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INTERVIEW/042: HipHop von unten - Triumph der Pseudolinken ...    Kaveh im Gespräch (SB)


Im Dickicht des Gesinnungsverdachtes

Interview beim Klassenfest in Hamburg am 2. Mai 2015 in Hamburg


Kaveh stammt aus dem Iran, ist in Paris und Berlin aufgewachsen und macht seit über 15 Jahren Rap-Musik. Am Rande des HipHop-Open-Air-Konzertes "Klassenfest gegen Staat und Kapital", das am 2. Mai auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Sternschanze in Hamburg stattfand, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu seiner politischen Positionierung und seiner Musik.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Kaveh
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Kaveh, könntest du sagen, wie du zum Hip-Hop gekommen bist?

Kaveh: Ich bin über Freunde dazu gekommen, Rap-Musik zu hören. Das waren Gruppen wie Public Enemy und so weiter. Ich habe dann ziemlich schnell angefangen, selbst Texte zu schreiben, erst einmal auf Englisch und bald darauf auf Deutsch, Französisch und Persisch.

SB: Bei deinem Auftritt heute hast du grundlegende Positionen gegen Kapitalismus und Imperialismus bezogen. Ist das über die Musik gekommen oder warst du schon vorher politisch orientiert?

Kaveh: Ich komme aus einer linken Familie und bin sehr früh politisiert worden. Mit 14 Jahren habe ich zum ersten Mal das Manifest von Marx und Engels gelesen. Für mich gingen Rap-Musik und politische Texte immer zusammen, waren immer eine Einheit. Rap ist zudem diejenige Musik, in der man in kürzester Zeit die größtmögliche Anzahl von Wörtern benutzen kann, was natürlich auch dazu führt, daß man unweigerlich ins Politische kommt. Wahrscheinlich ist Rap die politischste Musikrichtung, die es überhaupt gibt, eben weil so viel in kurzer Zeit gesagt wird.

Für mich ist ohnehin alles politisch. Wenn Leute von sich selber behaupten, unpolitische Musik zu machen, ist auch das ein politisches Statement. Da ich selber politisch interessiert war und mich Ungerechtigkeiten immer schon berührt und schockiert haben, war es klar, daß ich auch solche Texte rappen würde.

SB: Du bist mit einer Kufiya (Palästinensertuch) aufgetreten, was in Deutschland als politische Aussage gilt. Hast du ein spezielles Interesse am Palästina-Konflikt?

Kaveh: Auf jeden Fall. Es heißt immer, die Deutschen hätten eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden. Man könnte aber auch die Meinung vertreten, daß Leute aus der jüngeren Generation nichts mit dem Holocaust zu tun haben. Wenn man aber schon die Position vertritt, daß Deutschland aufgrund des Holocausts eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden hat, ist es aus meiner Sicht heuchlerisch und mit zweierlei Maß gemessen, wenn im gleichen Atemzug gesagt wird, die Deutschen hätten keine Verantwortung gegenüber den Palästinensern. In diesem Zusammenhang stimme ich mit Moshe Zuckermann überein, der die Ansicht vertritt, daß die Deutschen dadurch, daß sie den Holocaust verursacht haben, sowohl Verantwortung gegenüber den jüdischen Menschen als auch gegenüber den Palästinensern tragen.

Sieht man einmal von britischen Kolonialinteressen, die bereits vor dem 2. Weltkrieg einsetzende Besiedelung Palästinas und anderen Machtkontexten der Zeit ab, war der Holocaust mitverantwortlich dafür, daß die Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben wurden und mittlerweile über sechs Millionen Palästinenser nicht mehr in Palästina leben dürfen. Unglaublich viele Menschen sind dabei getötet und enteignet worden. Auch das Schicksal der Palästinenser liegt mit im Verantwortungsbereich der deutschen Nation und Zivilgesellschaft. Für mich ist es enorm wichtig, auf diesen Zusammenhang aufmerksam zu machen, gerade als jemand, der in Deutschland lebt. Dies gilt aber vor allem für die weißen Deutschen, weil es ein weißes deutsches Problem ist, daß man sich zwar mit dem Staat Israel, aber nicht mit den Palästinensern solidarisiert. Das zeigt, wie rassistisch und mit welchen Doppelstandards die weiße Mehrheitsbevölkerung auf der einen Seite und ein nicht unerheblicher Teil der radikalen Linken auf der anderen Seite mit diesem Thema umgeht.

SB: Dieses Thema wird in Deutschland zwischen verschiedenen linken Flügeln sehr konfrontativ behandelt. Offenbar hattest du kein Problem damit, deine Position heute auf dem Klassenfest zu vertreten.

Kaveh: Es ist schon ein Problem gewesen. So haben bestimmte Leute Flyer verteilt und mich und andere Teilnehmer wie Qazid darin als Antisemiten denunziert. Man hat uns (also Holger Burner, S. Castro, Derbst One und mir) auch eine verkürzte Kapitalismuskritik vorgeworfen. Ich bezeichne diese Leute als Antideutsche, und offenbar haben sie den Kapitalismus und die Kritik daran nicht verstanden. Die Kapitalismuskritik findet sowohl auf abstrakter Ebene im Sinne systemimmanenter Faktoren und der Eigendynamik der Kapitalverwertung als auch auf einer sogenannten personalisierten Ebene statt. Wenn mir vorgeworfen wird, daß ich Banken, Konzerne und Personen im Machtapparat wie zum Beispiel den US-Präsidenten Barack Obama kritisiere, dann negiert man den Klassenkampf damit vollständig und tut so, als ob die Masse ein böser Pöbel wäre. So werden dann Blockupy Protestler (z.B. von der Antilopen Gang, der populärsten Rap-Band innerhalb der "radikalen Linken" in Deutschland) oder anti-G7 Demonstranten schnell zu strukturellen Antisemiten umgedeutet. Das ist im Kern eine menschenverachtende Position, mit der ich überhaupt nicht übereinstimme. Wer die Dialektik von abstrakter und konkreter Kapitalismuskritik nicht zusammen denkt und den Klassenkampf ablehnt, trägt dazu bei, den Kapitalismus zu erhalten und zu reproduzieren.

Ich bekomme sehr viele Probleme wegen dieser Positionen. So wurde mir vor einer Woche aufgrund des Antisemitismusvorwurfs ein Konzertverbot im AZ Mühlheim erteilt, und das einen Tag vor dem Konzert. Überhaupt habe ich Schwierigkeiten, in Deutschland meine Position zu vertreten. Schon mehrmals bin ich ausgeladen worden. Für mich ist die radikale deutsche Linke die zurückgebliebenste radikale Linke weltweit. Ich habe in Frankreich, Spanien und Kanada gelebt, aber nirgendwo werden prozionistische und pro-US-amerikanische Positionen so vehement vertreten wie in der radikalen Linken in Deutschland. Das ist eine Schande, weil Deutschland die Wiege des wissenschaftlichen Kommunismus ist, aber gleichzeitig die reaktionärste radikale Linke besitzt.


Kaveh hebt die Faust auf der Bühne - Foto: © 2015 by Schattenblick

Internationalist aus Praxis und Prinzip
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Wie wird deine Position als Kommunist innerhalb deines Umfeldes, ob nun migrantisch oder deutsch, aufgenommen? Erfährst du viel Solidarität oder bist du eher der Außenseiter?

Kaveh: Die Solidarität kommt vor allem von Leuten mit Migrationshintergrund, von Mitmenschen mit kurdischer, türkischer und arabischer Abstammung. Von der radikalen Linken unter den weißen Deutschen werde ich leider oft ignoriert oder als Antisemit bezeichnet. Da tut sich teilweise ein Graben auf zwischen den Leuten mit Migrationshintergrund, die nachvollziehen können, warum ich propalästinensisch und gegen den Imperialismus bin, und Leuten mit weißem deutschen Hintergrund, die aus dem sogenannten deutschen Schuldbewußtsein heraus alles, was in Richtung Israel-Kritik und Kritik der amerikanischen Außenpolitik geht, als strukturell antisemitisch verdammen.

SB: Das antideutsche Phänomen war Anfang der nuller Jahre sehr verbreitet, scheint jedoch in den letzten Jahren zurückzugehen. So sind beim Blockupy-Bündnis in Frankfurt ganz verschiedene Lager der Linken geschlossen gegen den Kapitalismus in der EU angetreten. Könntest du dir vorstellen, daß diese Problematik vielleicht einmal überwunden wird, um gemeinsam eine eindeutige Position gegen Imperialismus und Kapitalismus zu beziehen?

Kaveh: Ich habe die Hoffnung, aber leider sehe ich momentan die Tendenz, daß antideutsche Strömungen und ihr Gedankengut eher zunehmen. Im Unterschied zu den 90er Jahren bezeichnen sich Leute, die heute eine antideutsche Position vertreten, selber nicht als Antideutsche. Das heißt, wir haben heutzutage das Phänomen, daß viele Linke wie zum Beispiel Gregor Gysi oder der Realoflügel der Linkspartei sich zwar nicht als Antideutsche sehen, aber ganz klar antideutsche Positionen vertreten. Diese Entwicklung ist inzwischen im radikalen linken Mainstream angekommen, wo dieser Standpunkt praktisch als radikale linke Position dargestellt wird. Das macht es natürlich schwieriger, Kritik daran zu üben, weil die Leute dann darauf kontern: Erkläre mir doch bitte, was daran antideutsch sein soll?

Es mag wohl so sein, daß Leute, die sich ganz offen als Antideutsche bezeichnen, im Rückgang begriffen sind, aber dafür werden antideutsche Positionen und Ideologien viel stärker als noch in den 90er Jahren vertreten. Diese Tendenz ist sehr gefährlich und hat im Endeffekt dazu geführt, daß Kriegseinsätze wie in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und jetzt in Syrien von immer mehr radikalen linken Kräften legitimiert werden. Dadurch wird eine antiimperialistische Arbeit, also daß man prinzipiell gegen westliche Kriegseinsätze ist, ungleich schwieriger.

SB: Du rappst in mindestens drei Sprachen. Welches spezielle Verhältnis hast du zur deutschen Sprache?

Kaveh: Deutsch ist die Sprache, die ich am besten beherrsche, weil ich den größten Teil meines Lebens in Deutschland verbracht habe. Natürlich sind andere Sprachen immer eine Bereicherung, und meine Muttersprache ist Persisch, aber Deutsch ist die Sprache, in der ich mich am wohlsten fühle.

SB: Hast du Vorbilder in der deutschen Literatur, die Einfluß auf deine Lyrics haben?

Kaveh: Es gibt sehr viele Einflüsse aus dem deutschsprachigen Bereich, von Marx und Engels bis zu den deutschen Literaten Stefan Zweig, Hermann Hesse, Goethe und Bertold Brecht. Die deutschsprachige Literatur ist auf jeden Fall Teil meiner Biographie, aber nicht nur. Ich versuche durchaus, verschiedene Kulturen und Einflüsse in meine Texte einfließen zu lassen.

SB: Du hast eine Zeitlang auch in Frankreich gelebt, wo die sozialen Konflikte etwas anders gelagert sind, weil der migrantische Bevölkerungsanteil vor allem aus dem Maghreb stammt. Wie hast du den Rassismus in der französischen Gesellschaft, der nach wie vor existent ist und sich seit dem Anschlag auf das Verlagshaus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo verschärft hat, erlebt?

Kaveh: Die Franzosen sehen sich als Hort der Kultur und als Ursprungsnation der Aufklärung und denken, sie müßten den anderen aufzeigen, was Zivilisation und Kultur bedeuten. Die Heuchelei in Europa ist vielleicht nirgendwo so stark anzutreffen wie in Frankreich, wo auf der einen Seite Je suis Charlie propagiert wird und auf der anderen Seite massenhaft Leute verhaftet worden sind, sogar ein achtjähriger Junge wurde verhört, nur weil er sich nicht mit Charlie solidarisiert hat. Die Doppelstandards sind in Frankreich wahrscheinlich stärker ausgeprägt als in jedem anderen europäischen Land. Es ist schockierend, in welchem Ausmaß die afrikanische und arabische Bevölkerung dort diskriminiert wird. Mitten in Paris gibt es Zustände wie in der Dritten Welt. Während die Meinungsfreiheit unterprivilegierter Rapper und Satiriker regelmäßig eingeschränkt wird, können diejenigen, die zum Establishment gehören, so gut wie alles sagen, was sie wollen und werden dafür auch noch medial abgefeiert. Da ist es kein Wunder, daß sich die Leute nicht mit Je suis Charlie solidarisieren.

Mir persönlich ist es wichtig, für Meinungsfreiheit einzutreten. Man soll auch Religion kritisieren dürfen, aber man sollte dabei nicht vergessen, daß Charlie Hebdo in erster Linie Muslime, weit weniger Christen und Juden angegriffen hat. Auch das politische Establishment in Frankreich wurde weniger attackiert als Muslime. Es ist immer sehr fraglich, wenn man in einer Mehrheitsgesellschaft, in der Muslime eine Minderheit bilden, sozial und wirtschaftlich ausgegrenzt werden und politisch kaum vertreten sind, am meisten auf sie eindrischt. Es kommt immer auf den Kontext an. Wenn man im Iran oder in Saudi-Arabien lebt, ist es legitim, die Fundamentalisten und den Islam zu kritisieren und anzugreifen. Aber wenn man in Europa lebt, wo antimuslimischer Rassismus stark zunimmt, ist es problematisch. Insofern war das, was Charlie Hebdo gemacht hat, selbst wenn seine Autoren das Recht haben sollten, über alles zu schreiben, nicht verantwortungsbewußt.

SB: Mit der iranischen Revolution war das Schicksal der Kommunisten, die von Khomeini im großen Ausmaß umgebracht wurden, besiegelt. Wie bewertest du, daß der Iran einerseits wegen seines Atomprogramms von den USA und anderen Ländern attackiert wird, aber andererseits mit einem autokratischen Islamismus schiitischer Prägung die eigene Bevölkerung brutal unterdrückt?

Kaveh: Ich stehe dem iranischen Regime sehr kritisch gegenüber. Es ist ein menschenverachtender Staat mit verschiedenen Machtpolen: auf der einen Seite die Geistlichkeit und auf der anderen Seite die paramilitärischen Basidschi. Die iranische Regierung hat sehr viele Oppositionelle umgebracht, die Frauenrechte beschnitten und die Ressourcen des Landes ausgebeutet, ohne Geld in eine nachhaltige Ökonomie zu investieren. Natürlich ist das Schah-Regime nicht besser gewesen. Es ist tragisch, was im Iran passiert. Die Menschen sind desillusioniert und wollen keinen theokratischen Staat mehr. Die nächste Regierung, die den Mullas und Militärs folgen wird, sei es durch einen reformerischen Wandel oder durch eine Revolution, wird auf säkularen Prinzipien basieren als Folge dessen, was die Leute in den letzten 30 Jahren erlebt haben.

SB: Das Konzert heute läuft unter dem klassischen Agitprop-Anspruch, Menschen zu erreichen, die nicht politisiert sind. Kannst du dir vorstellen, daß das Vorhaben aufgeht oder zumindest dazu führt, daß sich mehr Menschen mobilisieren lassen?

Kaveh: Das wird sich herausstellen. Jedenfalls ist die Idee, unpolitische Leute vielleicht doch noch zu politisieren, gut. Ich kenne viele, die sich erst durch Rap-Texte politisiert haben. Natürlich muß man es mit dem Verteilen von Flugblättern und so weiter kombinieren und die Leute auch direkt ansprechen, damit sie sich politisch organisieren oder bestimmten Organisationen anschließen. Wahrscheinlich muß man dazu noch systematischer vorgehen als heute, aber es ist erst einmal ein guter Anfang. Ich glaube, daß die Kombination aus Unterhaltung und Politik etwas bewegen und zur Massenmobilisierung beitragen kann.

Jedenfalls hat man an der alten Friedensbewegung in Deutschland gesehen, daß das Konzept der Aufmärsche nicht aufgeht. Die Mahnwachen haben effektiver mobilisiert, unter anderem, weil sie gut vernetzt sind, bessere Technik besitzen und auch die Kultur mit einbringen. Daß auch rechte Strömungen dabei sind, spricht ja nicht gegen das Konzept als solches. Auf jeden Fall muß sich da die radikale Linke an die eigene Nase fassen und erkennen, daß sie viel falsch gemacht hat, vor allem durch eine schlechte PR in den sozialen Netzwerken und das Fehlen eines Kulturprogramms. Da gibt es viel zu lernen. Auch ein Zusammenschluß mit anderen Gruppen wäre sinnvoll. Ich glaube, die Zukunft liegt darin, daß man politische Themen popularisiert und verbreitet, und warum nicht durch Musik.

SB: Kaveh, vielen Dank für das Gespräch.


Kaveh auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2015 by Schattenblick   Kaveh auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2015 by Schattenblick

Fotos: © 2015 by Schattenblick



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