Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


INTERVIEW/043: Burg Waldeck - Salamitaktik ...    Amazon-Streikende im Gespräch (SB)


Rationalisierungsdruck und Gegenwehr

Linker Liedersommer auf Burg Waldeck vom 19. bis 21. Juni 2015


Seit Ende 2013 wird in den deutschen Niederlassungen des Versandhändlers Amazon immer wieder gestreikt. Im Kern geht es darum, daß die Arbeiterinnen und Arbeiter Bezahlung nach den Tarifen des Versandhandels fordern. Es geht aber auch um die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und die Frage, ob und wie detailliert Arbeitsprozesse überwacht werden dürfen. Am Rande des Linken Liedersommers hatte der Schattenblick Gelegenheit, von zwei Gewerkschaftsaktivisten aus der Amazon-Belegschaft in Bad Hersfeld und einem Gewerkschaftsfunktionär mehr über die Austragung des Arbeitskampfes zwischen den Lohnabhängigen und der Unternehmensführung in Erfahrung zu bringen.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Gesprächsrunde auf dem Linken Liedersommer
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könntet ihr euch bitte vorstellen und eure Funktion im Rahmen des Streiks umreißen?

Martin Schierl (MS): Mein Name ist Martin Schierl, ich bin 42 Jahre alt und arbeite jetzt im sechsten Jahr im Standort Bad Hersfeld. Ich habe bei Amazon so ziemlich jede Abteilung durchlaufen und bin jetzt in der Retouren-Annahme beschäftigt. Ich bin Gewerkschaftsmitglied und in die Tarifkommission gewählt. Ich bin Vertrauensmann und habe noch verschiedene andere Funktionen bei ver.di.

Heiner Reimann (HR): Mein Name ist Heiner Reimann, ich bin 40 Jahre alt und inzwischen Gewerkschaftssekretär bei der IG-Metall. Ich war bis April dieses Jahres bei ver.di und habe im Jahr 2011 zusammen mit dem Kollegen Julian Jaedicke ein Organizing-Projekt bei Amazon in Bad Hersfeld geleitet. Im Anschluß daran habe ich den Betrieb von 2012 an bis 2015 mit der regional zuständigen Kollegin betreut. Ich bin Streikleiter und Mitglied der Tarifkommission.

Christian Krähling (CK): Mein Name ist Christian Krähling, ich arbeite seit 2009 bei Amazon und habe damals wie fast alle anderen auch als befristete Weihnachtsaushilfe angefangen. Ich hatte dann die Gelegenheit, mich intern für eine etwas besser situierte Stelle zu bewerben und erhielt schließlich meinen Festvertrag. Bei mir gab es keinen konkreten Anlaß, mich gewerkschaftlich zu organisieren, weil ich eigentlich immer schon in der Gewerkschaft war. Für mich war klar, daß ich mich, sobald ich den Festvertrag habe, stärker in der Gewerkschaft engagiere, zumal es in meiner Abteilung einige Sachen gab, die ein Engagement nötig gemacht haben.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Heiner Reimann
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Heiner, könntest du etwas zum Verhältnis Amazons zu den Gewerkschaften sagen? Wie hoch ist der Organisierungsgrad bei Amazon und gibt es seitens des Konzerns Bestrebungen, gewerkschaftliches Engagement zu unterbinden?

HR: Amazon hat grundsätzlich kein Interesse an irgendwelchen Beziehungen zur Gewerkschaft, das kann man nach wie vor feststellen und festhalten. Das war von Anfang an so. Weil ich dort nicht mehr beschäftigt bin, kann ich zum Organisierungsgrad nur soviel sagen, daß wir in Hersfeld über 1000 Mitglieder haben. Der aktuelle Mitarbeiterstand im Unternehmen müßte bei 3200 liegen. Weil die Fluktuation bei Amazon traditionell hoch ist, gebe ich ungern Zahlen an. Die sind in dieser Firma so schnell überholt, daß sie realistisch nicht zu benennen sind.

Bei der ganzen Auseinandersetzung geht es für Amazon letztendlich um eine grundsätzliche Frage. Amazon ist nach wie vor nicht bereit, Gespräche als Verhandlungen zu bezeichnen. Wir könnten jeden Tag Gespräche haben, die Firmenleitung ist immer freundlich, amerikanisch, unverbindlich. Sie würde uns auch immer zuhören und Probleme auch mitnehmen, aber dann sind sie weg. Ins Verhandeln kommen wir nicht. Gleichzeitig muß man aber auch festhalten, daß Amazon auf unsere Bewegungen reagiert hat und das immer noch tut. Wie Amazon dabei vorgeht, würde ich als sehr geschickt bezeichnen. Amazon nimmt all die Themen, die die Aktiven bringen und die von ver.di gebracht wurden, gerne als Vorlage, um an der Stelle etwas zu verbessern.

So hatten wir vor Jahren einmal Probleme mit dem Essen, weil es wirklich nicht gut war. Daraufhin organisierten wir eine Aktion unter dem Arbeitstitel: Ohne Mampf kein Kampf. Amazon hat relativ schnell darauf reagiert und einen neuen Caterer beauftragt, der tatsächlich gutes Essen gebracht hat. Das betraf den Wechsel eines Vertragspartners, aber das nächste Beispiel ist noch krasser. Mit der Aktion Pausenklau haben wir moniert, daß die Wege vom Arbeitsplatz bis zur Pause und zurück zu lang sind und daß Amazon sie auf die Brutto-Pausenzeit angerechnet hat. Letztlich hat unsere Aktion dazu geführt, daß Amazon dezentrale Pausenräume eingerichtet hat. Sie haben richtig Geld in die Hand genommen und eine Decke in diesen Blechkästen eingezogen. Es gibt sogar eine Sichtverbindung nach außen, Tischfußball, Palmen, alles ist hell und freundlich. Daran zeigt sich das Vorgehen von Amazon, aber was sie nicht wollen, ist ein kollektivrechtlicher Vertrag.

SB: Martin, könntest du etwas zu den Arbeitsbedingungen bei Amazon sagen? Wie wirkt sich die betriebswirtschaftliche Rationalisierung auf die Lager- und Verpackungstätigkeiten aus, die wohl einen Großteil der dort zu verrichtenden Arbeit ausmachen?

MS: Ich möchte das einmal am Beispiel eines Pickers aufziehen. Ein Picker ist jemand, der durch die Regalreihen laufen und mit einem Handscanner das jeweilige Regal und den gesuchten Artikel einliest und auf einem schiebbaren Wagen, den Cart, hinterlegt. Dabei muß der Picker den Wagen mit dem Handscanner ebenfalls hinterlegen. Das heißt, der Picker läuft los, macht an Regalreihe XY seinen ersten Pick, der auf diese Weise zeitlich hinterlegt ist. Dann geht er zu seinem nächsten Pick, auch dieser Pick ist zeitlich hinterlegt. Er geht zu seinem dritten, vierten, fünften Pick und so weiter. Die Picks sind alle zeitlich hinterlegt. Nun verlangt man von einem Picker, daß er in einer Minute zwei bis drei Picks macht. Wenn der Picker fünf Minuten steht, bekommt er eine Nachricht auf seinem Handscanner mit der Frage, was er denn macht. Auf diese Weise haben wir ein totales Überwachungssystem, so ähnlich, wie es George Orwell in seinem Roman "1984" beschrieben hat.

HR: Amazon sichert sich zum Beispiel auch gegen Diebstähle von Waren ab, indem man durch Schleusen, ähnlich wie an einem Flughafen, hindurchgehen muß. Sobald die Schleuse ein rotes Signal absendet, muß man in einen Nachbarraum und wird dort mit tragbaren Handscannern durchleuchtet.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Christian Krähling
Foto: © 2015 by Schattenblick

CK: In meiner Abteilung haben wir zum Beispiel gegen die Lautstärke am Arbeitsplatz protestiert, was sich aufgrund unseres offensiven Vorgehens dann auch zum Besseren geändert hat. Wir arbeiten am Bildschirm, aber der Arbeitsplatz war früher mitten in der Halle, wo es naturgemäß ziemlich laut ist. Für eine Arbeit, bei der man sich konzentrieren muß, war das unmöglich. Es war auch eine starke psychische Belastung. Als wir das ein paarmal angemerkt haben, hielt man uns entgegen, daß die internen Messungen ergeben hätten, daß die Belastung unter dem Grenzwert liegt. Daraufhin haben wir selber nachgemessen und gesehen, daß der Lärmpegel eben nicht unter dem Grenzwert ist. Wir haben dann mit dem Betriebsrat und den Ämtern gedroht, woraufhin der Arbeitsplatz umgesetzt wurde. Für einige in der Abteilung war das Anlaß genug, in die Gewerkschaft zu gehen, weil man Rechtsschutz braucht, gerade bei Amazon.

SB: Wie sehr stößt das Kontrollregime in der Belegschaft auf Widerstand, da es doch zu Lasten der eigenen Bewegungsfreiheit und Zeiteinteilung geht?

CK: Leider muß ich sagen, daß das der Mehrheit im Betrieb entweder nicht bewußt ist oder daß sie sich nicht darum kümmert. Ein Teil der Belegschaft befürwortet das sogar, weil ihnen immer wieder eingehämmert wurde, daß wir kontrolliert werden müssen. Auf der letzten Betriebsversammlung hat eine Kollegin sich zu Wort gemeldet und sich darüber mokiert, daß wir die Überwachung kritisieren. Sie beharrte darauf, daß wir überwacht und kontrolliert werden müßten und es ohne Scanner nicht gehen würde.

SB: Ein modernes Dienstleistungsunternehmen versucht natürlich, die Arbeiterinnen und Arbeiter in die Unternehmensziele einzubinden. Was für Strategien fährt Amazon dazu, wird ein Unternehmensethos beschworen oder gibt es materielle Anreize?

MS: Zur strategischen Einbindung der Arbeiter hat sich Amazon zum Beispiel die Sache mit dem Aktienpaket einfallen lassen. Wir bekommen jedes Jahr ein Aktienpaket in Höhe von circa 950 Dollar. Jetzt muß man aber wissen, daß dieses Aktienpaket nicht an den Gewinn der Firma gebunden ist. Das heißt, wenn die Aktie steigt, erhalten wir schlichtweg weniger Aktien. Man ist nicht real am Unternehmen beteiligt, aber Amazon stellt das gerne dennoch so dar und schafft es darüber, die Mitarbeiter auf seine Seite zu ziehen.

HR: Das Motto "Work hard, have fun, make history" ist programmatisch und gut geeignet, um zu beschreiben, was dort passiert. Bei Amazon geht es letztlich nur um die Frage, die Zahlen pro Stunde und damit den Output zu erhöhen. Das ist vergleichbar mit einem Akkordproduktionsbetrieb in den 1960er Jahren, wo sich alles darum drehte, ob man 100 oder 120 Werkstücke in der Stunde schaffte. Die Abläufe sind die gleichen. Bei Amazon wird alles gemessen. Der Scanner ist nicht nur so etwas wie ein Navigator innerhalb des Lagers, der den kürzesten Weg berechnet, er mißt gleichzeitig auch, wie lange der Kollege für das Erledigen der Bestellung braucht, wo er sich aufhält, wo er Fehlbuchungen hat. Das wird später analysiert und dazu verwendet, die Arbeit noch effektiver zu machen. Letztendlich trägt das Gerät dazu bei, daß man nicht mehr so viele Hands, wie die Mitarbeiter bei Amazon heißen, braucht.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Martin Schierl
Foto: © 2015 by Schattenblick

MS: Das kann man auch ganz gut daran verdeutlichen, daß die Lohnbuchhaltung bei Amazon "human ressources" heißt, also eigentlich für menschliches Kapital steht. Ein weiterer Punkt, an dem man erkennen kann, wie eng diese Zeitmessungen sind, ist, daß Amazon den Mitarbeitern auferlegt, bis zum Glockenschlag zu arbeiten. Erst dann dürfen sie in die Pause gehen, die eine halbe Stunde beträgt, aber sie müssen zum Glockenschlag wieder an ihrem Arbeitsplatz sein. Das heißt, von dieser halben Stunde Pause gehen bei manchen Mitarbeitern nochmal gut zehn Minuten Wegezeit ab, um vom Arbeitsplatz in den Pausenbereich und wieder zurück zu gehen.

SB: Wie umfassend ist der Arbeitskampf, betrifft er auch die anderen Standorte des Unternehmens?

MS: Die Arbeitsbedingungen an den anderen Standorten sind ähnlich. Wir streiken mittlerweile an sechs von acht Standorten. Bei den beiden übrigen sind die Streiks noch in der Vorbereitung, dort hat ver.di schon Projekte im Anlauf. Ver.di hat darüber hinaus eingesehen, daß die Streiks nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Polen vorangetrieben werden müssen.

SB: Ver.di ist eine Dienstleistungsgewerkschaft. Gab es jemals die Frage, ob die Arbeit bei Amazon nicht woanders angesiedelt sein könnte?

CK: Nein, die Frage gab es nicht. Es gibt nur eine Kontroverse zwischen Handel und Logistik. In beiden Fällen wäre ver.di als Dienstleistungsgewerkschaft zuständig, wobei wir uns auf diese Diskussion nicht groß einlassen.

SB: Ist die Sprachregelung, daß Arbeiterinnen und Arbeiter "hands" genannt werden, etwas Spezifisches in der Unternehmenskultur von Amazon?

MS: Als ich bei Amazon über das Weihnachtsgeschäft 2009 befristet eingestellt wurde, erhielt ich tatsächlich einen DIN-A4-Zettel mit amazonüblichen Begriffen, die man zu lernen hatte. Amazon hat eine eigene interne Firmensprache, die ein Außenstehender so gar nicht begreifen würde.

SB: Könntest du einige Beispiele für amazontypische Begriffe nennen?

MS: Zum Beispiel gibt es bei Amazon den "tote", das ist eine Kiste, oder die "new hires", das sind neu anfangende Mitarbeiter, bzw. die "hiring assistances", das sind Mitarbeiter, die neue Leute werben.

CK: Die interessanteste Jobbezeichnung bei Amazon, die es inzwischen aber bei uns nicht mehr gibt, ist der "zombie hunter" (Allgemeines Gelächter). Sie sind durch die Reihen gelaufen und haben "zombies", also Waren, die aus dem Regal gefallen sind und dann im Gang liegen, gesucht. Jemand, der sie findet, wüßte gar nichts mit ihnen anzufangen. Die heruntergefallenen Waren kommen dann in sogenannte "amnesty bins", das sind extra Fächer im Regalsystem, wo Waren hineingelegt werden, die die normalen Mitarbeiter nicht zuordnen können. Dann kommen Spezialisten vorbei und finden heraus, in welchem Fach die Waren gestanden haben.

MS: Dann gibt es noch die Leadership-Regeln, also Führungsregeln für das höhere Management, wo beispielsweise drinsteht: "Nail the plan, hunt the plan and reach the plan". Die sollen einen Plan erstellen, sprich eine Zeitenvorgabe festlegen, und dann darauf hinarbeiten, wie das Arbeitsziel am besten erreicht werden kann.

SB: In der heutigen Arbeitswelt ist man froh, überhaupt einen Job zu haben. Dennoch werden Dienstleistungen häufig schlechter bezahlt als Industriejobs. Wie ist es mit dem Einkommensniveau bei Amazon bestellt?

CK: Übermäßig attraktiv sind die Löhne nicht. Dennoch gibt es viele, die damit zufrieden sind und nicht mitstreiken. Wir Streikenden sind die Minderheit. Die Mehrheit ist zwar nicht rundum glücklich, sagt sich aber, das ist auf jeden Fall besser als alles, was sonst in der Region im Angebot ist.

SB: Wie hoch ist in Bad Hersfeld der Anteil der Belegschaft, der aus Osthessen kommt und welche Arbeitslosenquoten herrschen im Umland?

MS: Amazon hat einen Einzugsbereich von Mitarbeitern in einem Umkreis von bis zu 200 Kilometern. Es gibt tatsächlich Mitarbeiter, die diese Strecke jeden Tag zur Arbeit fahren.

In Bad Hersfeld haben wir eine gesonderte Stellung, weil es früher Zonenrandgebiet war. Wir haben Ost- und Westdeutsche hier, denn durch die Entwicklung nach der Wende gab es im östlichen Teil Deutschlands eher weniger Arbeitsplätze, die zudem im unteren Lohnsektor lagen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Wenn jemand für fünf Euro an einer Tankstelle arbeitet und dann zu uns ins Unternehmen kommt, ist er glücklich, weil er mehr verdient. Es gibt aber auch die andere Seite, die sagt, wir müssen unsere Mitbestimmung im Betrieb erst einmal wahrnehmen, und diese Seite sind wir.


Philipp Hoffmann, Martin Schierl, Christian Krähling, Ernst Schwarz - Foto: © 2015 by Schattenblick

Lieder für den Arbeitskampf mit Ernst Schwarz
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Was hat euch hierher auf den Linken Liedersommer geführt, und welchen Zusammenhang gibt es zu eurer Streikaktivität?

MS: Während unserer Streikaktivitäten sind wir irgendwann auf Ernst Schwarz aufmerksam geworden. Wir haben ihn dann mehrmals während der Streiks als Begleitmusiker nach Bad Hersfeld eingeladen. Aufgrund dieser Mund-zu-Mund-Propaganda sind wir dann selber zum Bestreiken der EZB-Bank in Frankfurt gewesen, wo Ernst Schwarz heimisch ist. Er war praktisch unser Gastgeber dort. Das Ganze ist also ein Miteinander. Er macht Aktionen bei uns, und wenn er dann selber Aktionen woanders hat, beteiligen wir uns dort.

SB: Wie ist die Resonanz auf eure Aktivitäten in den Medien, sieht man es dort positiv, daß ihr euch zur Wehr setzt?

MS: In der Regionalpresse wird, je nachdem, wo die einzelnen Werke stehen, stark gegen die Streikenden geschossen. Die großen Medien verhalten sich da moderater. Wir versuchen natürlich, unsere Streiks so zu organisieren, daß sie zum Beispiel nicht mit dem Bahnstreik kollidieren, damit das Medieninteresse erhalten bleibt. Jetzt beim letzten Streik war kein größeres Medieninteresse vorhanden, aber ich denke, wenn wir in der nächsten Woche unsere Kundgebung mit allen Standorten in Bad Hersfeld abhalten, wird die große Presse mit Sicherheit wieder dabei sein. Man kann nicht behaupten, durchweg ein großes Medieninteresse zu haben, das ist sehr wechselhaft.

SB: Wie wirksam ist der Streik und der reale Druck, der auf Amazon ausgeübt wird? Besteht nicht die Gefahr, daß Amazon eine Streikbrecherfront aufbaut und Ersatzarbeitskräfte herbeischafft?

MS: Ersatzarbeitskräfte für den Standort Bad Hersfeld kann Amazon nicht so schnell herankarren. Außerdem müßten die Leute erst eingearbeitet werden. Das funktioniert so nicht. Amazon behauptet zwar, daß die Streiks keine Auswirkungen hätten, aber das muß man sich im einzelnen sehr genau anschauen. Wenn ich als Kunde einen Artikel bestelle, kriege ich von Amazon ein Lieferversprechen, nämlich daß ich das Bestellte in zwei Tagen erhalte. Während der Streiks macht Amazon nichts anderes, als dieses Lieferversprechen nach hinten zu setzen. Das heißt, man kriegt den Artikel dann nicht in zwei Tagen, sondern Amazon verspricht eine Lieferung in fünf bis sieben Tagen. Nach außen sieht es dann so aus, als ob sie ihr Kundenversprechen einhalten. Das ist damit gemeint, wenn sie sagen, der Streik hätte keine Auswirkungen.

Zudem kann Amazon die Bestellungen mit einem Vorlauf von vier Stunden virtuell in ein anderes Warenhauslager umleiten. Das heißt, wenn wir einen Streik beginnen, kann die bestellte Ware, die über Hersfeld hätte abgehandelt werden sollen, maximal vier Stunden später nach Leipzig verschoben werden. Wir begegnen dieser Möglichkeit damit, daß wir versuchen, an den Standorten zu verschiedenen Zeiten zu streiken, so daß wir effektiv Einfluß nehmen und gewährleisten können, daß Amazon doch irgendwo getroffen wird. Weiterhin machen wir während der Streiks auch LKW-Informationen, um die Ware, für die der Kunde mehr bezahlt hat, damit er sie schon am nächsten Tag bekommt, gezielt abzufangen.

SB: Könnte euer Streik gesamtgesellschaftlich gesehen eine gewisse Vorbildfunktion haben, daß beispielsweise Belegschaften anderer Dienstleistungsunternehmen, die meistens einen ganz geringen Organisationsgrad haben, dazu motiviert werden, ebenfalls für ihre Rechte zu kämpfen?

MS: Ich glaube schon, daß unser Streik eine Vorreiterrolle spielen kann, weil wir es hier mit einem Global Player zu tun haben. Amazon agiert in Europa mittlerweile in Frankreich, England, Spanien, Italien, in Tschechien und jetzt auch in Polen. Wenn wir es hinbekommen, die Vernetzungen aufrechtzuerhalten, die wir jetzt schon nach Polen und Frankreich geschaffen haben, dann sehe ich für eine Streikbewegung in größeren Konzernen durchaus gute Voraussetzungen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Zum Linken Liedersommer 2015 siehe im Schattenblick:

BERICHT/026: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0026.html

BERICHT/027: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (2) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0027.html

3. August 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang