bandbreite an Stilistiken einfach mit einbauen - und das durch die Sprache zu verbinden, ist, glaube ich, das Besondere an der Band.

B.: Sprecht Ihr untereinander ab und zu plattdeutsch?

Malte: Een beten, immer mal so eingestreut.

Tim: Es mischen sich heimlich immer mehr Wörter unter.

SB: Gibt es überhaupt noch viele junge Leute, die plattdeutsch sprechen, oder habt ihr Angst, daß das Platt ausstirbt?

Mire: Ich glaube, daß wir da nichts dran tun werden, wenn es ausstirbt, dann wird es so sein. Ich glaube, in Hamburg ist die Lage schwierig, weil da ganz viele Zugezogene und Studenten sind, nicht nur aus dem Ausland, sondern auch aus dem Umland oder aus Süddeutschland. Ich finde es aber spannend, das zu beobachten.

SB: Aber es ist nicht in erster Linie euer Engagement, das Platt am Leben zu erhalten?

Mire: Ich glaube, da muß man sich selbst auch nicht zu ernst nehmen. Wenn wir ein paar Leute erreichen, die das gut finden, schön. Aber eine Band wird das Platt nicht retten.

SB: Vielleicht schleichen sich ja die einen oder anderen Redewendungen ein. So wie wir anglifiziert worden sind, werden wir vielleicht irgendwann einmal 'verplattet'?

Mire: Das merken wir schon nach Konzerten. Bei Leuten, die sonst nicht platt sprechen, fällt da auf einmal so ein Wort. Das geht scheinbar recht schnell, weil ganz viele Leute das eben auch vom Hören her kennen. Und dann schleichen sich die Wörter so ein.

SB: Ist das der subversive Faktor der Tüdelband?

Mire: (lacht) Wir machen euch platt.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Anmerkung

[1] "Plattsounds" (seit 2011) ist ein niedersächsischer Musikwettbewerb für Nachwuchsmusiker zwischen 15 und 30 Jahren. Rap, Rock, Pop, Hiphop oder Rockabillie - die Bands, die sich bewerben, sind in der Wahl ihres Musikstils völlig frei. Wer Plattdeutsch nicht beherrscht, dem helfen die Initiatoren bei der Übersetzung seiner Texte.


28. Februar 2013